Riesenmuschel (Tridacna gigas)

[385] Auch die Tridacna, von der wir umstehend eine Abbildung nach hinweggenommener linken Schalenhälfte geben, ist, ganz genau genommen, noch keine wahre einmuskelige Muschel, indem nur ihre beiden Schließmuskeln (c) einander so genähert sind, daß sie einen einzigen auszumachen scheinen. Der Mantel ist bis auf drei Oeffnungen vollständig geschlossen. Die mittlere, an der Unterseite gelegene Oeffnung (a) läßt das Athemwasser und die Nahrung eintreten. Von ihr ziemlich entfernt liegt die Afteröffnung (b). Die vordere Oeffnung ist ein ansehnlicher Spalt (d) für den kurzen Fuß, aus welchem der Bart (e) entspringt. Das Gehäuse der genannten Sippe ist regelmäßig, die beiden Schalenhälften einander gleich, aber ungleichseitig. Die sogenannte Lunula, das heißt der bei den meisten Muscheln vorhandene geschlossene und umrandete Raum unmittelbar [385] vor den Wirbeln ist offen, so daß es für den Durchtritt des Fusses und Byssus nicht einer anderen klaffenden Stelle bedarf, wie bei den anderen, mit Bart versehenen Muscheln. Der Schlitz für den Fuß ist damit ganz nach oben gerückt. Alle Tridacnen gehören dem chinesischen Meere, dem indischen Ocean mit dem rothen Meere und der Südsee an und zeichnen sich durch dicke Schalen mit wulstigen, oft geschuppten Rippen aus, deren Enden gleich großen Zähnen beim Schließen fest ineinander passen. Die größte aller Muscheln ist Tridacna gigas, die Riesenmuschel, welche in manchen Kirchen als Weihkessel benutzt wird, und welche man in den größeren Museen gewöhnlich auf einer soliden Säule abseits aufgestellt findet. Die ältesten Nachrichten von ihr, welche wir bei Rumph finden, sind durch neuere Beobachtungen nicht überholt.


Tridacna mutica. Natürliche Größe.
Tridacna mutica. Natürliche Größe.

»Die See-Gienmuschel wird drei bis fünf Schuhe lang. Die Schuppen sind wohl zwei Messer dick, aber mehrentheils stumpf und äußerlich abgebrochen. Auswendig sind sie dergestalt mit Seeschlamm bewachsen, daß man sie kaum rein machen kann. Die Dicke der Schale trägt gemeinlich eine Querhand aus, ja man findet solche, die über einen halben Schuh dick sind, woraus man dann wohl leicht abnehmen kann, wie schwer diese Muschel sein muß. Wenn man die Schale zerschlägt, so siehet man, daß sie aus verschiedenen Rinden zusammengesetzt ist. Die jüngste Lage ist allezeit die vorderste und hat einen so scharfen Rand, daß man sich daran, wie an einem Messer schneiden kann. Aus dieser Ursache muß man mit diesen Muscheln behutsam umgehen, so lange das Thier noch darin ist, wenn man sich nicht verwunden will. Man hat es wenigstens auf unseren Schaluppen in den Molukkischen und Papurisischen Inseln aus der Erfahrung, daß diese Muscheln, die daselbst wohl am größten sind, die Anker-Taue und Stricke (wenn die Matrosen solche ungefähr daselbst fallen lassen, daß sie zwischen die Schalen der Muscheln gerathen) dergestalt durch Zusammenziehung ihrer Schalen abkneipen, als ob sie ordentlich mit einem Beile abgehackt wären. So würde ein Jeder, der die klaffende Muschel mit der Hand angreifen wollte, seine Hand verlieren, wenn er nicht vorher etwas zwischen die Schale legt, um das Zusammenschließen derselben zu verhindern. Die Fischer holen diese Muscheln folgender Gestalt aus dem Wasser hervor. Ein Taucher thut einen Strick in Gestalt einer Schleife herum, danach ziehen sie alle zusammen die Schale in die Höhe. So dann suchen sie mit einem Messer durch die Oeffnung an der Seite zu kommen und den sogenannten Pfeiler oder die Sehnen zu durchschneiden, weil alle Kraft des Thieres in denselben besteht. Alsdann klaffen die Schalen von selbst und können sich nicht wieder schließen. Auf diese Weise errettet man auch alle Thiere und Menschen, die von ungefähr zwischen diese Schalen fest geknellet werden.«

Auch die Riesen-Tridacna, wie so manche andere mit dem Byssus versehene Muscheln (Pinna, Mytilus) wird von weichschaligen Krebsen als ein sicheres Wohnzimmer benutzt. »Dieses unschickliche Thier«, sagt Rumph weiter, »hat allezeit einen Gesellen bei sich, welcher gleichsam sein Hüter ist, und besteht derselbe in einem gewissen kleinen Garneel, den wir früher unter dem Namen Pinnotheres beschrieben haben. Dieses Thierchen kneipt die Muschel in das Fleisch, wenn es sieht, daß ein guter Fang zu thun ist, worauf dann die Muschel gleich die Schalen zukneipt; ja, man glaubt, daß diese Muschel, weil sie keine Augen hat und sich vor den Räubern nicht in Acht nehmen kann, auch nicht am Leben bleiben könnte, wenn etwa dieser Pinnahüter von ungefähr sich aus der Schale verlöre.«

