Kapitel LII.
De anima
oder
Von der Seelen

[186] Aber wenn wir von der Seelen etwas wollten erforschen, so würden wir sehen, wie schöne sie miteinander würden überein kommen; denn Grates Thebanus spricht, es wäre gar keine Seele, sondern die Leiber würden also von der Natur beweget; welche aber eine Seele statuieret haben, deren etliche haben dafürgehalten, dass sie das zarteste Wesen und unsern groben Leibern gleichsam eingegossen sei; etliche aber unter ihnen haben verneinet, dass sie ein feurig Wesen sei, wie der Hipparchus und Leucippus, mit welchen die Stoici etlichermassen übereinkommen, wenn sie sagen, die Seele wäre ein hitziger Spiritus, und Democritus, sie sei ein beweglicher und voller feurigen Atomis erfüllter Spiritus; andere haben gesaget, es wäre die Luft, wie der Anaximenes und Anaxagoras, der Diogenes Cynicus und Critias, ebenso welchen Varro beipflichtet, wenn er spricht: Anima est aër conceptus ore, defervefactus in pulmone, temperatus in corde, diffusus in corpus. Das ist: Die Seele ist eine Luft, welche mit dem Munde geschöpfet, in der Lunge erwärmt, im Herzen temperieret und hernach in dem ganzen Leib ausgeteilet wird.[186]

Andere sagen, sie sei aus Wasser, wie der Hippias, andere aus Erde, wie der Hesiodus und Pronopides, welchen in etwas beipflichten Anaximander und Thales, beide Mitbürger des Milesii. Andere, es sei ein gemischter Spiritus, aus der Luft und aus dem Feuer, wie der Boëthius und Epicurus; andere aus der Erde und Wasser, wie der Xenophanes, andere aus der Erde und Feuer, wie der Parmenides, andere aus dem Blut, wie Empedocles und Circias; andere, sie wäre ein subtiler Geist, der sich in den Leib austeilet, wie der Arzt Hippocrates; andere, sie wäre ein Fleisch, das durch die Sinne lebendig würde, wie der Asclepiades. Viel andere aber haben dafür gehalten, die Seele wäre kein noch so feiner Körper, sondern eine Qualität und eine Zusammensetzung des Leibes, in viel Teile ausgeteilet, wie der Zeno Citticus; und der Dicearchus beschreibet die Seele, dass sie eine Zusammensetzung der vier Elementen; Cleanthes, Antipater und Poseidonius haben gesaget, sie sei eine hitzige oder eine warme Zusammenfassung, welcher Meinung auch der Galenus Pergamenes anhänget.

Es sind auch andere, welche gesaget haben, dass die Seele nicht eine solche Zusammensetzung oder Qualität wäre, sondern dass sie als ein Punkt in einem gewissen Teile des Leibes sich aufhielte, etwan im Herzen oder im Gehirne, und daraus regierete sie den ganzen menschlichen Leib; aus welcher Zahl ist gewesen Chrysippus, Archelaus und Heraclitus Ponticus, welcher die Seele ein Licht genennet hat. So sind auch wieder andere, die noch was freier ihre Gedanken gehabt haben, nämlich, es wäre die Seele wie ein freier Punkt an keinen Teil des Leibes gebunden, sondern von einem gewissen Sitze ganz abgesondert, einem jedweden Teile des Leibes aber zugegen; ob sie entweder des Menschen Komplexion generieret oder Gott geschaffen hat, so wäre sie doch aus dem Schoss der Materie herfür gebracht worden. Dieser Meinung sind gewesen Xenophanes aus Colophon, Aristoxenes und Asclepiades der Medicus, indem sie sagen, die Seele[187] sei ein Zusammenarbeiten der Sinne; Critolaus Peripateticus, sie sei die Quinta Essentia; auch spricht Thales Milesius, die Seele sei eine unruhige und sich stets bewegende Natur; Xenocrates hat sie eine sich bewegende Zahl genennet; diesem haben gefolget die Ägyptier, welche die Seele eine Kraft und Gewalt, die durch alle Teile des Leibes wandere, genennet haben. Die Chaldäer sprechen, dass sie eine Wirkung sei ohne eine gewisse oder determinierte Form, und nehme doch alle äusserliche Formen und Gestalten auf.

