Kapitel LXXII.
De mercatura
oder
Von der Kaufmannschaft

Die Kaufmannschaft ist an sich selbsten eine sehr listige Aufspürerin des heimlichen Gewinstes und ein begieriger Schlund des offenbaren Raubes; sie ist niemals glückselig im Genughaben, aber elend in der Begierde, mehr zu erlangen; doch bringet sie einer Republik nicht wenig Vorteil und Hilfe, sie ist bequem, mit andern und ausländischen Königen und Völkern sich in Freundschaft einzulassen, auch dem Privatleben gar nützlich und nötig, wie die meisten dafür gehalten haben. Plinius meinet, sie wäre zu unserer Leibesnahrung erfunden, derowegen haben vornehme und auch weise Leute solche zu exerzieren sich nicht gescheuet; unter welchen (wie Plutarchus Zeuge ist) sind gewesen Thales, Solon, Hippocrates. Aber obwohl man einer Kunst und Wissenschaft nachstreben mag, entweder wegen der Lust oder wegen der Arbeit oder wegen der Tugend und Ehrbarkeit oder wegen der Wahrheit und Gerechtigkeit, so sind doch nicht alle diese, ob sie gleich notwendig, gewinnhaftig und angenehm sind, deswegen auch ehrbar, löblich und gerecht. Also ist der Kaufleute ihr Tun[1] sowie der Wucherer, Wechsler, der Hausierer zwar ein notwendiges Wesen, auch nützlich und mühesam; aber es kann doch nicht anders als ein servilischer, unflätiger und böser Gewinst genennet werden; denn nicht die Kunst, sondern der Betrug selbsten wird hier gekaufet und verkaufet, welches aber nicht ein Tun eines aufrichtigen, rechtschaffenen und gerechten Mannes, sondern eines obskuren, verschmitzten und betrügerischen Menschen ist. Denn alle Krämer und Kaufleute, die kaufen zu dem Ende ein, dass sie solches wiederum teuer und weit über das angelegte Kapital verkaufen wollen, und der ist unter ihnen der vornehmste, welcher nur wacker schinden und schaben und den grössten Profit machen kann; bei ihnen ist Lügen, falsch Schwören und Betrügen gemein; sie halten es auch für keine Schande noch Scham, und sprechen wohl gar, es sei ihnen von Rechts wegen vergönnet und nachgelassen, dass einer den andern bis auf die Hälfte des Wertes vervorteilen und betrügen mag, und niemand zweifelt auch daran; denn ihr ganzes Leben ist auf nichts anders, als auf Gewinst und Reichtum gerichtet. Es gehen aber dabei solche schändliche Laster vor, die billig Strafens wert sind; niemand wird reich ohne Betrug, und wie Augustinus spricht: Niemand kann einen Gewinst haben, wann er nicht Betrügerei suchet.


– – – Et plenius aequo,

Laudat venales, quas vult extrudere merces.


Das ist: Ein Kaufmann lobet seine Waren mehr als sie wert sind. Und ein anderer Poet saget:

Perjurata suo postponit numina lucro Mercator, Stygiis non nisi dignus aquis. Das ist: Der ungewissenhafte Kaufmann setzet alle Gottesfurcht hintan und schwöret sich mit Leib und Seele in die Hölle hinein. Dahero kaufet dieser, jener verkaufet, dieser bringet, jener träget weg, dieser machet Schulden,[2] jener nimmet Schulden, dieser gibet, jener bezahlet. Alle aber schwören falsch, betrügen und belügen, da setzen sie alle Gefahr der Seelen, des Leibes und des Glückes aus den Augen; wann sie nur einen Gewinst zu hoffen haben, so gilt weder Freundschaft noch Verwandtschaft, wann es nur Nutzen bringet; also suchen sie die ganze Zeit ihres Lebens doch nur Gewinst, und können keine bessere Ruhe und Vergnügung in ihrem Leben haben, als den schändlichen Gewinst; sie laufen und rennen dieses schnöden Gewinstes wegen die ganze Welt durch: Impiger extremos currit mercator ad Indos, Per mare pauperiem fugiens, per saxa, per ignes. Das ist: Der hurtige Kaufmann reiset über Wasser und Land bis in Indien hinein, und fürchtet aus Angst vor der Armut keine Gefahr, wo er weiss was zu erwerben.