[386] Außer manchen seltsamen Dingen, wie z.B., daß die Gienmuschel, wenn sie sich zur Nachtzeit öffne, ein helles Licht oder einen fernhin bemerkbaren Glanz von sich gebe; daß ein anderer Augenzeuge in einer klaffenden Gienmuschel etwas Helles wahrgenommen, das wie ein köstlicher Stein glänzte, – außer diesen Dingen führt unser Holländer noch einige Beispiele von der Größe und Kraft der Tridacna gigas an: »Im Jahre 1681 wurden bei Celebes zwei dieser Muscheln gefunden, wovon die eine acht Schuh fünf Zoll, die andere sechs Schuh und fünf Zoll im Umfange hatte. Die eine, in welche ein Matrose ein starkes Brecheisen hineinstieß, bog dasselbe durch Zuklappen der Schalen krumm. Die Stärke des Muskels und das Gewicht der Schalen, das gegen drei Centner beträgt, erklären dies«.

Sehr ausführlich hat Rumph das Vorkommen dieser Riesenmuscheln auf den Höhen und Gebirgen von Amboina und den Molukken besprochen. Es ist lehrreich, den Fortschritt unserer Zeit mit der Befangenheit der letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts zu vergleichen. Er fand also auf den Höhen von Amboina Tridacnen von solcher Größe, daß vier bis sechs Mann genug daran zu tragen hatten, und in solchen Massen und unter solchen Umständen der Lagerung, daß auch ihm schon die Annahme, Menschenhände hätten dieselben auf die Berge geschafft, ganz absurd erschien. Er erwägt auch die damals sehr gangbare Meinung, daß die Versteinerungen und Fossilen »gleichsam eine natürliche Frucht der Klippen, und auf den Bergen gewachsen« seien. Allein auch diese Theorie hält er nach Erwägung aller Gründe für unwahrscheinlich und ungereimt. »Wenn denn nun diese Muscheln nicht auf den Bergen gewachsen sind, noch von Menschen dahin getragen worden, so sind keine näheren Ursachen ausfindig zu machen, als daß sie durch eine große Flut dahin müssen gekommen sein, und dieses wissen wir aus der Heiligen Schrift, daß es nur ein einziges Mal, nämlich an den Tagen Noahs, geschehen, zu welcher Zeit alle Berge unter Wasser gestanden.« Den Einwurf, daß beim Zurücktreten des Wassers auch die Noahs-Gienmuscheln, so nennt er sie, wieder hätten ins Meer hinabsteigen können, widerlegt er mit der Berechnung, daß das Fallen der Sündflut wenigstens fünfmal geschwinder, als die gewöhnliche Ebbe vor sich gegangen sei, also unmöglich die Muscheln hätten den Rückzug mitmachen können. »Ueberdies hat auch Gott ohne Zweifel hier und da solche Merkmale der allgemeinen Sündflut wollen überbleiben lassen, weil er vorausgesehen, daß in der letzteren Zeit naseweise Menschen aufstehen würden, welche die Wahrheiten der Heiligen Schrift auch in diesem Stücke würden zu kränken suchen.« Obgleich aber der sonst vorurtheilsfreie holländische Naturforscher an einer Lehre hält, welche heute nur noch von römischen Bischöfen und dem Pastor Knak in Berlin gepredigt wird, daß die Bibel auch ein unbedingt und wörtlich wahres naturgeschichtliches Lehrbuch sei, schwebt ihm doch schon die Einsicht auf den Lippen, welche seit Jahrzehnten ein Gemeingut der gebildeten Welt geworden: die Hebungstheorie. »Vielleicht«, sagt er, »möchte Jemand denken, da diese Länder dem Erdbeben ausgesetzt sind, daß, ohne die Sündflut zu rechnen, in der Folge der Zeit noch andere gewaltsame Umkehrungen dieser Lande durch Erdbeben möchten entstanden, neue Berge, die vorher nicht zugegen waren, aufgeworfen und vielleicht mit denenselben auch diese Muscheln in die Höhe geführt worden sein. Allein man kann solches von diesen Ländern nicht behaupten (ohnerachtet ich die Geschichten, welche dergleichen Berge in der Welt anzeigen können, im geringsten nicht in Zweifel ziehe), oder man müßte zugleich auch behaupten, daß alle Insuln und Berge, wo diese Muscheln gefunden werden, nebst ihrem ganzen Umkreise aus der See in die Höhe gestiegen wären; dieses aber wäre eine ungereimte Rede, denn man findet sie mitten im Lande auf solchen Bergen und auf so großen Inseln, die außer allem Zweifel schon vom Anfange der Schöpfung zugegen gewesen sind.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 385-387.
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