§ 47.

[150] Jetzt zur Vereinigung der Grundpuncte beider Welten im Wissen! Ausserhalb des Wissens nemlich sind sie eben durch das absolute Seyn vereinigt worden.

Das empirische Seyn sollte bedeuten ein bestimmtes, positives Verhältniss des wahrnehmenden Individuum zu einer so weit wahrgenommenen Anzahl anderer Individuen, zufolge eines Gesetzes der intellectuellen Welt, die daher ihrem Grundseyn nach als verschieden vorausgesetzt werden. Aber in der Vernunft Anschauung sind sie (bis jetzt) gar nicht im Wesen, sondern nur numerisch verschieden. Es würde daher für die Möglichkeit der Wahrnehmung doch noch eine jenseits ihrer[150] liegende reale, nicht nur numerische Verschiedenheit der Individuen vorausgesetzt, und diese müsste im Wissen, wenn es sich zum Denken der Wahrnehmung als in der intellectuellen – Welt begründet erheben sollte, vorkommen. Es wäre ein Mittelglied zwischen absolutem Denken und absolutem Anschauen, welches wir als unsere letzte Aufgabe ja suchen.

Dies findet sich nun leicht und hat sich eigentlich für uns schon gefunden, wenn das Princip der Wahrnehmung gedacht wird, gerade so, wie wir es jetzt gedacht haben, eben als Resultat des Verhältnisses meiner zu der absoluten Summe aller Individuen, – aber so, dass es zugleich vorkomme in der Wahrnehmung. Der letzte Moment entscheidet, und ich wünsche vorläufig, darüber richtig verstanden zu werden. Factisch kommen, wie wir wissen, Wahrnehmung und Denken nie zusammen, auch hier in ihrem höchsten Gipfel nicht. Nur durch das Denken werden sie als formaliter Eins und ebendasselbe verstanden, – bleiben aber in der Anschauung durch die unendliche Kluft der Zeit getrennt. So nemlich verhält es sieh: es wird jedesmal nur die Wahrnehmung durch jenen intellectuellen Begriff gedacht: diese ist jenseits und unwahrnehmbar zwar durchaus und immer Eins und umfasst in dieser Einheit das Verhältniss aller Individuen zu einander; aber ich habe mein ganzes Verhältniss nie wahrgenommen, sondern erwarte von der Zukunft weitere Aufklärung; daher ist auch die ganze Vernunftwelt niemals factisch überblickt, ihre Einheit ist nur, unwahrnehmbar; gewusst wird sie nur im schematisirenden Denken: real wird in ihr aus jenem Seyn Aufklärung und Erweiterung ins Unendliche erwartet.

Zuvörderst, was formaliter daraus folgt, besteht darin, dass es die Wahrnehmung und das Princip derselben ist, was gedacht wird Die unabtrennbare Grundform der Wahrnehmung, als innere Anschauung, ist die Zeit. Mit dieser Anschauung tritt ein Etwas gefundener Zeit ein, ferner wenn, wie es ja tiefer der Fall ist, der eigentliche Stoff der Wahrnehmung ein Handeln ist, – ein in vermittelnde Acte sich spaltender Plan dieses Handelns und mit diesem Gedanken eine unendliche Zeit, denn jeder Moment derselben fällt innerhalb[151] einer unendlichen Anschauung, welche künftige Momente fordert.

Dann, was daraus folgt, besteht darin, dass da gedacht und zwar das Ich als Princip der Wahrnehmung gedacht wird: der Charakter des Ich, in Beziehung auf das Wissen, – und so soll er ja hier gedacht werden (ich bitte dies zu bemerken; ausserdem könnte es den Scharfsinnigeren erscheinen, als ob hier erschlichen würde), – ist absolutes Hervorgehen und Entspringenlassen aus dem Nichts, also freie Aeusserung, und zwar in einer Zeitfolge: und so denkt das Ich sich schlechthin, wenn es einmal zum absoluten Denken seiner selbst sich erhebt. Es entsteht eine Reihe absoluten Erschaffens aus Nichts für das Gebiet der Wahrnehmung, realiter erkennbar für jeden Moment der. Wahrnehmung (Ich spreche Umfassendes aus in wenig Worten, und diese Worte sind nicht metaphorisch, sondern gerade so zu verstehen, wie sie lauten.)