Aber ihr Betrug bestehet meistenteils in der Wolle, im Lein, in Seiden, im Tuch, im Purpur, in Edelgesteinen, im Gewürze, im Wachs, im Öl, im Wein, im Getreidig, in Pferden, in andern Tieren und in andern Sachen mehr, die Handel und Wandel unterworfen sind, welches mancher mit seinem eigenen Schaden wohl gewahr wird; aber das sind nur erst Bagatellen und kleine Sachen, die grössten und vornehmsten sind noch zurücke.

Die Kaufleute sind dieselben, welche der Welt so viel Fallstricke legen durch die Einfuhr – bis vom Ende der Erde – schädlicher Waren, darnach unsere Weiber und Kinder wegen ihrer Rarität einen Appetit bekommen, ob sie gleich zu keiner Notwendigkeit des menschlichen Geschlechts oder Lebens, sondern nur zu Pracht, Hoffart und Übermut, zum Spiel und Wollust dienen und hergebracht werden. Sie putzen ganze Länder und Königreiche ums Geld, verderben gute Sitten und führen neue Moden und durch dieselben neue Laster ein, jagen die alten, guten Gebräuche aus, und indem sie sich stets neuer und fremder Sachen befleissigen, so erfüllen sie das ganze Land mit bösen Gebräuchen und ärgerlichen Gewohnheiten.[3] Diese sind's, welche wider die Rechte, wider die Billigkeit und heilsame Gesetze Kompagnien schliessen und aufrichten, Monopolia exerzieren, alles versuchen und ausdenken, wie sie in einer Republik der Gemeine ihr Geld mögen an sich ziehen, indem sie mit ihrem Gelde andere suchen zu überwägen, und vor ihnen den Vorzug zu bekommen; sie lassen andere nebst ihnen nicht aufkommen, und durch ihr hohes Gebot suchen sie die Sachen zu überteuern; sie kaufen alles allein ein, damit sie hernach, nach ihrem selbst eigenen Gefallen damit wacker schinden und schaben, und die armen Leute um ihr Geld bringen können. Will's aber etwa übel mit ihnen ablaufen und der Kredit sich abschneiden, so scharren sie gross Geld zusammen, halten nicht Wort, machen banca rotta, und gehen aus der Stadt und Land in ein anders, werden Flüchtige und Landläufer und kommen nicht wieder, und betrügen ihre Gläubiger, dass diese oftermals aus Desperation und Verzweiflung den Strick sich erwählen.