Alle kommen sie in diesem Stück überein, dass die Seele sei eine wirkliche und tätige Kraft zu bewegen, oder eine hohe Harmonie oder Zusammenstimmung aller Teile des Leibes, doch also, dass sie von der Natur des Leibes dependierete. Und diesen Fusstapfen hat gefolget der teuflische Aristoteles, welcher ein neu Wort erdacht hat und die Seele Entelechiam, das ist eine Vollkommenheit des natürlichen, gegliederten Leibes, genennet, welche eine Macht des Lebens hat und demselben den Anfang zur Vernunft, zum Fühlen und zum Bewegen gibet; und dieses ist die nichtswürdige Beschreibung der Seelen dieses grossen und meistverbreiteten Philosophi, welche weder die wahre Essenz noch die Natur und Eigenschaft nach ihrem Ursprung, sondern nur etlichen Wirkungen beschreibet.

Ferner, so gibets über diese noch andere, welche gesaget haben, die Seele sei eine göttliche Substanz oder Wesen ganz vollkommen und unzerteilet, allen und jeden Teilen des Leibes insonderheit zugegen, und von Gott also herfürgebracht, dass sie bloss aus Kraft desjenigen, der sie erreget, nicht aber aus dem Schoss der Materie bestimmt wäre. Dieser Meinung sind gewesen der Zoroastes, Hermes Trismegistus, Orpheus, Aglaophemus, Pythagoras, Eumenius, Ammonius, Plutarchus, Porphyrius, Timäus, Locrus und der göttliche Plato, wann er spricht: die Seele sei eine Essenz, mit einem Verstand begabet und sich selbst bewegend. Aber der Bischof Eunomius der pflichtet teils dem Aristoteli, teils dem Platoni bei und beschreibet[188] die Seele, dass sie wäre eine incorporische Substanz in dem Leibe entsprossen, daraus er hernach alle seine Lehren gezogen hat.

Wenn Cicero, Seneca und Lactantius sind gefragt worden, was doch die Seele wäre, so haben sie gesaget, sie wüssten es nicht. Sehet ihr nun nicht, wie sie weidlich miteinander streiten und uneinig sind, wenn sie von der Essenz der Seelen und von ihrem Sitz oftermals lächerliche Sachen vorbringen und ganz untereinander variieren. Denn Hippocrates und Hierophilus halten dafür, dass sie in den Höhlen des Gehirnes ihren Sitz hätte; Democritus im ganzen Leibe; Erasistratus in der Gegend der Hirnhaut; Strato zwischen den Augenbrauen; Epicurus in der ganzen Brust; Diogenes in der Herzkammer; die Stoici mit dem Chrysippo in dem ganzen Herzen und in den Geistern, so um das Herz herumschweben; Empedocles im Blute, dem Moyses beipflichtet, indem er verboten, dass man von dem Blute nicht essen solle, weil die lebendige Seele in demselben anzutreffen wäre; Plato und Aristoteles, wie auch die andern vornehmsten Philosophi haben gemeinet, sie wäre im ganzen Leibe. Galenus aber meinet, ein jedweder Teil des Leibes hätte seine sonderliche Seele, denn also spricht er im Buch von Nutzbarkeit der Teile des Leibes: Multae animalium etiam particulae, hae quidem majores, illae minores, aliae vero omnifariam in animalium speciem indivisibiles, necessario autem iis omnibus anima quaevis indiget; corpus enim hujus organum; et propterea multum a se invicem animalium particulae differunt, quia et animae. Das ist: Es hat ein jedwedes Tier viel Teile und Gliedmassen an seinem Leibe, welche teils gross sind, teils klein, und können manche überhaupt nicht getrennet werden; also muss ein jegliches seine eigene Seele haben; denn der Leib ist Ihr vornehmstes Werkzeug; und die Tiere sind soviel unterschieden nach ihren Gliedmassen und Organen, wie auch ihre Seelen verschieden sind. Hier ist auch nicht zu übergehen die Meinung Bedae[189] des Theologi, welcher über den Marcum geschrieben und gesaget hat, der vornehmste Sitz der Seelen ist nicht nach des Platonis Meinung im Gehirne, sondern nach Christi Meinung im Herzen. Aber was sollen wir sagen von der Dauerhaftigkeit der Seelen? Democritus und Epicurus die meinen, sie werde mit dem Leibe untergehen; Pythagoras und Plato, sie sei unsterblich, aber sobald sie aus dem Leibe scheide, so käme sie alsobald wieder zu ihresgleichen. Die Stoici, so der mittleren Meinung sind, halten dafür, dass, wenn die Seele den Leib verlasse und gleichwie sie in diesem Leben gleichwohl schwach und mit keinen Kräften begabet gewesen sei, so müsste sie auch mit dem Leib zugleich wieder sterben; ist sie aber aus heroischen Tugenden formieret gewesen, so gesellet sie sich zu andern solchen Naturen und suchet noch höhere Sitze. Der Aristoteles saget, dass einige Teile der Seele, welche körperliche Sitze haben, nicht könnten von denselben separieret werden, sondern müssten mit ihnen untergehen. Der Verstand aber, welcher keines corporischen Wesens wäre, der bliebe als etwas Unvergängliches stets von diesem Vergänglichen getrennt, aber er sagets doch nicht so klar, dass die Dolmetscher nicht noch auf den heutigen Tag darüber disputieren sollten. Alexander Aphrodisäus saget offenbar, dass sie sterblich sei, und dieses saget auch aus den unsrigen Gregorius Nazianzenus; wider diese aber ist Platon, und aus den unsrigen Thomas Aquinas, welche für den Aristotelem streiten und sagen, dass er von der Unsterblichkeit der Seelen recht judizieret habe.