Fassen wir jetzt diese unendliche Zeit mit ihren Bestimmungen in Eins zusammen durch den Begriff; – gänzlich abstrahiren von der Zeit dabei können wir nicht, denn sonst verlören wir die Beziehung auf die Wahrnehmung, verlören die Bestimmtheit des Individuum, und ständen wieder bei der bloss numerischen Verschiedenheit der Iche in der reinen Vernunftanschauung. Der Inhalt jener Zeit ist die Bestimmtheit eines von aller Wahrnehmung unabhängigen und aller Wahrnehmung; vorausgehenden Handelns eines Individuums, als selbst Princips der Wahrnehmung.

Was ist jedoch weiter das Grundprincip dieser Bestimmtheit? In der Idee, die absolut geschlossene Summe der Intelligenzen, in der Wahrnehmung die Summe der jedesmal erkannten und ins Wissen eingetretenen. Aber die Intelligenzen sind in der Vernunftanschauung gesetzt als durchaus harmonirend in ihrem absoluten Selbst- und Welterkennen, daher auch in der, durch diese Vernunftanschauung vermittelst des vereinigenden Denkens bestimmten Wahrnehmung. Was Jeder absolut von Sich denkt, davon muss er denken können, dass Alle, die sich zum absoluten Denken erheben, es auch von ihm[152] denken. Die äussere Form des beschriebenen Handelns ist daher die, dass Jeder thue (so will ich indessen der Kürze halber sagen), was alle in demselben Wahrnehmungssysteme befassten Intelligenzen, absolut denkend, ihn als thuend denken müssen, und Er denken muss, dass sie es denken. Es ist ein Handeln nach dem Systeme der absoluten Harmonie alles Denkens, der reinen Identität desselben: (ich denke, wir nennen dies sittliches Handeln).

Endlich, was war der Grund dieser Idee eines geschlossenen Systemes durch einander bestimmter Intelligenzen, im reinen Denken der Vernunftanschauung und dem dadurch bestimmten Denken der Wahrnehmung? Das das Wissen schlechthin bedingende und tragende absolute Seyn selbst, – sonach eine absolute Wechseldurchdringung beider. Die tiefste Wurzel alles Wissens ist daher die unerreichbare Einheit des reinen Denkens und des beschriebenen Denkens des Ich, als absoluten Principes innerhalb der Wahrnehmung, = dem Sittengesetze, als höchsten Stellvertreter aller Anschauung; – denn sie erfasst die Intelligenz als absoluten Realgrund derselben. Dies ist nun durchaus nicht dieses oder jenes Wissen, sondern es hat das absolute Wissen schlechthin als solches. Wie es in ihm zu diesem oder jenem Wissen komme, werden wir sogleich aus Einem Puncte erklären. Zu diesem absoluten Wissen kommt es nun nur unter Bedingung des absoluten Seyns – eben im Wissen selbst; und so gewiss dieses Wissen ist, ist in ihm das absolute Seyn. Und so ist das absolute Seyn und Wissen vereinigt, jenes geht in dieses ein und geht auf in der Wissensform, diese eben damit zur absoluten machend. Wer dies verstanden hat, ist aller Wahrheit Meister, und für ihn giebt es kein Unbegreifliches mehr.

So im Heraufsteigen von der Einen Seite; nun zur Bestimmung des Nebengliedes der Wahrnehmung! Der Grund- und Mittelpunct beider Glieder, der Sinnen- und der Vernunftwelt, ist eben das durch die Wechselwirkung mit der Vernunftwelt bestimmte Individuum, als absolutes Princip aller Wahrnehmung. Dieses ist, fest und stehend, für das Auge der blossen[153] sinnlichen Wahrnehmung. Dasselbe ist ferner jedoch eine Entwickelung von absoluter Schöpferkraft der Wahrnehmung in einer höheren (Vernunft-) Zeit, ausgehend von einem absoluten Anfangspuncte.

