Kapitel IV.
De poesi
oder
Von der Dichterkunst

[36] Die Dichterkunst ist an sich selbst, wie Quintilianus lehrt, das andere Stück der Sprachkunst, aber sie prahlt für sich so sehr, dass vor alters die Theatra, Amphitheatra und schönsten Weltgebäude, so unter der Sonne haben können gefunden werden, nicht den Philosophis oder Weltweisen, nicht den Rechtsgelehrten, nicht den Medicis, nicht den Rednern, nicht den Mathematicis und Geistlichen, sondern poetischen Fabelerdichtern mit grossen Unkosten sind aufgebauet worden.

Ist eine Kunst, die zu nichts anders erfunden worden ist, als dass sie mit leichtfertigen Reimen und vorgeblichen Wortzusammensetzungen den Ohren närrischer Leute schmeichle und mit viel tausend Lügen und Fabeln die Gemüter betrüge; daher sie billig die Erfinderin der Lügen und Beehrerin aller nicht tauglichen Grundsätze kann genannt werden. Aber, gleichwie wir einem Unsinnigen seine Kühnheit und Raserei gerne vergeben, also wollen wir auch die Lügen der Poeten mit Geduld vertragen; sie lassen keinen Winkel leer, den sie nicht mit ihrem unnützen Geschrei und nichtswürdigen Gedichten anfüllen sollten.[36]

Ja sie fangen vom Chaos, oder ersten Weltklumpen ihre Fabeln an, erzählen des Himmels Abteilung, der Veneris Geburt, der Titani Streit, des Jupiters Wiegen, der Rheae Betrug, des Saturni Banden, der Riesen Rebellion, des Prometheus Diebstahl und Strafe, des Deli Irrfahrten, der Latonae Schmerzen, des Pythonis Ermordung, des Tyri Arglistigkeit, des Deucalionis Überschwemmung, der Menschen Ursprung aus den Steinen, des Jacchi Zerreissung, der Iunonis Betrug, der Semelis Verbrennung, des Bacchi Herstammung, ja unterschiedene Sachen von der Minerva, vom Vulcano, vom Erichthonio, vom Borea und Orithia, vom Theseus, vom Aegeo, vom Castor und Pollux, vom Raub der Helenae, von dem Tod des Hippolyti, und dieses alles in den Attischen Fabeln. Erzählen ferner den Irrweg Cereris, die Entführung Proserpinae, und anderes mehr von dem Minoë, von Cadmo und Niobe, von Pentheo, Atreo und Oedipode, von der Arbeit des Herculis, von der Sonnen und Neptuni Streit, von der Unsinnigkeit des Athamantis, von der Jo, wie sie in eine Kuh verwandelt, und ihrem Hüter, dem Argo, wie der von dem Mercurio getötet worden.

Von dem güldenen Vlies, vom Peleo, von Jason, von der Medea, von dem Tode des Agamemnonis, und Strafe der Klytaemnestrae, von der Danaë, Perseo, Gorgone, Cassiopea, Andromeda, Orpheo, Oreste, von Aeneae und Ulyssis Irrfahrten, von der Circe, Thelagonio und Aeolo, Palamede, Nauplio, Ajace, Daphne, Ariadne, Europa, Phädra, Pasiphaë, Daedalo, Icaro, Glauco, Atlante, Geryone und Tantalo, von Pan, Centauris, Satyris und Syrenibus und von andern berühmten Lügen, wer hat mit den nichtswürdigen Fabeln den Menschen die Gemüter angefüllt, als eben die Poeten? Ja sie sind nicht mit irdischen Dingen zufrieden, sondern sie bringen die Götter selbsten in ihre Fabeln mit ein. Beschreiben ihren Ursprung, ihren Untergang, ihren Streit, Hass, Zorn, Krieg, Verwundung, Beklagung, Liebe, böse Lüste, Hurerei, Ehebruch und Zuhaltung mit Menschen und Viehe und andere Absurditäten und[37] schändliche Sachen mehr, mit welchen sie nicht allein die Gegenwärtigen betrügen, sondern auch die Nachwelt durch solche ihre leichtfertigen Redensarten infizieren, dass sie gleichsam als durch eines rasenden Hundes Biss solcher leichtfertigen Lügen und Randen von denselben zur Unsinnigkeit dergestalt angereizt werden, dass sie hernachmals stets darinnen verharren müssen.