Averroës, der den Aristotelem stattlich kommentieret hat, der meinet, ein jedweder Mensch habe seine eigene Seele, dieselbe aber sterblich; der menschliche Geist aber, oder ob wir ihn den Verstand nennen, so sei er unter allen Umständen ewig, aber allen Menschen oder dem ganzen menschlichen Geschlechte ein einziger, welchen wir nur in unserm Leben zu gebrauchen hätten. Themistius aber spricht, dass Aristoteles nur einen motorischen Sinn angenommen habe, doch[190] vielfache sensorische; beide Arten aber seien beständig und stetswährend.

So ist es nun durch der Philosophorum Arbeit dahin kommen, dass auch unter den christlichen Theologis von dem Ursprung der Seelen ein Zank und Zwiespalt entstanden, davon etliche in denen Gedanken begriffen, dass aller Menschen Seelen vom Anfang der Welt in dem Himmel geschaffen wären, unter welchen ist der gelehrte Origenes; auch Augustinus hält dafür, dass die Seele des ersten Menschen aus dem Himmel kommen und viel älter sei, als der Leib, und weil hernach der Seelen diese Wohnung hätte angestanden, so wäre sie mit ihrem eigenen guten Willen in dem Körper verblieben, wiewohl er auch auf dieser Meinung nicht standhaftig bleibet.

Andere meinen, dass die Seele sich ex traduce oder wie eine Rebe durch Absenker vermehre; und also eine Seele von der andern, wie ein Leib von dem andern Leibe weiter zeuge; welcher Meinung Apollinaris Laodiceae Episcopus und Tertullianus, Cyrillus und die Luciferianer gewesen sind; wider diese Ketzer disputieret heftig Hieronymus. Andere meinen, die Seelen würden täglich von Gott erschaffen, welches Thomas mit diesem peripatetischen Argument behaupten will, dass, weil die Seele ist die »Form« des Leibes, so müsste folgen, dass sie nicht droben, sondern in dem Leib müsste geschaffen werden, welcher Opinion fast der ganze Haufe unserer jungem Theologen folget.

Ich will jetzo nichts darüber sagen, dass gewisse Gradus, gewisse Aufstiege und Niedergänge der Seelen sind, wie die Origenistae eingeführet, solches aber mit der Heiligen Schrift nicht bestärket haben; es ist auch solches der christlichen Lehre nicht ähnlich.[191]

Also sehet ihr, dass weder bei Philosophis, noch bei Theologis von der Seele was Gewisses statuieret worden. Denn Epicurus und Aristoteles halten sie für sterblich; Pythagoras aber spricht, sie kommt wie in einem Kreislauf wieder rum. Ja es finden sich Leute (wie an seinem Orte Petrarca saget), welche die Seele zu ihrem Leib rechnen, andere, welche sie austeilen unter die Leiber der Lebendigen; andere, welche sie dem Himmel wiedergeben; andere, welche sie auf die Erden gebannt sein lassen; es sind ihrer, die sie gar der Hölle preisgeben, es sind ihrer auch, die solches negieren. Es sind ihrer, die dafür halten, dass eine jedwede für sich, andere aber, dass sie alle zugleich geschaffen wären. Averroës ist gewesen, welcher sich unterstanden hat, hiervon was Wunderliches zu sagen, nämlich, er hat eingeführet, wie gesagt, die Einerleiheit des Verstandes. Die ketzerischen Manichäi haben gesaget, es wäre nur eine Seele in der ganzen Welt und allen gemein, sie wäre in die lebendigen und leblosen Geister eingeteilet, und dass die Leblosen wenig, die Lebendigen mehr, die Himmlischen aber am meisten partizipierten; und machen daraus diesen Schluss, dass die einzelnen Seelen nur Teile der universalen und allgemeinen Seele wären. Auch Plato statuieret, dass zwar nur eine Seele in der Welt wäre, welche sich aber hernach particulariter austeilete und die einzelnen Menschen so belebete, wie das Universum durch seine Seele belebet würde. Aber da sind andere, welche nur eine Speciem aller Seelen lehren, andere aber nicht eine, sondern zwei, die vernünftige und unvernünftige; andere aber wollen gar viel Species, andere soviel als Arten der Tiere behaupten. Galenus bat gemeinet, nach dem unterschiedene Species der Tiere wären, nach dem wären auch unterschiedene Species der Seelen, und hat überdies in einem Leibe viel Seelen behaupten wollen.

