§ 31.

[82] Die Anschauung (in ihrer Ursprünglichkeit) ist, wie bekannt, Quantitabilität; ebenso aber hat sich gezeigt, dass alle Quantitabilität im absoluten Wissen als zufällig, auch nicht seyn könnend (vergänglich und wandelbar, nicht ewig) gesetzt ist: – demnach, wenn sie doch ist, dass sie zu setzen ist, als anzuknüpfen an einen Grund, und zwar, da es Quantitabilität ist, an die Freiheit. Hier demnach liegt das verbindende, höher führende Glied; an das Denken des Zufälligen knüpft sich das Denken der Freiheit, und inwiefern diese Zufälligkeit als Quantitabilität schlechthin, als absolute Quantitabilität gedacht wird, der absoluten Freiheit.

Um diese Quantitabilität (die an sich eben nur Form der Quantität ist, welche aber, um den kommenden Gedanken auch nur fassen zu können, ich nicht nur erlaube, sondern sogar ersuche, als möglicherweise bestimmt, unter der auch seltsam bekannten Form der Bestimmtheit, zu denken) – um sie als zufällig auch nur fassen zu können, müsste die Anschauung[82] in ihr selbst ihre Entstehung beschreiben, nachmachen; sie müsste sich, als von der absolut leeren und in sich zerfliessenden Anschauung aus, sich beschränkend auf diese Quantitabilität bilden, diese also zu einem Producte der Freiheit, innerhalb des Wissens und Bildens, machen. Nicht, als ob sie dadurch erst würde; sie soll sich ja mit dem reinsten Ursprunge des Wissens finden, und wenn sie als entspringend gedacht wird, von allem wirklichen Bewusstseyn vorher entsprungen seyn; sondern dass sie dadurch eben zufällig wird. (Die Sache ist an sich sehr leicht: es ist der Form nach dieselbe Operation, die wenigstens wir gebildeteren Menschen alle vornehmen können, wenn wir unsere Vorstellung des Dinges vom Dinge unterscheiden, – ohnerachtet man wohl annehmen kann, dass z.B. Wilde, Kinder, auch das nicht können, sondern im staunenden Bewusstseyn ihnen Beides verschmilzt und nicht auseinander geht. Nun soll hier dieselbe Operation, nur nicht an einem einzelnen Objecte, sondern an dem absoluten Grunde aller Objectivität, an der Quantitabilität selbst vorgenommen werden Dies geschieht, der Form nach, selbst mit Freiheit. Wer es nicht vollzieht, dem wird diese Anschauung nicht Object seines Wissens, weil er sich nicht darüber erhebt; sondern sie ist ihm das Wissen selbst, er ist darin gefangen und damit verschmolzen, so wie das Kind in den einzelnen Objecten: er beschreibt in ihr die anderen Naturphänomene, so wie der Geometer, der in der Anschauung des Raumes ruht, in ihm seine Figuren. Alles bisher Gesagte, die ganze Synthesis ausser dem angezeigten Gliede, in welchem er ruht, ist für ihn nicht da. Er gehört eben zu der oben geschilderten Spielart von Intelligenz, welche Vernunft hat, die aber keinesweges Vernunft ist und zu ihrem Begriffe sich erhebt.)

Für wen das Gesagte aber ist, was ist für ihn? Eine neue, durchaus ungebundene Anschauung, – es ist die der formalen Freiheit, welche weiter zu beschreiben hier noch gar nicht Noth thut, da sie uns bis ans Ende begleiten wird, – die sich der ursprünglichen Anschauung hingiebt, – oder sie gleichsam in sich einschliesst, und innerhalb welcher, als ihrer Sphäre und ihrer Freiheit, nun auch allein das Denken der Freiheit[83] und alles dessen, was im absoluten Wissen liegt, allein möglich ist. (Diese, also aus dem ursprünglichen Bande der Anschauung losgerissene Freiheit ist es, die sich erhebt über das gefundene Wissen.) Die letztere Anschauung soll das Bestimmende, die erstere die bestimmte seyn: – also Causalitätsverhältniss, aber ein anderes, als das obige, reine. Der Idealgrund ist der Effect, der Idealgrund ist das Wirkende. Hier demnach findet sich schon das angedeutete secundäre Causalitätsverhältniss. (Zu dem primairen erhebt man sich nur durch transcendentale Ansicht; und diese ist den früheren Philosophien so gut als verborgen gewesen.)

Wir fassen das Vorhergehende zusammen:

Von der Einen Seite hebt das anschauende Wissen mit einer bestimmten Quantitabilität an: bestimmt auf alle Fälle, inwiefern sie eben als Quantitabilität innerhalb einer durchaus in sich zerfliessenden Freiheit angeschaut wird; – (für den nemlich, der die hier geforderte Anschauung vollzieht. Wie für den, welcher dies nicht vermag, können wir hier noch nicht sagen; sein Wissen beschreiben wir hier überhaupt noch nicht.) Diese ist der absolute, letzte Grund aller Anschauung, und im Anschauen kann über ihn nicht weiter hinausgegangen werden; es ist die ursprüngliche Bestimmtheit, mit der alles Bewusstseyn überhaupt erst anhebt und wirklich ist: das bewusste Ende aller Anschauung. (Dies ist nun eben Welt, Natur, objectives Seyn u.s.w. Einen schärferen Begriff kann es nicht geben, aber ich versichere, dass er auslangt und erklärt; aber da meinen sie eben, man solle ihnen jene letzte Bestimmtheit weiter erklären und ableiten.)

Diese wird nun, eben ihrer Unmittelbarkeit wegen, gedacht als zufällig; aber im Zufälligen kann kein Wissen ruhen: (wer es da ruhen hat, der fasst es eben nicht als zufällig). Es wird daher nothwendig durch Denken und freie (im Gegensatze der gebundenen, sinnlichen) intellectuelle Anschauung darüber hinausgegangen. Und da findet sich denn, dass durchaus alle Quantitabilität, schon ihrer Form nach, schlechthin das Resultat der auf sich selbst ruhenden, in und für sich seyenden formalen Freiheit, durchaus als solcher, sey, und in und für sich[84] einen Zusammenhang mit dem absoluten Seyn gar nicht habe; – dass in allen diesen Vorstellungen sonach durchaus kein Wissen, keine Wahrheit und Gewissheit sey, nicht nur von keinem absoluten Seyn, Dinge an sich u. dergl., sondern auch nicht einmal von irgend einem Zusammenhange mit diesem Seyn Es findet sich dagegen als das Letzte und Höchste eine (wir konnten sie nicht anders nennen) materiale Bestimmung der Freiheit, – d. i. so dass sie doch in und für sich formale Freiheit und Alles, was aus dieser formalen Freiheit folgt, als da ist Quantitiren u.s.w. bleibe, – durch das absolute Seyn. Das Wissen von dieser Bestimmung wäre das wirkliche Ende des Wissens, gäbe eben ein Wissen. Demnach müsste, wenn das anschauende Wissen dennoch ein Wissen seyn soll, dieses selbst nichts Anderes seyn, als die, nur in die Form des Wissens, als eines inneren, formaliter freien, aufgenommene, und durch sie, als durch einen unabhebbaren Schleier, hindurch erblickte Bestimmung der reinen, absolut durch sich gesetzten, daher nicht formalen oder quantitirenden, Freiheit (als in welcher Gestalt sie allein die Bestimmung des Quantitirens annimmt) durch das absolute Seyn: und das Wissen wäre im Wissen vollzogen, das absolute Wissen – die Gewissheit, träte ein wenn diese Uebereinstimmung selbst, dieses Zusammenfallen beider Grundbestandtheile des Wissens, des formalen und des materialen, einträte.

Die Quantitabilität in der Anschauung daher, und ihre formale von uns deducirte Bestimmtheit wären das Resultat der an sich seyenden formalen Freiheit. Dass das Wissen aber in dieser Anschauung ruhe und sich als ruhend finde (wie es denn ja auch an sich widersprechend ist, in einem Quantitablen zu ruhen), käme aus der, wir wissen nicht wie? – gedachten Bestimmung der reinen Freiheit durch das absolute Seyn. Was dem Wissen Stand hält und ihm nicht unter der Hand zerfliesst, ist nur jene Bestimmung; und hinwiederum nur durch diese Quantitabilität hindurch kann jene Bestimmung erblickt werden, weil die Quantitabilität eben, und nur sie, das Auge und der Focus des eigentlichen Bewusstseyns ist.[85]

Nun aber kommt, wohlgemerkt, diese Harmonie, dieses Zusammenfliessen der beiden Endpuncte nur jenseits des zu Stande, weil eben das Wissen, als solches, nur bis zur absoluten Quantitabilität geht. Jene Harmonie wird nur im absoluten Denken gewusst; man kann daher nur das Dass derselben erkennen, nicht aber an ihr Wie anschauen.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 82-86.
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