Neisser, Albert

Neisser, Albert
Neisser, Albert

[1193] Neisser, Albert, in Breslau, als Sohn des Vorigen zu Schweidnitz 22. Jan. 1855 geb., studierte in Breslau und Erlangen, wurde 1877 in Breslau prom. (Diss. über die Echinococcenkrankheit) und approbiert und bald nachher Assistenzarzt der neu gegründeten Dermatol. Klinik in Breslau unter Simon. Er habilitierte sich in Leipzig 1880, wurde 1882 nach Simon's frühem Tode als Prof. e. o. und Direktor der Dermatol. Klinik nach Breslau berufen. Während seiner Assistenten- und Dozenten-Zeit hatte er zu wissenschaftlichen Zwecken (Lepra) Reisen nach Norwegen u. Spanien gemacht. 1892 wurde d. nach N.'s Plänen gebaute neue Dermatol. Klinik in Breslau eröffnet; 1894 wurde N. zum Geh. Med.-Rat ernannt. Einen[1193] Ruf nach Berlin lehnte er (1896) ab. N. hat die experimentell-pathol. Arbeitsweise Cohnheim's, die histol. Weigert's immer bei seinen eigenen Arbeiten und bei denen seiner Schüler als Ideale angesehen und war jederzeit bemüht, von diesen Methoden für klin. Forschung und klin. Lehren den möglichst grössten Gebrauch zu machen. Sehr zeitig kam N. auch mit Koch in persönliche Berührung und erkannte sofort die Bedeutung, welche die sich gerade entwickelnde Bakteriol. besonders auch für die Dermatol. haben müsse. Klinisch war N. naturgemäss in erster Linie Schüler seines Chefs Simon. Ferner knüpften N.'s klin. Anschauungen an die derzeit massgebende Wiener dermatol. Schule an, spez. z. gr. Teil an die Lehren Ferd. Hebra's. Andererseits hat N. die glücklicherweise immer geringer werdende Bedeutung der »Schule« nie überschätzt und sich sehr rege an dem für die Wissenschaft so notwendigen Ausbau der internationalen Beziehungen vorwiegend beteiligt. Von den wissenschaftlichen Leistungen N.'s sind in erster Reihe seine bakteriol. Arbeiten zu nennen. Die Entdeckung des Erregers der Gonorrhoe, des von ihm sogen. »Gonococcus«, gelang ihm schon 1879. Er erkannte die eigenartige Form und Lagerung der Gonococcen und erschloss ihre – seither so glänzend bestätigte – ätiol. Bedeutung aus der Konstanz ihres Vorkommens. Diese Entdeckung haben er und seine Schüler seither[1194] nach allen Richtungen für die Diagnose, Therapie und für die Prophylaxe der gonorrhoischen Erkrankungen ausgebeutet. Die antibakterielle Behandlung (spez. mit Silberpräparaten-Protargol), die Wichtigkeit der mikrosk. Untersuchung für die Konstatierung der Heilung der Gonorrhoe, für die Unterscheidung der chronisch-gonorrhoischen und der postgonorrhoischen Zustände (»Ehekonsens«), die Notwendigkeit, die Prophylaxe der Gonorrhoen durch die mikrosk. Kontrolle der Genitalsekrete der Prostituierten auf die einzig mögliche Basis zu stellen – das sind die Hauptmomente in der sehr grossen Reihe hierher gehöriger Arbeiten. In zweiter Linie sind die Arbeiten N.'s zur Aetiologie und pathol. Anatomie der Lepra zu nennen. Es gelang ihm zuerst, die Leprabazillen mit den modernen Färbungsverfahren nachzuweisen, und während bis dahin die Angaben Hansen's über diese Bazillen nirgends beachtet waren, haben N.'s Präparate sofort überzeugende Beweiskraft gehabt. Mit den tinktoriellen Eigenschaften der Lepra- und der Tuberkelbazillen, mit der Natur der »Leprazellen« und zahlreichen spez. pathol.