Es gibet ihrer auch, welche statuieren, dass in dem Menschen zwei Seelen wären, eine die sensitiva oder die empfindliche, welche von dem, der sie zeuget, die[192] andere intellectualis oder die verständige, welche von dem Schöpfer herkommet, genennet wird; unter welchen ist der Theologus, welcher Occam genennet worden. Plotinus gibet vor, ein anders wäre die Seele, ein anders die Vernunft, welchem auch Apollinaris folget; etliche aber halten beide für einerlei, und sagen, dass die Vernunft nur das vornehmste Stück der Seelen sei. Aristoteles aber hält dafür, dass die Vernunft nur potentia zugegen wäre, actu aber äusserlich dazu käme, und dass sie zur Natur des Menschen oder dessen wesentlichen Essenz nichts täte, sondern nur bloss zur Perfektion der Erkenntnis und der Kontemplation; derowegen hätten dieselbe gar wenig Leute, und nur die Philosophi, in welchen sie sehr actualiter wäre. Dahero ist auch ein schwerer Streit unter den Theologis entstanden; ob (welches der Platonicorum ihre Meinung ist) in dem Entseelten von denjenigen Dingen, so sie im Leben getan oder überlassen nahen, ein Denkmal oder eine Fühle überlei bleibe, oder sie aller Erkenntnis mangelten, welches die Thomistae mit ihrem Aristotele fast dafür gehalten, und die Karthäusermönche mit dem Exempel von jenem Pariser Theologe bestätiget haben, welcher, als er aus der Höllen ist wiederkommen und sie ihn gefraget, was ihm von seiner Wissenschaft noch übrig wäre, hat er geantwortet, er wüsste nichts als Strafen und hat dies Wort des Salomonis gesaget: Non est ratio, non scientia, non opes apud inferos. Das ist: Es ist keine Vernunft, keine Wissenschaft und kein Vermögen in der Höllen. Daraus haben sie geschlossen, dass bei den Toten kein Verstand noch Erkenntnis überbleibe. Welches zwar offenbar nicht sowohl wider die platonische Lehre, als wider der Heiligen Schrift Autorität und deren Wahrheit ist, weil die Heilige Schrift saget: Visuros et scituros impios, quia ipse Deus est, quin et omnium non modo factorum, sed et verborum otiosorum et cogitatuum rationem reddituros. Das ist: Die Gottlosen werden sehen und erfahren, dass ein[193] Gott sei, denn sie werden nicht nur vor ihre Taten, sondern auch vor ein jedwedes unnützes Wort, ja vor alle arge Gedanken müssen Rechenschaft geben.

Es sind ihrer auch, welche von den Erscheinungen der abgeschiedenen Seelen viel zu schreiben und fürzubringen haben, aber der evangelischen Lehre und dem heiligen Gesetze ganz zuwider; denn der Apostel verbeut, dass man selbst einem Engel, wann er auch vom Himmel käme, nicht glauben sollte, wann er anders würde sagen, als was geschrieben stehet; also ist bei ihnen das Evangelium so veralten, dass sie einem eher und mehr glauben, der vom Toten auferstanden ist, als den Propheten, Moysi, Aposteln und Evangelisten. Das wäre die Lehre und die Meinung des Reichen in der Hölle gewesen, welcher dafür gehalten, das? alsdann seine überlebende Brüder es glauben würden, wann einer eine Reise von den Toten täte und solches ihnen zu wissen machte, welchen aber in dem Evangelio widersprochen und gesaget worden: Si Moysi et Prophetis non credant, neque si quis ex mortuis mittatur, credituros. Das ist: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, so jemand von den Toten zu ihnen gesandt würde.

