Das wahre Licht des Menschen ist der Purusha

[76] Yâjnavalkya kam zu Janaka, dem Fürsten der Videha, in der Absicht, sich mit ihm zu unterreden. Als Janaka, der Fürst der Videha, und Yâjnavalkya bei dem Agnihotra sich unterredeten, sagte Yâjnavalkya1 diesem die Erfüllung eines Wunsches zu. Janaka wählte die Erlaubnis, nach Belieben Fragen zu stellen. Diese gewährte er ihm. Da befragte ihn zuerst der Großkönig:

›Yâjnavalkya, was dient dem Menschen als Licht?‹

»Die Sonne, Großkönig, dient dem Menschen als Licht«, sprach er; »denn beim Licht der Sonne sitzt er, geht er umher, arbeitet er, kehrt er zurück.«[76]

›So ist es, Yâjnavalkya.‹

›Wenn aber, Yâjnavalkya, die Sonne untergegangen ist, was dient dem Menschen als Licht?‹

»Der Mond, Großkönig, dient dem Menschen als Licht«, sprach er; »denn beim Licht des Mondes sitzt er, geht er umher, arbeitet er, kehrt er zurück.«

›So ist es, Yâjnavalkya.‹

›Wenn aber die Sonne untergegangen ist, Yâjnavalkya, wenn der Mond untergegangen ist, was dient dem Menschen als Licht?‹

»Das Feuer, Großkönig, dient dem Menschen als Licht«, sprach er; »denn beim Licht des Feuers sitzt er, geht er umher, arbeitet er, kehrt er zurück.«

›So ist es, Yâjnavalkya.‹

›Wenn aber die Sonne untergegangen ist, wenn der Mond untergegangen ist, wenn das Feuer erloschen ist, was dient dann dem Menschen als Licht?‹

»Die Stimme, Großkönig, dient dem Menschen als Licht«, sprach er; »denn beim Licht der Stimme sitzt er, geht er umher, arbeitet er, kehrt er zurück. Daher geht man, Großkönig, wenn man nicht einmal seine Hand erkennen kann, dorthin, wo eine Stimme ertönt.«

›So ist es, Yâjnavalkya.‹

›Wenn aber die Sonne untergegangen ist, wenn der Mond untergegangen ist, das Feuer erloschen ist und die Stimmen schweigen, was dient dann dem Menschen als Licht?‹

»Das Selbst, Großkönig, dient dem Menschen als Licht«, sprach er; »denn beim Licht des Selbst sitzt er, geht er umher, arbeitet er, kehrt er zurück.«

›Was ist das für ein Selbst?‹

»Es ist der aus Erkenntnis bestehende, inmitten der Hauche2 drinnen im Herzen leuchtende Purusha3. Dieser durchwandert, immer sich gleichbleibend, beide Welten. Er scheint nachzusinnen, er scheint sich zu bewegen. Voller Gedanken, zum Traum geworden, überschreitet er diese Welt.[77]

Wenn dieser Purusha bei seiner Geburt in einen Leib gelangt, verbindet er sich mit allerlei Übel. Wenn er auszieht und stirbt, verläßt er die Übel, des Todes Gestalten.

Dieser nämliche Purusha hat zwei Standorte; den in dieser und den in jener Welt; dazwischen einen dritten, den im Traum. Wenn er auf diesem Zwischenstandort steht, übersieht er beide, den in dieser und den in jener Welt.«

1

Nach einer anderen Erzählung hatte der König sich allen Brahmanen überlegen gezeigt und den Y. in die Geheimnisse des Agnihotra eingeweiht.

2

Brihad-Âr. II, 1, oben S. 60.

3

Prashna 6, 2.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 76-78.
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