Kapitel LV.
De politica
oder
Von der weltlichen Klugheit

[213] Zu dieser Philosophie gehöret auch die Politica, welche ist eine Kunst, die res publica oder das gemeine Wesen zu regieren. Derer aber sind drei Spezies oder Arten, nämlich die Monarchia oder die Regierung nur eines einigen, Aristocratia oder die Regierung etlicher wenigen, nämlich der Reichen oder Vornehmsten, und Democratia oder die Regierung so von dem Volke und gemeinem Manne geschicht; diesen dreien nun sind benachbart Tyrannis, Oligarchia und Anarchia, welche aber unter diesen andern vorzuziehen ist, darüber streiten die Skribenten noch auf den heutigen Tag. Denn die der Monarchia den Vorzug geben, die fundieren ihre Meinung auf die Exempel der Natur; denn sie sagen, wie im Weltall nur ein Gott ist, unter den Gestirnen eine Sonne, ein König bei den Bienen, ein Hirte bei der Herde, so muss auch in dem gemeinen Wesen nur ein König als das Haupt sein, von welchem die andern Glieder alle dependieren müssen. Diese hat für andern ästimieret Plato, Aristoteles, Apollonius, welchen von den unsrigen beipflichten Cyprianus und Hieronymus.[213]

Die aber, so die Meinung der Aristocratienzer haben, die sagen: Es wäre nichts Besseres, grosse Sachen zu administrieren, als wenn die Meisten und Vornehmsten darüber ratschlagten und eines würden: denn es kann ja nicht fehlen, dass aus vielen Guten auch gute Consilia kommen müssen, und einer alleine kann nicht allein klug genug sein, das wäre ein Werk, das Gott alleine zukäme. Dieser Meinung sind auch gewesen Solon, Lycurgus, Demosthenes, Tullius und fast alle die alten Gesetzgeber, auch Moyses selber; dieser Meinung ist auch gewesen Plato, wann er spricht: Diejenige Stadt und Republik scheinet im besten und glückseligsten Stande zu sein, welche von Weisen, wozu wir auch setzen wollen: von den Vornehmsten und Edelsten, regieret wird, und diese Meinung haben viel Vernünftige bestätigt.

Diejenigen aber, welche die popularem Republicam oder die vom Volke exerzieret wird, vorgezogen haben, die haben solche mit diesen schönen Namen genennet: Isonomiam oder die Billigkeit der Rechte. Denn hier wird alles für gemein gehalten, und alle Ratschläge werden von der Menge gefasset und gehalten, und es heisset: vox populi, vox Dei; und was von allen gebilliget wird, das ist gleichsam, als wenn es Gott geordnet hätte, und wird notwendig dafür gehalten, dass es gilt und gerecht sei. Und dieses Regiment, sagen sie, wäre viel besser und sicherer als der Optimatum oder der Vornehmsten, aus der Ursache, weil dasselbe dem Aufruhr nicht leicht unterworfen wäre. Denn das Volk ist selten untereinander uneins, die Grossen gar oft. So ist auch bei diesem Regiment eine gemeine Gleichheit und Libertät; auch hat man sich keiner Tyrannei zu befürchten, weil es keine sonderlichen Gradus der Ehren gibet, denn ein jedweder regieret wechselsweise und wird wieder regieret. Diese hat für andern gelobet Othanes Persa, Eufrates und Dion Syracusanus; und wir sehen es noch heutigen[214] Tages, dass durch diese Demokratie die Venetianer und Schweizer in der Christenheit am meisten florieren und das Lob der Vorsichtigkeit, der Macht, des Reichtums und der Gerechtigkeit, ja des Sieges davontragen; auch der Athenienser Republik, welche sich so weit und breit mächtig erstrecket hat, ist alleine durch die Demokratie regieret, und alles vom Volke und im Volke getan und verrichtet worden.