Gleichwohl will ich nicht der selig Verstorbenen Erscheinungen, Ermahnungen und Offenbarungen ganz und gar leugnen; aber dabei muss ich doch erinnern, dass solche oftermals sehr suspekt sind; der Satanas verstellet sich öfters in einen Engel des Lichts oder in das Bild einer gläubigen Seelen. Derowegen muss man dieses nicht zum Anker des Glaubens nehmen, sondern nur etwan sich daraus zu erbauen suchen, wie andere Sachen mehr sind, die ausser der Heiligen Schrift nur unter die Apocrypha gerechnet werden. Von diesen Geschwätzen werden viel Fabelbücher des Tundali, welche er Consolationes Animarum oder Seelentrost nennet, herumgetragen, so gibet es auch viel Prediger, welche nach diesen Exempeln das unverständige gemeine Volk in der Furcht[194] erhalten und kleine Geschenke von ihnen herauspressen.

Es hat auch vor kurzer Zeit ein französischer Protonotarius, ein Schalk und Betrüger, von einem Lyonischen Spiritu etwas Sonderliches geschrieben. Aus den lobwürdigen und berühmten Skribenten aber hat hiervon gehandelt Cassianus und Jacobus de Paradiso, ein Karthäusermönch, aber doch nicht von einer solchen Wahrheit und so einer rechtschaffenen verborgenen Weisheit, dass es uns zur Charitas und Wohlfahrt unserer Seelen dienen und dass wir uns daraus erbauen könnten; sondern haben nur bloss dadurch Almosen, Wallfahrten, Fasten und Gebete und andere Werke der Pietät erzwingen wollen, welche wir doch aus der Heiligen Schrift und aus demjenigen, was uns die Kirche gebeut, besser lernen können.

Aber von diesen Erscheinungen haben wir weitläuftiger in unserm Dialogo oder Gespräch vom Menschen geschrieben und in unsern Büchern von der verborgenen Philosophie. Aber lasset uns nur immer wieder auf die Philosophos kommen. Alle Heiden, welche dafür gehalten haben, dass die Seele unsterblich sei, die haben auch einstimmig bejahet, dass die Seele in andere Leiber wanderte und dass die vernünftige Seele wieder in unvernünftigen ihren Sitz nehme, ja gar bis zu Kräutern und zu Gewächsen, und zwar in bestimmten Zeitperioden. Und diese Transmigration hat Pythagoras am ersten statuieret; es singet auch hiervon Ovidius in seinen Metamorphosen also:


Morte carent animae, semperque priore relicta

Sede, novis domibus vivunt habitantque receptae;

Ipse ego nam memini Trojani tempore belli

Panthoïdes Euphorbus eram, cui pectore quondam

Haesit in adverso gravis hasta minoris Atridae,

Cognovi clypeum laevae gestamina nostrae

Nuper Abanteis templo Junonis in Argis.
[195]

Das ist: Die Seelen sind allerdings unsterblich und wann sie einmal ihre alte Behausung verlassen, begeben sie sich in eine andere. Ich selbsten, wie ich mich erinnere, war zu Zeiten des trojanischen Krieges der Euphorbus Panthoides, welcher von dem jungem Atriden erstochen wurde, und habe noch neulich das Schild im Tempel der Juno zu Argus gesehen.

Von dieser pythagorischen Transmigration hat geschrieben Timon, Xenophanes, Cratinus, Aristophon, Hermippus, Lucianus und Diogenes Laërtius. Jamblichus aber und viel andere mehr haben mit dem Trismegisto solches so weit gebilliget, nämlich dass die Seelen nicht von Menschen zu dess unvernünftigen Tieren und wiederum von den unvernünftigen Tieren zu den Menschen, sondern allezeit zu ihresgleichen gingen.

Aber es sind Philosophi, unter welcher Zahl der Euripides ein Nachfolger des Anaxagorae gewesen, wie auch Archelaus Physicus, und nach diesem Avicenna, welche dafür gehalten, dass die ersten Menschen wie das Kraut auf dem Felde aus der Erde herkämen; welches ebenso lächerlich ist, wie die Fabeln der Poeten, dass die Menschen aus den Zähnen der Schlangen herfürkämen. Ja es gibet ihrer auch, die die Generation ganz und gar leugnen, wie Pyrrho Eliensis; auch welche den Motum oder die Bewegung, wie Zeno, leugnen.[196]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 186-197.
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