(Nur dieser Punct, als ein scheinbar neuer Zusatz, scheint eines Beweises zu bedürfen, und dieser ist leicht. Die Erkenntniss jener Kraft überhaupt ist bedingt durch ein absolutes freies Denken, im Bewusstseyn selbst demnach als frei erscheinend. Dieses aber durch eine im Bewusstseyn gleichfalls erscheinende Anschauung (empirisches Wissen überhaupt) innerhalb des schon entzündeten Wissens. Also ihr Anfang fallt als ein absoluter Punct in eine schon fortlaufende Reihe, des Wissens von der Zeit überhaupt. Und dass man diese höhere Bestimmung überhaupt erblicke, ist Bedingung davon, dass man irgend einen besonderen Moment in derselben erblicke, der sodann für das erblickende Individuum der erste und absolute Anfangspunct eines höheren Lebens seyn würde.)

Also das Ich ist für dieses Denken nicht ruhend und stehend, sondern absolut fortschreitend nach einem ewigen, in unserem Denken Gottes durchaus geschlossenen und als solcher erkannten, obgleich nie vollständig wahrgenommenen, Plane. Nun ist es ferner in derselben Bestimmung absolutes Princip der allgemeinen Wahrnehmung. Also durch sein Fortschreiten schreitet auch die Wahrnehmung in ihrem Principe fort. Jene höhere göttliche Kraft in der Vernunft und Freiheit (dem absoluten Wissen) ist die ewige Schöpferkraft der Sinnenwelt. – Deutlicher: Vom Wahrnehmen des blossen Seyns geht das Individuum immer aus; denn dadurch ist sein Wissen überhaupt, insbesondere dann das Denken seiner intelligiblen Bestimmung bedingt; und so ist es durchaus Product der längst beschriebenen Wechselwirkung, Nichts an sich. Wie es sich zum Denken seiner Bestimmung erhebt, und ein Höheres, als alle Welt, ein Ewiges wird, – was wird ihm denn nun die Welt? Ein Etwas, worin und worauf er erhebe und auftrage dasjenige, was nicht in der Natur, sondern nur im Begriffe, und zwar in dem ewigen, unveränderlichen Begriffe liegt, den das geschlossene[154] System aller Vernunft, realisirt in den (nunmehr denkenden und freien) Ichen, in jedem Momente einer unendlichen Wahrnehmung schlechthin haben muss.

Zuvörderst: – trage man nur die groben materialistischen Begriffe von einem mechanischen Handeln, gleich einem objectiven Dinge an sich, welche wir schon auf dem Boden der Empirie vernichtet haben, nicht etwa vollends in die reine Welt der Vernunft hinüber! Das Individuum entwickelt in einem Denken seine individuelle Bestimmung. Aber es erscheint sich als Princip der sinnlichen Wahrnehmung, in deren Gegebenheit es andererseits immerfort ruht; seine Kraftbestimmung erscheint ihm daher hier, zufolge der ehemals entwickelten Schlüsse, als ein wirkliches Handeln; also das reine Denken schlägt in der Wahrnehmung allerdings zu einem Handeln – hier indess für sich und in seinem individuellen Bewusstseyn aus. Dadurch wird es nun freilich eine sinnliche Erscheinung und tritt in das Gebiet der allgemeinen Wahrnehmung, gleichfalls nach den oben erkannten Begriffen. Der intelligible Charakter seiner Handlung dann aber nur von denen erkannt werden, welche sich mit ihrem Denken in jenes Vernunftsystem selber erhoben haben, die sich und die Welt in Gott anschauen. Für die Anderen bleibt es ein blosses sinnliches Regen und Treiben, gerade also, wie sie es auch treiben. (Es ist gerade so, wie mit der Theorie des Ewigen, welche z.B. hier vorgetragen wird. Worte, Formeln, Verkettung der Begriffe hören die Anderen auch. Aber Wem nicht selbst der innere Sinn aufgegangen, der findet nicht die Bedeutung.)