Die Römer auch, welche alle drei Arten versuchet haben, die haben die grössten Teile ihrer Macht unter der Demokratie erlanget; und haben sich niemals schlimmer befunden als unter den Königen und Optimalen, auch am allerärgsten unter den Kaisern, unter welchen alle ihre Macht Schiffbruch gelitten hat. Es ist aber gleichwohl schwer zu judizieren, welche unter diesen dreien die beste und vornehmste sei; denn eine jedwede hat ihre gewissen Verteidiger und ihre gewissen Verfolger. Aber die Könige, welchen nach ihrem Gefallen und was ihnen beliebet, ungestraft zu tun, frei stehet, die werden selten wohl regieren und oft Krieg erwecken; und führet auch die Majestät dieses giftige Übel mit sich, dass auch diejenigen, welche sonst fromm und von jedermann beliebt gewesen, wann sie zu der königlichen Dignität und Würde und zum Regiment kommen, so sind sie wegen der Freiheit, zu sündigen, die Stolzesten und Ärgsten worden. Wir haben es gesehen beim Caligula, Nerone, Domitiano, Mithridate und anderen mehr, ja auch beim Saul, David und Salomon, wie auch bei andern Königen in Juda, unter welchen gar wenig sind gelobet worden, ja aus den Königen in Samaria kein einziger. Auch die Kaiser, Könige und Fürsten heutigen Tages, die bekümmern sich nicht sowohl um die Wohlfahrt des gemeinen Wesens, des Volkes, der Bürger und um die Gerechtigkeit, als um die Erhaltung der Noblesse; und regieren oftermals so, dass die Untertanen nicht sowohl des Schutzes, als des Raubes und gänzlicher Verwüstung sich zu versehen haben, saugen ihnen die Klauen aus und gehen mit ihnen um nach ihrem Gefallen[215] und missbrauchen sich ihrer Untertanen, beschweren sie mit grossen Abgaben, Zöllen und Auflagen ohne alle Weise und Ende. Und wann es ja geschicht, dass was nachgelassen wird, so kommt es nicht dem gemeinen Wesen zum Besten, sondern vielmehr ihnen zu Nutzen; und lassen zu, dass es denen Untertanen möge besser gehn, nur damit es ihnen selbst besser ist, und dass sie nur was haben, das sie den armen Untertanen können wegnehmen. Und damit sie das Lob der Gerechtigkeit mögen wegtragen, so geben sie strenge Gesetze und bemänteln ihren Geiz mit der Gerechtigkeit; sie strafen oftermals Gesetzesübertretungen mit entsetzlichen Strafen und Vermögenskonfiskationen; sind in diesem Stücke nicht besser als Tyrannen, welche haben wollen, dass viel solche Übertreter der Gesetze sein sollen. Denn gleichwie diese Deliquenten den Tyrannen mehr zu Gewalt und Kräften helfen, also ist auch die Menge dieser Übertreter das Reichtum der Fürsten.

Als ich einstmals in Italien war, habe ich mit einem mächtigen Fürsten sehr familiar gelebet, und als ich denselben ermahnet, er sollte doch die Faktiones der Gibelliner und Guelfer zum Frieden bewegen; da hat er mir bekannt, dass er durch Gelegenheit dieser Faktionen mehr als zwölftausend Dukaten jährlich Strafe in seinen Fiscum bekäme; aber hiervon wollen wir weiter in dem Titul vom politischen Adel reden.

Wo aber bei einer Republik die Optimales oder Vornehmsten regieren, da gehet es nicht ohne Zorn, Hass, Missgunst und Eifersucht ab, und werden seilen untereinander einig im Regiment sein, und indem ein jedweder seine Meinung vor die beste hält, auch der Vornehmste sein will, da kann es ohne Privatfeindschaften nicht abgehen; da schläget es oft in Factiones, Aufruhr, Todschläge, Bürgerkriege und zu Verderben des ganzen gemeinen Wesens hinaus. Deren Exempel wir bei den lateinischen und griechischen[216] Historienschreibern genug zu finden haben; und liegen uns noch heutiges Tages vieler italienischer Städte elende Spectacul für Augen.

