Die dreifache Geburt des Âtman

[140] Der Âtman befindet sich anfangs als Keim im Manne. Sein Same ist dessen aus allen Gliedern gesammelte Kraft. Er trägt in sich selbst den Âtman. Wenn er den Samen in die Frau ergießt, bringt er ihn zur Geburt. Das ist seine erste Geburt.

Er verschmilzt mit der Frau zur Einheit. Als wäre sie sein[140] eigener Leib, so verletzt er sie darum nicht. Sie hegt dieses sein Ich, das in sie eingegangen ist. Weil sie es hegt, ist sie selbst zu hegen. Sie trägt es als Keim. Er weiht den Knaben zuerst1 vor der Geburt. Wenn er den Knaben vor der Geburt weiht, hegt er sich selbst zur Fortdauer der Welt. So dauern die Welten fort. Das ist seine zweite Geburt. Dieses sein Ich2 wird eingesetzt, um die heiligen Werke zu vollbringen. Sein anderes Ich, das seine Pflichten erfüllt hat und alt geworden ist, scheidet ab. Bei seinem Scheiden von hier wird er wiedergeboren. Das ist seine dritte Geburt.

Von einem Propheten ist gesagt worden:

›Schon im Mutterleibe kannte ich alle Geschlechter der Götter; mich bewachten hundert eherne Burgen, da schoß schnell ein Adler hervor‹3.

So hat noch im Mutterleibe befindlich Vâmadeva gesprochen. Mit diesem Wissen stieg er nach Trennung von seinem Leibe empor, erlangte er alle Wünsche in jener Himmelswelt4 und wurde unsterblich, wurde unsterblich.


(II)

1

Durch die verschiedenen Weihen während der Schwangerschaft.

2

Sein »Selbst«, der Sohn.

3

Falsch verstandener und angewendeter Vers.

4

Das zeigt, daß die dritte Geburt auf sein Eingehen im Himmel zu beziehen ist. Erste Geburt: Empfängnis; zweite: durch die Weihen und wirkliche Geburt; dritte: in der Himmelswelt.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 140-141.
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