Ungeflügelte Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus)

[610] Von den sogenannten Langwanzen (Lygaeodes) leben die meisten unter Steinen, dürrem, zerkrümeltem Laube oder unter Moos am Grunde der Baumstämme, wo sie geschäftig umherkriechen, um andere, jedoch todte, Kerfe oder Pflanzensäfte zur Nahrung aufzusuchen; an das Tageslicht kommen die wenigsten. Die größere Härte der Körperbekleidung, mehr, meist fünf, Adern in der Haut sowie der Mangel des Keilstückes in den Flügeldecken und die fadenförmigen, gegen die Spitze etwas verdickten Fühler zeichnen sie vor den vorigen aus. Diese letzteren sind den Wangen des dreieckigen Kopfes eingefügt und stehen meist unter, höchstens auf der Linie, welche man sich vom Mittelpunkte eines Netzauges nach der Schnabelwurzel gezogen denkt. Die Größenverhältnisse der vier Fühlerglieder schwanken ebenso bei den verschiedenen Arten, wie die vier Schnabelglieder, jedoch pflegt hier das vorletzte immer länger zu sein als das letzte. Unter den drei Fußgliedern ist das mittelste am kürzesten, das letzte neben den Krallen mit Haftlappen versehen. Einigen fehlen die Punktaugen, bei den meisten treten sie jedoch deutlich aus und zwar unmittelbar neben den Netzaugen. Zu jenen gehört die allbekannte flügellose Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus), eine durch ihre blutrothe und schwarze Körperfärbung, durch den Mangel der Haut an den Flügeldecken und der ganzen Hinterflügel zur Genüge gekennzeichnete Art. Die über alle Welttheile ausgebreiteten Feuerwanzen unterscheiden sich nur durch den leistenförmig scharf aufgerichteten Rand des Halsschildes von der mittelamerikanischen Gattung Largus, mit der sie das im Vergleiche zum zweiten längere erste Fühlerglied und den Mangel der Nebenaugen gemein haben. Die flügellosen Feuerwanzen, hier und da auch »Franzosen« oder »Soldaten« genannt, sitzen den ganzen Sommer hindurch in Scharen am Grunde alter Lindenbäume [610] oder Rüstern, nehmen auch, wenn ihnen die genannten Bäume nicht zu Gebote stehen, mit einer Mauer fürlieb. Sobald der Winter vorüber ist, also in der Regel schon im März, verlassen sie allmählich ihre Verstecke und schleichen einzeln an geschützten, den rauhen Winden nicht ausgesetzten Stellen umher. Je milder das Wetter, desto mehr fallen sie in die Augen und von Mitte April ab pflegen sich die vollkommen entwickelten zu paaren. Selten verbindet sich das Männchen mehr als einmal mit einem Weibchen, während dieses eine öftere Vereinigung gestattet. Dieselbe kann bis 36 Stunden andauern. Hierauf findet man unter dem feuchten Laube oder in den Erdlöchern neben den alten Wurzelstöcken von Bäumen die perlweißen Eier und später junge stecknadelkopfgroße Lärvchen neben schon größeren Larven. Die kleineren haben einen ganz rothen Hinterleib und schwarze Flügelansätze. Nach dreimaliger Häutung erhalten sie ihre vollkommene Größe und Ausfärbung. Die Flügeldecken verlängern sich dabei, vertauschen das anfänglich schwarze Kleid mit dem später vorherrschend rothen, sie werden zu einem schönen »Waffenrocke« mit zwei schwarzen, wie Knöpfe gerundeten Flecken, einem breiteren oder schmäleren schwarzen Saume am Ende und einem schwarzen Schlußstücke, während umgekehrt der Hinterleib aus dem anfänglichen Roth in glänzendes Schwarz übergeht; denn nur die Seitenränder und einige Querbinden am Ende des Bauches behalten die ursprüngliche Farbe bei.


Ungeflügelte Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus), dreimal vergrößert.
Ungeflügelte Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus), dreimal vergrößert.

Der Kopf mit seinen Anhängen: den Fühlern und dem Schnabel, zeigt sich glänzend schwarz, wenn erst das Junge, welches bleich aus dem Eie kam, ausgefärbt ist. Das vordere Bruststück ist oben und unten gleichfalls sehr bald schwarz und behält nur rothe Randsäume ringsum; auch die Beine erglänzen schon in der Jugend durchaus schwarz. Unter solchen larvenähnlichen, aber vollkommen erwachsenen Feuerwanzen kommen in südlicheren Gegenden – bei uns traf ich noch keine an – einzelne geflügelte vor. Die erwachsenen Feuerwanzen haben den eigenthümlichen Wanzengeruch verloren, während die Larven denselben aus drei Drüsen auf dem Hinterleibsrücken, je eine auf der Mitte der drei mittleren Ringe, verbreiten. Reizt man eine nur wenig, so nimmt man einen scharfen, an flüchtige Fettsäure mahnenden Geruch wahr und sieht aus der mittleren Drüse ein Tröpfchen farbloser, nach und nach verdunstender Flüssigkeit austreten. Wird der Reiz verstärkt, indem man die Larve drückt, ihr ein Bein, einen Fühler abschneidet, so ergießt sich in Form eines kleinen Strahles aus der hintersten, größten Drüse eine Flüssigkeit, welche den eigentlichen Wanzengeruch verbreitet. Bei den erwachsenen Wanzen macht sich anfänglich noch ein saurer Geruch bemerklich; bald aber verschwindet dieser und die Drüsen werden ohne Inhalt befunden.

In den verschiedenen Färbungen und Größen tummeln sich die Wanzen den ganzen Sommer über und erscheinen eher träge als geschäftig; auf ihren kleinen Spaziergängen bleiben sie öfters stehen, aber nicht um auszuruhen, sondern um zu genießen. Zwei, drei und noch mehr sind um eine größere Insektenleiche versammelt und saugen sie aus, gleichviel ob sie von einem ihresgleichen herrührt oder von einem anderen Kerfe. In der Gefangenschaft greifen die größeren auch die kleineren an und saugen sie aus. Unter den Flügeldecken der älteren Wanzen finden sich bisweilen zahlreiche Milben, welche sich auf Kosten ihrer Wirte nähren. Alt und Jung verkriechen sich in die tieferen Schlupfwinkel ihrer Tummelplätze, sobald die rauhe Jahreszeit dazu mahnt, und wir haben hier den bei Wanzen selten vorkommenden Fall, daß sie auf den verschiedensten Altersstufen überwintern.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 610-611.
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