Denn ihre Lügen sind mit einer falschen Art und Kunst geziert, dass man sie unterweilen für wahre Historien halten muss, als wie mit dem erdichteten Ehebruch der Didonis mit dem Aenea, und mit dem von den Griechen eingenommenen Ilio. Ja, es sind Leute gefunden worden, die durch ihre leichtfertige Erdichtungen gemeinet haben, sie sässen unter den Göttern. Denn die Teufel haben vor Zeiten in den poetischen Versen Antwort gegeben, dahero die Dichter oft Propheten und Wahrsager sind genennet und ihre verlorenen Verse für Oracula gehalten worden, und ist bei den Alten von den Homerischen Versen das Homerische Glück, wie von des Virgilii seinem Carmine das Virgilische genannt worden, davon in der Beschreibung des Lebens Adriani von dem Spartiano mit mehreren gedacht wird. Von welcher Superstition heutiges Tages auch die Heilige Schrift selber und die Psalmen nicht frei sein können, zumal es von vielen Geistlichen gutgeheissen wird. Aber damit wir zu dieser Poesie oder Dichterkunst wieder recht kommen, so hat der heilige Augustinus solche von der Stadt Gottes wegzuschaffen geheissen. Der Heide Plato hat sie aus seiner Republik ausgetrieben, Cicero dieselbe aufzunehmen verboten; Sokrates hat erinnert, dass, wer seinen ehrlichen guten Namen unverletzt behalten wolle, der soll sich hüten, dass er nicht einen Poeten zum Feinde bekomme, weil er[38] nicht sowohl einen zu loben, als zu schelten und anzugiessen Gewalt hat.

Minos, der von dem Hesiodo für einen gerechten König deswegen gepriesen wurde, weil er mit den Atheniensern Krieg angefangen, hat die Poeten da durch dermassen wider sich erwecket, dass sie ihn zur Hölle relegiert haben. Von der Penelope, welche von dem Homero wegen ihrer Keuschheit ist rausgestrichen worden, schreibt Licophron, dass sie etliche Mal mit ihren Freiern zugehalten hätte. Ennius der Poet, der des Scipionis Taten gelobt, hat fingiert, dass Dido den Aeneam geliebt, welches ihm doch der Zeit nach nicht hat können bekannt sein. Welche Lügen hernachmals der Virgilius so schön geschmückt, dass dieses für eine wahre Historie ist gehalten worden. Endlich ist die Freiheit zu lügen und diese Bosheit so weit kommen, dass es die Not erfordert, ihnen gewisse Gesetze vorzuschreiben, damit dergleichen Lügen und Leichtfertigkeiten möchten im Zaum gehalten werden.

Auch ist bei den alten Römern die Erdichterkunst öffentlich für eine Schande, und derjenige, wie Gellius und Cato bezeugen, der solche studiert, für einen öffentlichen Lumpen gehalten, auch der Q. Fulvius von dem M. Catone gestraft worden, dass er, da er als Vizebürgermeister in Aetoliam ist geschickt worden, einen Poeten mit sich genommen hat. Und der römische Kaiser Justinianus hat die Professores dieser Kunst keiner Freiheit gewürdiget. Die Athenienser haben den Homerum, welchen sie den weisesten unter allen Poeten, und unter allen Weisesten den vornehmsten Poeten genannt haben, als einen Unsinnigen um 50 Drachmes gestraft, den Poeten Tyrtäum (?) aber, als einen armen Menschen und der seiner Vernunft nicht mächtig wäre, ausgelacht. Ja auch die Lazedämonier haben des Poeten Archilochi Bücher aus ihrer Stadt verwiesen. Sehet, so haben rechtschaffene Leute die Poesie als die Mutter der Lügen verachtet, und[39] also haben sie diesen Lügnern, welche sich nämlich befleissigen, nichts mehreres zu sagen oder an Tag zu bringen, als nur mit ihren zusammengeflickten Reimen und erdichteten Fabeln die Ohren der närrischen Leute zu perstringieren, begegnet; höret, was der Poet Campanus an einem andern Orte hiervon gar artig schreibt:


Vivunt carmine insani Poëtae,

Si nugas adimas, fame peribunt.

