XII (Adhyâya 36).

Vers 1302-1321 (B. 1-20).

[85] Arjuna sprach:


1. (1302.) Die, welche in dieser Weise immerfort hingegeben dir in Verehrung huldigen, und die, welche dem Unvergänglichen, Unoffenbaren huldigen, welche von diesen sind am meisten der Hingebung (yoga) kundig?


Der Heilige sprach:


2. (1303.) Die, welche ihren Geist in mich vertiefen und mich in beständiger Hingebung verehren, erfüllt von dem höchsten Glauben, diese sind es, welche ich für die mir am meisten Hingegebenen erachte.

3. (1304.) Die hingegen, welche das Unvergängliche, Unaussprechliche, Unoffenbare verehren, das Allgegenwärtige und Unausdenkbare, das Allerhöchste, Unwandelbare, Feste,

4. (1305.) indem sie die Schar der Sinnesorgane bändigen und auf alle Dinge mit Gleichmut blicken, auch diese an dem Wohlsein aller Wesen sich Freuenden gelangen sicherlich zu mir.[86]

5. (1306.) Aber grösser ist die Mühe derer, welche ihren Geist an das Unoffenbare anhängen, denn nur schwer ist der unoffenbare Weg für die Verkörperten zu erlangen.

6. (1307.) Die aber, welche alle ihre Werke auf mich werfen und mich für das Höchste erachten, mich mit einer auf nichts anderes gerichteten Hingebung meditieren, verehren,

7. (1308.) für diese, die ihren Geist in mich versenken, werde ich, o Sohn der Pṛithâ, alsbald zum Erretter aus dem Ozean des Todes und der Seelenwanderung.

8. (1309.) Mir also gib deinen Sinn hin, in mich vertiefe deinen Geist, so wirst du bei mir Wohnung nehmen nach diesem Dasein, daran ist kein Zweifel.

9. (1310.) Kannst du aber dein Denken nicht dauernd in mich versenken, dann suche mich, o Beutemacher, wenigstens durch Hingebung an die Übung zu erreichen.

10. (1311.) Bist du aber auch zu dieser Übung nicht fähig, so halte dich an die mir geweihten Werke, denn auch, wenn du um meinetwillen die Werke vollbringst, wirst du die Vollendung erreichen.

11. (1312.) Bist du aber auch dieses zu tun und der Hingebung an mich zu leben nicht imstande, so bezwinge deinen Geist und leiste wenigstens Verzicht auf die Frucht aller Werke.

12. (1313.) Denn höher als die Übung steht das Erkennen, höher als das Erkennen die[87] Meditation, höher als die Meditation die Entsagung in betreff des Lohnes der Werke, der Entsagung folgt der Friede auf dem Fusse.

13. (1314.) Wer gegen alle Wesen ohne Hass, freundschaftlich gesinnt und mitleidvoll ist, frei von Selbstsucht und Ichbewusstsein, gleichmütig in Lust und Leid, geduldig,

14. (1315.) zufrieden, immer hingegeben, bezähmten Selbstes und festen Entschlusses auf mich gerichtet mit Sinn und Geist und mir ergeben ist, der ist mein Freund.

15. (1316.) Von dem die Menschen nicht beunruhigt werden und wer von Menschen nicht beunruhigt wird, wer frei von den Beunruhigungen der Freude, des Verdrusses und der Furcht ist, der ist mein Freund.

16. (1317.) Wer, ohne die Welt zu beachten, rein, tüchtig, gleichgültig, frei von Erregung, auf alle Zwecke verzichtend sich mir hingibt, der ist mein Freund.

17. (1318.) Wer nicht sich freut und nicht hasst, nicht trauert und nicht begehrt und verzichtend auf Angenehmes und Unangenehmes voll Hingebung ist, der ist mein Freund.

18. (1319.) Wer gleichgültig ist gegen Feind und Freund, gegen Ehre und Schande, gegen Kälte und Hitze, gegen Lust und Schmerz, frei von Anhänglichkeit,

19. (1320.) wer gleichmütig ist bei Tadel und bei Lob, still, zufrieden mit allem, wie es kommt,[88] ohne Heimat, festen Glaubens und voll Hingebung, der ist mein Freund.

20. (1321.) Die aber, welche dieses heilige, von mir mitgeteilte Amṛitam (Ambrosia) verehren und im Glauben mir anhängen und huldigen, die sind vor allen meine Freunde.


So lautet in der Bhagavadgîtâ die Hingebung an die Verehrung (bhakti-yoga).

Quelle:
Der Gesang des Heiligen. Eine philosophische Episode des Mahâbhâratam. Leipzig 1911, S. 85-89.
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