Flucht nach Schlesien 1813–1814

[111] Das Jahr 1813 rief die große Weltenkatastrophe herbei, welche den Sturz Napoleons bewirkte. Sein Übermut und unersättlicher Ehrgeiz hatten ihn mit[111] einer halben Million Krieger nach Moskau geführt, aber schon bei seinem Übergange über den Niemen hatte er eine solche hochfahrende, Gott und der Menschheit Trotz bietende Sprache geführt, daß Fichte damals im prophetischen Geiste sagte: »Er hat Gott gelästert, sein Reich geht zu Ende« – und so geschah es. Der Engel Gottes, die Kraft der Elemente vernichtete in wenig Wochen seine ganze Heeresmacht. Der Geist der Preußen, der nur mit Mühe zurückgehalten worden war, erwachte mit voller Begeisterung, furchtbarem Mute und gänzlicher Hingebung alles, auch des Teuersten, für Wiedererringung der Freiheit. Der Aufruf des Königs zum Kriege erfolgte. Die königliche Familie mußte abermals, dies Mal nach Schlesien fliehen, und mein einziger Sohn erbat sich und erhielt meine Erlaubnis, mit ins Feld zu ziehen und zwar als gemeiner Soldat in dem Regiment Garde du Corps. – Den 12. Januar 1813 reiste ich mit meinen Kindern dahin ab.

Nun war ich zum zweiten Male mir selbst überlassen mit der Hälfte meiner Kinder, abgeschnitten von meinem Hause und gewohnten Geschäften, und mit gänzlicher Ungewißheit für die Zukunft, denn, wenn der Kampf unglücklich ausfiel, so war es gewiß,[112] daß Preußen aus der Reihe der Staaten ausgestrichen und unser Königshaus exiliert wurde, und natürlich ich mit ihm. – Aber dies alles überließ ich der göttlichen Vorsehung, die ja dieses Haus und auch mich immer so gnädig beschützt und erhalten hatte. Ich widmete mich nun einer wissenschaftlichen stillen Tätigkeit und einem innigeren Leben mit meinen Kindern, auch die Dichtkunst kam mir hier wiederum zu Hilfe. In Breslau der Umgang mit mehreren gelehrten und kunstverwandten Männern, hierauf ein schöner romantisch-poetischer Aufenthalt in Kunzendorf, Landeck, Neisse für den Sommer – dann den Winter wieder in Breslau.

Hier machte ich auch noch eine ökonomische Unternehmung, die Akquisition des Gutes Marxdorf. Meine Gründe waren: die jetzt sich darbietende Gelegenheit vorteilhaft Güter zu kaufen, dann mein Grundsatz: daß der einzige sichere Besitz, besonders in damaligen stürmischen Zeiten, Grund und Boden sei. Es wurde für 35000 Taler verkauft. Ich hatte nur 10000 Taler zur Disposition, aber der König hatte die Gnade, mir 15000 Taler dazu zu schenken, und 10000 Taler blieben als Schuld darauf stehen. Ich verstand damals so wenig von Geldgeschäften, daß ich[113] nicht einmal den Vorteil benutzte, mit meinem barem Gelde Staatspapiere zu kaufen, wodurch ich 4–5000 Taler erspart haben würde.

Das nomadische Leben hatte auf die schon natürliche Lebhaftigkeit meiner lieben Laura so gewirkt, und Minchens Autorität war so schwach, daß sich ein hoher Grad von Leichtsinn und Ungebundenheit zu zeigen anfing, der in der Folge leicht in Irreligiosität hätte ausarten können, und besonders jetzt, wo ihre Entwicklungsjahre bevorstanden, ein ernstes Einwirken nötig machte. Dies bestimmte mich, sie in das Erziehungsinstitut zu Gnadenfrei zu bringen, wo sie zwei Jahre blieb, und welches die gesegnetsten Folgen für ihre sittliche und religiöse Bildung hatte.

Mein Sohn Eduard kämpfte ritterlich für deutsche Freiheit in den Schlachten von Lützen, Bautzen, Haynau, Leipzig, und Gott erhielt ihn in den sichtbarsten Todesgefahren. – Der große Schlag bei Leipzig war endlich geschehen, die Macht Napoleons war gebrochen und im Januar 1814 kehrten wir nach Berlin zurück.

Quelle:
Hufeland. Leibarzt und Volkserzieher. Selbstbiographie von Christoph Wilhelm Hufeland. Stuttgart 1937, S. 111-114.
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