Was ist denn nun also – und damit gebe ich den oben versprochenen letzten Aufschluss – die blosse reine Wahrnehmung in ihrer Realität, ohne alles Denken der intellectuellen Bestimmung? Wir haben es schon oben gesagt: lediglich die Bedingung von Seiten des Absoluten, dass es nur überhaupt zu einem Wissen, seiner leeren und nackten Form nach komme. Im Denken wird das Princip – Princip eines durchaus neuen und sodann fortschreitenden Wissens in der Wahrnehmung ist es das nur zusammenhaltende Wissen; also, wenn es in[155] Beziehung auf möglichen Fortschritt der Klarheit nicht überhaupt = 0 wäre, das dunkelste, unvollkommenste Wissen, das da seyn kann, wenn es überhaupt noch ein Wissen bleiben und nicht ganz in Nichts vergehen soll. In diesem untersten und allerdunkelsten Puncte steht nun das Wissen innerhalb der Wahrnehmung ewig fort und alles ihr scheinbares Treiben ist Nichts, als ein Abwickeln und endloses Wiederholen desselben reinen Nichts, nach dem blossen Gesetze eines formalen Wissens. Die auf einem solchen Standpuncte und in einer solchen Wurzel beruhen, existiren in der That nicht, treiben daher auch Nichts, sondern sie sind in Grund und Boden nur Erscheinung. Das Einzige, wohl zu merken, was diese Erscheinung noch hält, sie auf Gott bezieht und in ihm trägt, ist die jenseits ihres Wissens liegende blosse Möglichkeit, sich zum intelligiblen Standpuncte zu erheben. Das Einzige daher, was man – ich sage nicht, dem Bösen, Lasterhaften, Gemeinschädlichen, sondern dem Allerbesten, so lange er in seiner Unmittelbarkeit verharrt, – denn, vom Standpuncte der Wahrheit gesehen, ist dieser ebenso nichtig, – dem, der in der Sinnlichkeit haftet und sich nicht zu den Ideen erhebt, sagen kann, ist: es muss doch noch nicht ganz unmöglich seyn, dass du dich zu Ideen erhebst, da dich Gott noch in dem Erscheinungssysteme der Intelligenzen duldet. Kurz, dieses Decret Gottes von der fortdauernden Möglichkeit eines Seyns ist der Eine und wahre Grund von der Fortdauer der Erscheinung, einer Intelligenz; dies zurückgenommen, zerfliessen sie. Er ist der wahre intelligible Grund der ganzen Erscheinungswelt.

Wenn daher gefragt wird: warum steht die Wahrnehmung gerade in dem Puncte, in welchem sie steht, und in keinem anderen? so ist die Antwort: sie steht materialiter in gar keinem; sie steht in ihrem eigenen durch ihr formales Seyn geforderten und bleibt in ihm ewig stehen. Die reale Zeit ist in ihr noch gar nicht angefangen, und die in ihr einheimische Zeit bringt es nie zu etwas Neuem und Inhaltsvollem (wie auch empirisch der Naturkreislauf hinlänglich zeigt); sie ist daher eigentlich auch keine Zeit, sondern formale Erscheinung (= 0),[156] einer künftigen Füllung derselben wartend. Die Erfahrung ist nie diese oder jene, zufälliger und vereinzelter Weise, sondern immer die, die sie seyn muss zufolge jenes immanenten Gesetzes und des aus ihm folgenden allgemeinen Zusammenhanges. Wenn man von einer besten Welt und den Spuren der Güte Gottes in dieser Welt redet, so ist die Antwort: die Welt ist die allerschlimmste, die da seyn kann, sofern sie an sich selbst völlig nichtig ist. Doch liegt in ihr eben darum die ganze einzig mögliche Güte Gottes verbreitet, dass von ihr und allen Bedingungen derselben aus die Intelligenz sich zum Entschlusse erheben kann, sie besser zu machen. Weiter kann auch Gott uns Nichts angedeihen lassen; denn wenn er auch wollen könnte, so vermag er nicht es an uns zu bringen, wenn wir nicht selbst aus ihm schöpfen. Wir können aber ins Unendliche hin schöpfen – Verklärung der reinen Wahrheit in uns, und Wer etwas Anderes und Besseres will, der kennt eben nicht das Gute, und wird mit dem Schlechten nach allem seinem Gelüsten ausgefüllt werden!

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 150-157.
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