His mendacia sunt opes et aurum,

Fingunt quaecumque volunt, putantque palmam

Mentiri bene gloriosiorem.


Das ist: Es gibet zwar viel närrische Poeten, wenn man aber ihre Fabelwerke nicht achtete, müssten sie Hungers sterben. Ihr Reichtum und Güter beruhen auf lauter Lügen; sie erdichten nur, was ihnen beliebet, und halten für ihre grösste Tugend, wenn sie tapfer aufschneiden. Über dieses ist unter den Poeten der grösste Streit, nicht allein von Art der Verse, von ihrer Länge, Akzent und Aussprechung der Silben (denn über dieses streiten auch die gemeinen Grammatici) entstanden, sondern auch zugleich von ihrem unnützen Geschwätz und erdichteten Lügen selbst, nämlich von der Keule des Herculis, vom heiligen Baum, von den Buchstaben Hyacinthi, von den Töchtern Niobe, von dem Baum, unter welchem Latona die Dianam geboren hat; mehr von des Homeri Geburtsstadt und dessen Grabe, ob Homerus oder Hesiodus, ob Achilles oder Patroclus älter gewesen sei, in was für einem Habit Anacharsis der Scytha geschlafen, warum der Homerus dem Palamedi zu Ehren nicht habe ein Carmen gemacht; ob Lucanus unter die Poeten oder unter die Historiker zu setzen sei, auch vom Diebstahl des Virgilii und in welchem Monat des Jahres er gestorben, und dergleichen mehr.

Die Grammatici streiten unter sich, was für ein Autor die elegischen Verse zuerst herausgegeben, und ist dieser Streit noch die Stunde nicht geendigt. Alle Carmina aber der Poeten sind mit Fabeln angefüllet,[40] welche mit Schmeichelei oder Verleumdung die Leute zu delektieren suchen. Was die Poeten tun, sie mögen loben, mit ihren Fabeln schmeicheln, auch wiederum schelten, beissen, anklagen, und andere Leichtfertigkeiten anziehen, so sind sie doch allezeit unsinnig. Dahero hat der Democritus die Poesie nicht eine Kunst, sondern eine Raserei und Unsinnigkeit genennet.

Und dieses ist des Platonis Meinung davon: Frustra Poeticas fores compos sui pepulit; das ist: der seiner Vernunft mächtig ist, klopft umsonst an der Poesie Türen. Sie meinen, wenn sie so berauscht und unsinnig sind, dass sie wundersame Dinge vorbringen. Dahero nennt der Augustinus die Poesie einen Wein des Irrtums, welcher von den trunkenen Lehrern ist ihnen zugebracht worden; und Hieronymus tituliert die Poesie eine Teufelsspeise. Überdies ist sie gar eine schlechte und geringe Kunst, und für sich eine ungesalzene Speise, welche, wenn sie nicht mit einer andern Disziplin gekocht oder gewürzt, nichts als für ein hungrig Wesen, so sich nach andern sehnt, gehalten werden müsse, oder wie eine Maus das fremde Brot frisset. Ich weiss aber fürwahr nicht, was mitten unterm Geschwätz und Fabeln von des Tithonis Heuschrecken, von der Lyciorum Fröschen, und der Mirmidonum Fliegen, einer dieser Kunst für einen unsterblichen Ruhm und Ehre zuzuschreiben sich unterstanden hat, wenn er nachfolgendes schreibt:


Vivite felices, si quid mea Carmina possunt,

Nulla dies unquam memori vos eximet aevo.


Das ist: So lebet alle wohl und wenn meine Carmina bei euch etwas gelten, so werdet ihr ohne Zweifel bei der Nachwelt einen unsterblichen Ruhm erlangen. Welches doch wahrlich an sich selber nichts ist und auch nichts werden wird. Aber die Historici lehren uns, dass dieses Amt nicht der Poeten, sondern das ihrige sei.[41]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 36-42.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon