X, 10. [836.] Gespräch zwischen Jama und Jamī.[296] 291

Jama und Jamī (Zwillingsbruder und Zwillingsschwester) sind das erste Menschenpaar, nach Vers 4 Kinder des Gandharva und der Meerfrau, sonst auch als Kinder des Vivasvat und der Saranju dargestellt. Die ungeraden Verse (hier durch Gänsefüsschen bezeichnet) spricht Jamī, die geraden Jama.


1.292 »Zur schuld'gen Freundschaft will den Freund ich locken;

durch Luft und Meer auch würd' ich zu ihm eilen;

Der holde setze her den Spross des Vaters,

hinblickend auf den künft'gen Stamm auf Erden.«

2. Dein Freund verlangt nach solcher Freundschaft nimmer,

als wär die gleichentsprungne fremden Ursprungs,

Des grossen Geistes Söhne, seine Mannen,

des Himmels Träger können weithin schauen.

3. »Die Götter eben sind's, die dieses wollen,

vom einzigen der Menschen einen Sprössling;

Es ist uns eng geschlossen Seel' an Seele,

so geh als Gatte in der Gattin Leib ein.«[296]

4.293 Wie? sollen jetzt wir thun, was nie wir thaten,

das Rechte redend doch dem Unrecht fröhnen?

Gandharva in dem Luftmeer und die Meerfrau

sind Aeltern uns, und wir die Nächstverwandten.

5. »Im Mutterleib schon zeugte uns zu Gatten

Gott Tvaschtar, der gestaltenreiche Bildner,

Und dessen Ordnung darf man nicht verletzen,

dess sind uns Zeugen Himmel auch und Erde.«

6. Wer hat von diesem ersten Tage Kunde?

wer sah ihn? und wer mag es hier verkünden?

Gross ist die Schöpfung Varuna's und Mitra's.

Was sprichst du, üpp'ge, fälschlich von den Männern?

7. »Mich, Jamī, hat zum Jama Lust ergriffen,

mit ihm vereint zu ruhn in gleichem Bette;

Ich geb' mich hin als Gattin dir dem Gatten,

wir woll'n uns tummeln wie des Wagens Räder.«

8. Nie stehen diese still noch schlummern je sie,

die hier umwandern als der Götter Späher;

Geh, lüsterne, zu einem andern eilig

und tummle dich mit dem wie Wagenräder.

9. »Sie will bei Tag und Nacht ihm gern bereit stehn,

der Sonne Auge mög' ein Weilchen schlummern,

Gleich Erd' und Himmel paaren sich Geschwister;

gern will des Jama Blutschuld Jamī tragen.«

10. Wohl mögen kommen spätere Geschlechter,

wo Blutsverwandte Blutschuld auf sich laden,

So schlinge fest den Arm um einen Gatten,

wähl' einen andern dir, als mich, o Schöne.

11. »Was ist der Bruder, wenn er ohne Schutz lässt,

und was die Schwester, wenn ihr naht Verderben,

Von Lieb' ergriffen fleh' ich stets dies eine,

lass deinen Leib mit meinem sich vermischen.«

12.294 Nicht will mit deinem Leib ich meinen mischen,

für sündhaft gilt's, der Schwester sich zu gatten

Mit anderem als mir geniess der Freuden,

danach verlangt dein Bruder nicht, o schöne.

13. »Ein Stein fürwahr bist Jama du, und niemals

hab ich dein Herz und deinen Sinn gewonnen,

Ein andres Weib wird wie das Ross der Leibgurt

und wie den Baum die Ranke dich umschlingen.«

14. So sollst auch du umschlingen einen andern,

und er auch dich so wie der Baum die Ranke;

Gewinne dessen Sinn und er den deinen,

und schliess mit ihm die glücklichste Vermählung.

Quelle:
Rig-Veda. 2 Teile, Leipzig 1877, [Nachdruck 1990], Teil 2, S. 296-297.
Lizenz:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon