Viertes Bruchstück

Sundariko

[107] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene im Lande Kosalo, am Gestade der Sundarikā.

Um diese Zeit nun brachte Sundariko, ein Bhāradvājer Priester, am Gestade der Sundarikā im Feuerdienste ein Feueropfer dar.

Als da nun Sundariko der Bhāradvājer Priester im Feuerdienste das Feueropfer dargebracht hatte, stand er von seinem Sitze auf und blickte nach allen vier Seiten umher: ›Wer könnte nun wohl diesen Gabenrest genießen?‹ Da sah denn Sundariko der Bhāradvājer Priester den Erhabenen nicht weit entfernt von dort am Fuße eines Baumes mit verhülltem Haupte sitzen, und als er ihn gesehn nahm er in die linke Hand den Gabenrest und in die rechte einen Wasserkrug und ging näher zum Erhabenen heran. Aber der Erhabene zog nun beim Geräusche der Schritte Sundarikos des Bhāradvājer Priesters den Mantel vom Haupte weg. Da sagte sich denn Sundariko der Bhāradvājer Priester: ›Kahlgeschoren ist dieser, ein kahlgeschorener Asket‹, und wollte nun wieder umkehren. Doch es gedachte Sundariko der Bhāradvājer Priester bei sich: ›Auch kahlgeschorene Priester kommen da ja vor; wie, wenn ich nun heranträte und nach der Geburt fragte?‹ Und Sundariko der Bhāradvājer Priester trat alsbald an den Erhabenen heran, und er sprach also:

»Von welcher Geburt ist der Herr?«

Da ließ nun der Erhabene Sundariko den Bhāradvājer Priester folgende Weise vernehmen1:


455

»Kein Priester bin ich, nein, und bin kein Krieger,

Kein Bürger auch und irgend andrer keiner:

Den Stamm verstand ich wohl der Erdgebornen,

Entwesen, Frommer, durch die Welt ich wandre.


[108] 456

Im Pilgerwams, ein unbehauster Wandrer,

Kein Haar am Haupte, bin in mir erheitert,

An nichts was Menschen angeht angehangen:

Untriftig fragst du da nach meiner Herkunft.«


Sundariko:


»Es fragen ja, o Herr, die Priester, mit ihresgleichen zusammengekommen, ›Ist der Herr ein Priester?‹


457

Wenn heilig du dich selber meinst,

Unheilig etwa heißest mich:

Dann sag' mir doch die Sāvittī,

Dreifältig wie sie vierundzwanzig Silben hat.


458

Warum die Seher, Manus Erben einst,

Als Herrscher und als Priester Göttern dar

Ein Opfer brachten, jeder einzeln hier für sich,

Vollbracht und wie vollzogen wird ein Opfer?

Von wem man Gabe, sag' ich, nimmt, dem nützt man.


459

So mag mir ja die Spende bei ihm nützen,

Bei dem erfüllt ich sehe solche Weisheit:

Denn wo ich deinesgleichen muß entbehren,

Da biet' ich anderm an die Opferspeise.«


Der Herr:


460

»Wohlan denn, Priester, wenn du schon Gewinn magst

Gewinnen dir, tritt näher nur, erfrage,

Wie still man klar und ohne Weh' und Wunsch bleibt:

Ob etwa hier erfunden sei der Weise.«


[109] Sundariko:


461

»Bin opferfreudig, gebe gern ein Opfer,

Ich weiß nichts weiter, möchte nun belehrt sein:

Wo Gabe Nutzen fördert, o verkünd' es!«


Der Herr:


»Wohl denn, Priester, magst du mir Gehör leihen: die Satzung will ich dir weisen.


462

Geburt erfrage nicht, erfrag' den Wandel:

Dem Klotz entflackern sieht man doch die Flamme;

Auch niederm Stamm entsteigt ein hehrer Denker,

Hochangesehen wird er sich bescheiden.


463

Wahrhaftig sanft, an Milde wer gewohnt ist,

Der Weisheit Ziel kennt, heilig also hingelangt:

Beizeiten mag er Diesem Gabe reichen,

Will um Verdienst ein Priester Opfer bringen.


464

Der Wünsche ledig wandern Unbehauste,

In sich beschlossen, Schwachen gleich wie Starken:

Beizeiten mag er Diesen Gabe reichen,

Will um Verdienst ein Priester Opfer bringen.


465

Wer gierentgangen sich erzeugte Sinngewalt,

Gleichwie der Mond aus Rāhus Rachen wiederkehrt:

Beizeiten mag er Diesem Gabe reichen,

Will um Verdienst ein Priester Opfer bringen.


[110] 466

Unangehangen ziehn sie durch die Welt hin,

Nie ungewärtig, meiden alle Meinheit:

Beizeiten mag er Diesen Gabe reichen,

Will um Verdienst ein Priester Opfer bringen.