Die Administration aber einer Republik, die durch den gemeinen Mann geschicht, die halten die meisten für die allerärgste; und diese hat der Apollonius dem Vespasiano mit vielen Vernunftsgründen widerraten, und saget auch Cicero: bei dem gemeinen Volk ist keine Vernunft, kein Rat, kein Unterschied und keine Sorgfalt und Fleiss, wie der Poete spricht: Scinditur incertum studia in contraria vulgus. Das ist: Der wankelmütige Pöbel lässet sich leichtlich zu allem bewegen und überreden. Und Othanes Persa ist in den Gedanken gestanden, dass nichts Frechers, nichts Törichters und nichts Unvernünftigers wäre, als das gemeine Volk; es ginge ohne Rat und Vernunft auf seine Sache los, wie ein rauschender Fluss. Demosthenes nennet das Volk eine böse und schändliche Bestie, und Plato ein wild Tier mit vielen Köpfen, dessen Horatius gedenkt. Phalaris, wann er an den Egesippum schreibet, spricht: Populus omnis temerarius est, demens, desidiosus, promptissimus in quodcumque contigerit mutare sententiam, perfidus, incertus, velox, proditor, fraudulentus, voce tantum utilis, ad iram et laudem facilis. Das ist: All das gemeine Volk ist verwegen, närrisch, liederlich und andert alle Stunden seine Meinung wie das Wetter, untreu, unbeständig, hurtig zu allem Bösen, verräterisch, betrügerisch, machen viel Worte, ja es gilt ihnen gleich, ob sie einen loben oder absprechen. Daher kommt es, dass derjenige, welcher in einer Republik dem Volke will gefallen, der geht an Verleumdungen zugrunde.

Lycurgus, der lazedämonische Gesetzgeber, als er einstmals gefraget worden, warum er in der Republik den Statum popularem oder die Volksregierung nicht eingeführet hätte? hat er geantwortet: Formiere du erstlich in deinem Hause ein popularisch Regiment. Auch Aristoteles in seiner Ethica hat dafür gehalten, die Administration einer Republik, die vom Volke geschieht,[217] die sei die ärgste, die aber nur von einem, das sei die beste. Denn das gemeine Volk ist ein Fürst aller Irrtümer, ein Meister böser Sitten und ein grosser Haufe alles Übels; es lässet sich weder mit Vernunft, noch mit Autorität, noch mit gutem Rat beugen; denn von jenem verstehet es nichts, die Autorität aber verachtet es, und das letzte will nicht in sein Gehirne. Es ist obstinat, seine Sitten sind unbeständig; es ist neugierig und hasset, was gegenwärtig ist; es kann sich weder durch Rat der Weisen, noch durch Zucht der Väter, noch durch Ansehen der Obrigkeit, noch durch Majestät des Fürsten raten lassen. Beim Volke ist niemals ohne Gefahr der Weisen Rat gegeben worden; sondern es gilt und prävalieret bei ihnen allezeit die Torheit der grossen Menge, wie solches bekannt ist von dem Sokrate, als er seine Meinung von den Göttern aussprach; wie es bekannt ist von dem Trojaner Capys, als er sich der Einführung des hölzernen Pferdes widersetzte; von dem Capuaner, der Hannibal nicht in die Stadt einlassen wollte; von Paulo Emilio, welcher die Schlacht von Cannae nicht zu wagen riet. Ja es wird uns auch gewiesen in so vielen Weissagungen der Propheten des Herrn, dass das jüdische Volk nicht auf sie gehöret.

Und wie können doch des gemeinen Volks ihre Statuta und Placita gut sein, weil es selber nicht weiss, was gut ist? Denn der grösste Teil ihrer sind Handwerksleute und Handarbeiter, und ihre Beschlüsse beruhen mehr in der Zahl als in der Vernunft, oder in der Billigkeit und Gerechtigkeit; wie Plinius der Jüngere spricht: Numerantur enim sententiae, non ponderantur. Das ist: Ihre Vota oder Meinungen werden gezählet, aber nicht gewogen.