-anat. Fragen der Lepralehre hat N. sich auch später wiederholt beschäftigt. Auch über andere Fragen aus dem Gebiete der Bakteriol. hat N. verschiedentlich gearbeitet (Sporenfärbung, Xerose-Bazillen, Körnchen-Färbung, Jodoform-Wirkung etc.). Hierher gehören auch die Arbeiten über Molluscum (Epithelioma) contagiosum. Durch sehr eingehende mikrosk. Untersuchungen ist N. zu dem – freilich experimentell noch nicht bewiesenen – Resultat gelangt, dass diese histologisch sehr eigenartigen Gebilde auf eine Infektion mit Protozoen zurückzuführen sind, welche mit den Epithelzellen die Molluscum-Körperchen bilden. Von allgem.-pathol. und klin. Arbeiten ist als eine der ersten die monographische Darstellung der chronischen Infektionskrankheiten der Haut in Ziemssen's Handb. der Hautkrankheiten zu nennen. Aus dieser Arbeit ist der Abschnitt über den Lupus, in welchem N. für die tuberkulöse Natur dieser Krankheit als einer der ersten eintritt, und die allgem.-pathol. Behandlung der Syphilis hervorzuheben. Aus der grossen Zahl der klin. Aufsätze zur Dermatol. können[1195] hier nur einige wenige erwähnt werden, welche durch ihre allgemeinere Bedeutung ausgezeichnet sind; so ein zusammenfassendes Referat über die Pathol. des Ekzems, in welchem N. den Hebra'schen Standpunkt gegenüber den vielen Neuerungsversuchen verteidigt, ein Referat über die Lichenformen, ferner Einzelarbeiten über das Xeroderma pigmentosum, über Jodoform- und Quecksilber-Dermatitiden etc. Die Dermato-Therapie verdankt N. die Einführung des Tumenols, den Nachweis der Gefährlichkeit zu ausgiebiger Anwendung von Pyrogallussäure und Naphthol, experimentelle Untersuchungen über das Aristol. Mit dem Tuberkulin hat er sich wissenschaftlich und klin. sehr eingehend beschäftigt. Auf dem Gebiete der Syphilidologie hat N. klin. Studien über das Leucoderma syphiliticum und über maligne Lues geschrieben, ferner die Grundlagen und die bisherigen Erfolge der Serum-Therapie besprochen und zur Einführung der Fournier'schen chronisch-intermittierenden Behandlung in Deutschland und zu ihrer Modifikation (Haupt- und Nebenkuren), sowie zur Nutzbarmachung der Injektionen ungelöster Hg.-Präparate (Suspensionen in öligen Vehikeln, Oleum cinereum) die Initiative ergriffen und immer wieder an der theoretischen Begründung und an dem prakt. Ausbau dieser Methoden gearbeitet resp. arbeiten lassen. Die Prophylaxe der venerischen Krankheiten hat er nicht bloss durch die freilich noch nicht in grösserem Umfange eingeführte Gonococcen-Untersuchung bei der Kontrolle der Prostituierten gefördert, sondern er hat auch die ganze Prostitutionsfrage vom sozialen, national-ökonomischen und ethischen Standpunkt aus studiert, wofür sein Referat auf der Brüsseler internationalen Konferenz zur Prophylaxe der Syphilis und der venerischen Krankheiten (1899) Zeugnis ablegt. N. ist an der Herausgabe des Archivs für Dermatol. und Syphilis beteiligt, giebt den dermatol. Teil der Bibliotheca medica heraus und ist Begründer und Redakteur des Stereoskopischmed. Atlas. Eine grosse Anzahl von N.'s Schülern ist jetzt in vielen Städten Deutschlands und des Auslandes selbständig, zum Teil auch als Dozenten und Proff. thätig.

Quelle:
Pagel: Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin, Wien 1901, Sp. 1193-1196.
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