Dritter Wunsch:

[160] (Naciketas:) Es besteht ein Zweifel hinsichtlich des verstorbenen Menschen. Die einen sagen: ›Er ist‹; die anderen sagen: ›Er ist nicht.‹ Von dir belehrt, möchte ich darüber Aufschluß haben, das ist der dritte meiner Wünsche.

(Yama:) Auch die Götter hatten einst hierüber Zweifel; denn man kann das nicht leicht ergründen; das ist ein sehr feines Gesetz. Bitte dir einen anderen Wunsch aus; bedränge mich nicht, erlaß mir diesen.

(Naciketas:) Auch die Götter hätten einst hierüber Zweifel gehegt? Sagst du, Todesgott, es sei nicht leicht zu ergründen und solch ein Lehrer wie du ist sonst nicht zu finden, dann kommt kein anderer Wunsch diesem gleich.

[160] (Yama:) Erwähle dir Söhne und Enkel, die ein volles Jahrhundert leben, reichlich Vieh, Elefanten, Gold und Rosse. Erwähle dir eine große Fläche Landes und lebe selbst so viel Herbste, als du wünschest.

Wenn du das für einen angemessenen Wunsch hältst, wähle dir Besitz und langes Leben. Sei Herr über ein großes Land, und aller Genüsse mache ich dich teilhaftig10.

Fordere nach Belieben alle Genüsse, die in der Welt der Sterblichen schwer zu erlangen sind; liebliche Mädchen hier und mit ihnen Wagen und Musik, wie die Menschen sie nicht erlangen. Ich gewähre sie; laß dich von ihnen bedienen. Naciketas, nach dem Sterben frag mich nicht.

(Naciketas:) Das sind, o Todesgott, für den Menschen Genüsse, die morgen nicht mehr sind11. Sie nehmen all seinen Sinnen die Schärfe. Kurz ist unser ganzes Leben. Behalte dir Wagen, Tanz und Gesang.

Der Mensch läßt am Besitz sich nicht genügen. Wenn wir dich gesehen haben, werden wir besitzlos sein12. Wir werden leben, solange du es gebieten wirst. Der Wunsch, den ich mir ausbitte, bleibt der gleiche.

Wie möchte ein alternder Mensch in übler Lage, der zur Kenntnis der nie alternden Götter gekommen ist, noch an die Freuden des Trivarga (Erwerb, Liebe, Dharma) denken und an einem überlangen Leben Gefallen finden13?

Das künde uns, worüber die Menschen in dieser Welt Zweifel hegen, wie es um die große Frage des Jenseits steht. Diesen Wunsch, der ins Verborgene dringt, keinen anderen wählt Naciketas.

10

Auch das ist ein eingeschobener Vers, der den Sinn des vorhergehenden umschreibt. Durch Weglassung dieses und der früheren drei Verse wird diese Vallî auf den Umfang der zweiten gebracht.

11

Whitney, Transactions of the American Philological Association 21, 97 schlägt shvo 'bhâvâs vor, was annehmbar ist und auch in der Punaer Ausgabe steht.

12

›Wir werden Besitzlosigkeit erlangen‹: 'vittim für vittim schlägt Geldner vor.

13

ZDMG. 68, 579ff.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 160-161.
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