Denn nicht was den Weisen, sondern was dem grössten Teile gut deucht, das halten sie für das Wichtigste; und weil sie einander alle für gleich halten, so ist unter ihnen nichts weniger gleich, als die Gleichheit selbsten. Es kann durch ihre impetuosen Einfalle nichts Heilsames eingesetzet werden; wann[218] einmal etwas ruinieret ist, wird es nicht wieder hergestellet; und was gut eingerichtet war, was Bestand haben sollte, das wird eher durch des Volkes Freiheit wieder übern Haufen gestossen.

Jedoch aber unter diesen unterschiedenen Administrationen einer Republik haben manche eine vorgezogen, die aus zwei Arten gemischet war; die nennen sie Politiam, dergleichen Solon eine eingerichtet, teils aus den Vornehmsten, teils aus dem Volke, und beiden ihre gebührende Ehre gegeben hat. Es sind ihrer auch, die aus allen dreien eine Mixtur machen, dergleichen der Lazedämonier ihre Republik gewesen; denn der König war bei ihnen stetswährend, aber er herrschete nur zur Zeit des Krieges; dabei war nun auch ein Rat aus den Vornehmsten, Altesten und Reichesten; so erwählten sie auch aus dem Volke zehn Zunftmeister, die stets blieben und über Tod und Leben Macht hatten, und den gemeinen Rat des gemeinen Volks repräsentierten. Bei den Römern war vor Zeiten die Democratia vermischet mit der Aristocratia; denn viel wurde entschieden bei dem Volke und einiges bei dem Rate.

Heutiges Tages regieren Könige, Fürsten und Herren nach ihrem Gefallen, doch nehmen sie die Optimates oder die Vornehmsten im Lande zu Regierungsräten an. Daher entspringet diese Frage: welche Republik gesicherter sei, ob die, in welcher ein guter Fürst, aber böse Räte, oder in welcher ein böser Fürst und gute Räte sind? Marius Maximus und Julianus Capitolinus und andere mehr haben das erste erwählet, denen doch andere und zwar wackere Autores nicht beigepflichtet, sondern widersprochen haben. Denn die Erfahrenheit hat's gegeben, dass öfters mehr die bösen Räte von einem frommen Fürsten, als ein böser Fürst von frommen Räten sind bekehret worden. Endlich aber, dass wir zum Zweck kommen, so sage ich, dass eine Republik am besten kann regieret werden,[219] wann keine Philosophie, keine Kunst und keine Wissenschaft, sondern die Redlichkeit derjenigen, so sie regieren, die Überhand hat. Denn es regieret Einer wohl, es regieren ihrer Wenige wohl, es regieren auch Alle wohl, wenn sie gut und fromm sind, übel aber, wenn sie böse sind. Aber das überwindet alle Verwegenheit der Bosheit, dass diejenigen, die da ackern oder das Vieh hüten oder das Schiff regieren oder ihrem Hauswesen vorstehen oder ihre Kinder erziehen sollen, die gestehen oft ganz ungescheut, dass sie einer solchen Aufgabe nicht gewachsen seien, weil sie ackern usw. nicht gelernt haben oder nicht Kräfte genug haben; handelt es sich aber darum, das Amt eines Königs, eines Fürsten, eines Staatsdieners auszuüben, handelt es sich um das Schwerste gar, Führer einem Volke zu sein, da gibet es keinen, der glaubte, die Natur hätte ihm solche Kunst versaget.

Was aber die Wissenschaft von den bürgerlichen Gesetzen anlanget, durch welche alle Republiken und Städte bestehen, regiert werden, sich erhalten und wachsen, davon wollen wir weiter unten reden.[220]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 213-221.
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