Die sind's, welche mit ihren Wechseln und Obligationen die Bürger ineinander wickeln, und über die Schulden solche verzweifelte Versicherungen sich tun lassen, dass sie wie tiefe Wurzeln nicht können wieder ausgerottet werden. Aus Schulden gebären sie wieder andere Schulden, kehren ganze Städte um und verderben sie, und sind auf ihr Interesse, oder vielmehr auf ihren Wucher und Schund dermassen erpicht und also ergeben, dass sie die ganze Substanz und was das Volk noch etwa übrig hat, auch vollends aufzufressen gedenken; sie beschneiden auch wohl gar die Münzen, oder nach ihrem Gefallen setzen sie den Geldwert runter und erhöhen ihn wieder, und solches alles mit grossem Schaden einer Republik und des gemeinen Wesens. Diese sind's, welche der Fürsten Secreta ausforschen und der Stände Consilia und Beratschlagungen den Feinden zu wissen machen, und stellen oftermals Gewinsts wegen dem Fürsten nach dem Leben. Oder was unterfangen sie sich nicht, wann[4] sie nur Geld und Gut erlangen können? Alle ihr Tun und Trachten ist Betrug, Lügen, Ausforschungen, Täuschungen und nichts als offenbare Vervorteilungen. Dahero haben die Carthaginenser denen Kaufleuten absonderliche Wohnungen zugeordnet, und haben nicht gewollt, dass sie mit den andern Bürgern eine Gemeinschaft haben sollten; es wurde ihnen ein gewisser Gang auf den Markt und auf die Börse zu gehen zugelassen; an die Schiffswerften aber und andere heimliche Örter der Stadt durften sie nicht kommen; die Griechen aber nahmen sie gar nicht in die Stadt, auch damit die andern von dem Argwohn der Gefahr frei wären, so richteten sie ihnen nahe bei dem Zwinger der Stadt gewisse Märkte auf, da sie kaufen und verkaufen möchten. Viel andere Völker mehr liessen die Kaufleute nicht zu sich kommen, weil sie sich befurchten, dass sie ihren guten Sitten und Gebräuchen möchten Schaden bringen. Die Epidaurii, wann sie gemerket haben, dass ihre Bürger durch den kaufmännischen Verkehr mit den Slavoniern zu mutwillig, und dass ihre gute Sitten durch Einführung fremder Sitten möchten angestecket werden, so haben sie einen aus ihrer Mitte, einen rechtschaffenen wackern Mann erwählet, der alle Jahr einmal nach Slavonien reisen und nachforschen müssen, was ihre Bürger allda negotiieret und gehandelt haben wollten. Plato schilt die Kaufleute, und nennet sie Verderber der guten Sitten, und stehet in den Gedanken, dass man bei einer wohlgefassten Republik öffentlich verbieten soll, damit nicht neue Moden oder anderer Völker Delikatessen (deliciae) in die Stadt gebracht werden möchten; auch gab er nicht zu, dass einer von den Bürgern, wann er nicht vierzig Jahre alt war, in fremde Lande reisen dürfte; auch sollten keine Fremden zu ihnen eingelassen werden, damit sie nicht etwan durch eine fremde Seuche die Sparsamkeit und Sitten der[5] guten alten Zeit möchten anstecken, die Bürger dieselben verlernen und hernach einen Ekel dafür haben, wodurch wackere Städte sind ruinieret und mit grausamen Lastern, als Hurerei, Ehebruch, Hoffart und Verschwendung beflecket worden. Lyon und Antwerpen, beide treffliche und sehr berühmte Handelsstädte, haben dafür heutiges Tages ein Exempel von sich geben.

Auch Aristoteles selbsten befiehlet, dass man soll Achtung haben, damit ja nicht fremde Sachen in eine Stadt einschleichen möchten; und ob man schon, spricht er, die Kaufleute haben muss, so soll man sie doch nicht zu Bürgern annehmen; und man soll sich deswegen für sie hüten, weil sie lügen und in den Städten alles teuer machen, auch oftermals Zank und Tumult erwecken. Bei vielen Republiken ist ein alt Gesetz, dass ja kein Kaufmann in den Rat möchte gezogen werden oder das Amt einer Magistratsperson bekleiden sollte. So ist auch endlich die Kaufmannschaft, nach Meinung bewährter Theologen, ganz und gar verdammet, und nach den päpstlichen Konstitutionen und der heil. Väter Dekreten, als nach dem Gregorio, Chrysostomo, Augustino, Cassiodoro und Leone allen Christen fast verboten worden; denn wie Chrysostomus spricht: Mercator Deo placere non potest. Ein Kaufmann kann Gott nicht gefallen. Derowegen soll billig ein Christ kein Kaufmann sein, oder, da er ja einer werden will, soll er aus der Kirchen gestossen werden. Augustinus spricht: Ein Kaufmann und ein Soldat, der kann nicht wahre Busse tun.[6]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 2, S. 1-7.
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