467

Der Wünsche ledig wer entwunden hinzieht,

Erfunden hat Geburt- und Grabesende,

Erloschen, gleich ist kühlem Wasserspiegel,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


468

Wer gleich den Gleichen und Ungleichen fern bleibt,

Vollkommen ist und unbegrenzt an Weisheit,

Der Unbenetzte, hüben so wie drüben,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


469

In wem kein Gleißen haust, kein Dünken nistet,

Wer suchtgenesen, ohne Eigen, Anspruch,

Den Ärger abgeschüttelt hat, erheitert,

Zufrieden wer der Sorge Not vernichtet,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


470

Gewöhnung wer dem Geiste hat enteignet,

Wer alle Stützen von sich abgestoßen,

Unhaftbar, sei es hüben so wie drüben,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


471

Beschwichtigt wer den Fluten ist entronnen,

Die Satzung hat ersehn zu höchstem Heile:

Der Wahnversiegte lebt das letzte Dasein,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


[111] 472

Der Lebenswahn, das wild empörte Lärmen,

Zerstoben ist es, ist in ihm erstorben:

Das Rechte weiß er, überall entraten,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


473

Entfesselt, wer da jeder Fessel frei geht,

Undünkelhaft, an Dünkel wo man haftet:

Wer Leiden auserforscht mit Grund und Boden,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


474

Von Hoffnung abgeschritten blickt er einsam,

Weit ist er Andrer Wißbarkeit entschwunden:

Wo Halt und Anhalt ihn zu fassen fehlen,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


475

Wie Oben Unten, wer es hat verstanden,

Zerstoben wem es ist, in sich erstorben:

Der Stille, hangversiegt in sich Erlöste,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


476

Geburtenkette sieht er abgebrochen,

Versunken hinter sich das Reich der Reize,

Ist rein von Rost und Flecken, ohne Trübe,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


477

Als selbst sich selber wer da nimmer ansehn mag,

Beschwichtigt, eingekehrt, in sich geborgen:

Unregbar ist er, unversehrbar sicher,

Vollkommen, ihm gebührt die Opferspeise.


[112] 478

Wo Irrsal innen ewig ist entwichen,

Auf alle Dinge wo man weise hinblickt,

Im Leben also weilt zum letzten Male:

Da ist Erwachung aufgegangen, höchste Huld.«


Sundariko:


479

»So herrlich ist des Helden Reine!

Mein Opfer, ja, es sei das wahre Opfer,

Vollkommen wo den Weisen ich gefunden:

Erschienen seh' ich Brahmā, Gabe nehmen,

Empfangen mag der Herr die Opferspeise!«


Der Herr:


480

»Was mir ein Lied ersungen mag ich lassen,

Der Seher Sitte, Priester, ist nicht anders:

Den Lohn um Lieder meiden Auferwachte,

So bringt es mit sich, Priester, rechte Satzung.


481

Doch anders magst alleignen Machtgebieter,

Den Wahnversiegten, den kein Unmut ankommt,

Mit Speis' und Trank bedienen, vor ihn treten:

Die Stätte ist er wo Verdienst gedeihen kann.«


Sundariko:


482

»Wohl mir, Erhabner, wenn ich da nun wüßte,

Wer Spende meinesgleichen darf genießen,

Aufsuchen wen ich soll beim Opfermahle,

Erfüll' getreu ich dein Gebot.«


[113] Der Herr:


483

»Von nichts mehr angefochten sein,

Das Herz bewahren ungetrübt,

Gelöst von Wunsch und Wünschen ab:

Wer Lauheit überwunden hat


484

Und ohne Schranken schreitet hin,

Geburt und Grab ergründen kann,

Ein Mönch, verschwiegen in sich selbst,

Erscheint er bei dem Opfer hier:


485

Da sei das Auge bald entwölkt,

Verehrung werd' ihm dargebracht,

Er sei mit Speis' und Trank bedient:

So spenden, das ist fördersam.«


Sundariko:


486

»Dem Meister, Herr, gebührt die Opferspeise:

Der Stätten hehrste heiß' ich ihn,

Den Weihaltar für alle Welt,

Bei ihm ist Gabe Hochgewinn.«


Und Sundariko der Bhāradvājer Priester wandte sich nun also an den Erhabenen:

»Vortrefflich, o Gotamo, vortrefflich, o Gotamo! Gleichwie etwa, o Gotamo, wenn einer Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg wiese, oder Licht in die Finsternis brächte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch ist von Herrn Gotamo die Lehre gar mannigfach gezeigt worden. Und so nehm' ich bei Herrn Gotamo Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: möge mir Herr Gotamo Aufnahme gewähren, die Ordensweihe erteilen!«

[114] Es wurde Sundariko der Bhāradvājer Priester vom Erhabenen aufgenommen, wurde mit der Ordensweihe belehnt.

Nicht lange aber war der ehrwürdige Sundariko in den Orden aufgenommen, da hatte er, einsam, abgesondert, unermüdlich, in heißem, innigem Ernste gar bald was edle Söhne gänzlich vom Hause fort in die Hauslosigkeit lockt, jenes höchste Ziel des Asketentums noch bei Lebzeiten sich offenbar gemacht, verwirklicht und errungen. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ verstand er da. Auch einer war nun der ehrwürdige Sundariko der Heiligen geworden.1

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 107-115.
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