Heimchen, Hausgrille (Gryllus domesticus)

[561] Das Heimchen oder die Hausgrille (Gryllus domesticus), kleiner und zierlicher als die vorige, von lederbrauner Farbe, an den Beinen und dem Kopfe lichter, mehr gelb, trägt auf letzterem eine braune Querbinde und auf dem Halsschilde zwei dreieckige, braune Flecken. Die Gräten der Hinterflügel ragen über den Körper hinaus und vermehren beim Weibchen die drei Anhängsel um noch zwei. Die Länge des Thierchens beträgt 17,5 bis 19,5 Millimeter. Im geselligen Beisammensein, in den nächtlichen Ausbrüchen aus seinen Verstecken, dem Aufsuchen der Wärme und derselben Nahrungsmittel erinnert das Heimchen lebhaft an die Küchenschabe, in deren Gesellschaft es nicht selten in Backhäusern, Mühlen, Brauereien, Kasernen, wo es mitunter als »kleine Krebse« die langen Brühen der Suppen würzt, in Hospitälern und anderen ähnlichen Oertlichkeiten zu finden ist. Ein einzelnes unterbricht mit seinem melancholischen Gezirpe die nächtliche Ruhe auf nicht unangenehme Weise, die vielstimmigen Konzerte können aber diejenigen zur Verzweiflung bringen, welche sie allnächtlich mit anhören müssen. Die Töne werden von den Männchen in derselben Weise hervorgebracht wie von der Feldgrille, nur sind sie schwächer und höher infolge der geringen Größe des Musicirenden und der dichter stehenden Stege an der Schrillader.

Nie in meinem Leben hatte ich bessere Gelegenheit, die Heimchen in ihrem Treiben zu beobachten, als in meiner Kindheit, wenn ich die Hundstagsferien bei den Großeltern verbrachte. Die düstere Küche der alten Pfarrwohnung in Großgörschen war für die Heimchen eine wahre Residenz. Durch sie nahm ich dann und wann meinen Weg mit der Großmutter, wenn wir uns zur Nachtruhe begeben wollten. Tausende von Heimchen tummelten sich hier, manche noch nicht so groß wie eine Stubenfliege, kleinere und größere bis zu vollkommen Erwachsenen, je nach den verschiedenen Altersstufen. Aus allen Winkeln zirpte es. Hier füllte das Mauerloch ein dicker Kopf aus, dessen lange Fühlfäden sich scharf gegen das verrußte Gestein abgrenzten, zog sich aber scheu zurück, sobald das Licht in die Nähe kam; dort spazierte eine Herde Junge, nach Nahrung suchend, keck umher, verrieth aber bald, daß Furchtsamkeit jedem einzelnen angeboren ist. Mit den Händen eins der frei umherschweifenden Thierchen zu erhaschen war beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, und gelang es ja, so war der blinde Zufall dabei im Spiele, welcher bei der großen Menge einmal eins zwischen die Finger trieb, auf welches es nicht abgesehen gewesen war. Sie werden in dieser Hinsicht mehr durch ihre große Gewandtheit und Schnelligkeit im Laufen geschützt, als durch das Springvermögen, welches sie natürlich auch zu Hülfe nehmen, wobei man ihnen aber ansieht, daß der feiste Körper ihnen hinderlich ist und größere Sätze ihnen sauer werden. Eine Stelle ward ausgemittelt, wo der Fang keine Schwierigkeiten hatte. Im Herde war nämlich ein kupferner Kessel eingemauert und mit einem schlecht schließenden Holzdeckel versehen. Wenn nun zu irgend einem wirtschaftlichen Zwecke hier einmal den Tag über Wasser heiß gemacht worden war, von welchem immer auf dem Boden etwas zurückblieb, nebst einer behaglichen Wärme in der Umgebung, so saßen die Heimchen in solchen Mengen im Grunde des Kessels, aus welchem sie natürlich nicht wieder heraus konnten, daß [561] man sie mit den Händen greifen konnte. Ich verschaffte mir manchmal das Vergnügen und sperrte die auf solche Weise in meine Gewalt gekommenen über Nacht in ein Zuckerglas, welches oben wohl verwahrt wurde. Am anderen Morgen war ein heiles Heimchen eine Seltenheit. Gewöhnlich fehlten Beine, Fühler, ja selbst Stücke aus dem Leibe. Die Springbeine, welche sich die Schrecken in der Gefangenschaft leicht abstrampeln, und andere Glieder waren größtentheils verschwunden. In ihrer Gefräßigkeit und dem Aerger über das unfreiwillige enge Zusammensein hatten sie sich einander angenagt. Hätte ich damals gewußt, was ich später erfahren, so hätte ich selbst die Behauptungen anderer prüfen können: die Heimchen sollen nämlich, wie die Krebse, beschädigte oder ganz fehlende Glieder wieder aus sich heraus ersetzen können, so lange sie noch in der Häutung begriffen sind. Da meine Küchengänge und Heimchenjagden in den Juli fielen, so kann ich nach dem, was ich sah und eben erzählte, den Ansichten derjenigen nicht beipflichten, welche meinen, in diesem und dem folgenden Monate allein würden die Eier gelegt, sondern nehme an, daß es in der ganzen Zeit geschieht, während welcher sich das lebhafte Zirpen vernehmen läßt. Die Paarung erfolgt in derselben Weise wie bei der Feldgrille. Mittels seiner dünnen, geraden Legröhre bringt das Weibchen die gelblichen, länglichen Eier im Schutte, Kehrichte oder in dem lockeren Erdreiche innerhalb seiner Verstecke unter, aus ihnen schlüpfen schon nach zehn bis zwölf Tagen die Lärvchen. Sie häuten sich viermal und überwintern in ihrem unvollkommenen Zustande. Nach der dritten Häutung erscheinen die Flügelstumpfe und bei den Weibchen kurze Legröhren. Man nimmt an, daß die Lebensdauer ein Jahr nicht überschreite, während dessen das Weibchen sicherlich mehrere Male Eierhäufchen absetzt und stirbt, wenn der Vorrath im Eierstocke erschöpft ist.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 561-562.
Lizenz:
Kategorien: