Das Zwanziger-Bruchstück

Ambapālī

[565] 252

Dunkel schwellend, schwere Fülle, bienenschwarz,

Dicht in Locken fiel mein Haar gewellt herab:

Das hat Alter hänfern, bastig blaß gebleicht –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


253

Blütendüfte hauchend süß wie Sandelholz,

Reich mit Blumen war mein Scheitel hold bedeckt:

Nun im Alter riecht er recht nach Hasenhaar –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


254

Laubgeländen, schön gepflanzt, gepflegten gleich,

Leuchtend straff war einst mein Schopf gestrählt, gekämmt:

Nun im Alter siecht er, ausgelichtet, ab –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


255

Schwarzes Haargeflecht, geschmeidig goldgeschmückt,

Glänzte glitzernd, hochgeflochten zierlich auf:

Nun im Alter schimmert kahl der Schädel durch –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


256

Wie vom Maler fein gezogen, zart gemalt,

Vielgepriesen früher war der Brauen Pracht:

Nun im Alter sind sie runzlig reich gebrämt –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


[566] 257

Feuersprudeln gleichend, wie Karfunkelblitz,

Dunkel aus der Tiefe sprüht' ich Blicke weit:

Nun im Alter blinzelnd brechen sie, verbrüht –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


258

Sanfter Höhe gleich erhob der Nasenbug

Jugendhold empor sich im Gesichte mir:

Doch im Alter aufgedunsen dünkt er nun –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


259

Goldgehängen, gut gehämmert, glatten gleich

Glänzten mir der Ohren Muscheln rötlich rein:

Die hat Alter netzig nun gerunzelt rings –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


260

Wie Bananen blendend blühen, knospenweiß,

Lachten lieblich mir im Munde Zähne blank:

Die hat Alter garstig gerstenfahl zerfällt –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


261

In der Laube sang ich Lieder süß im Lenz,

Heimlich wie die Nachtigall in Wäldern girrt:

Hin ist Klingen, hin ist Klang im Alter nun –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


262

Gülden gelblich, mild wie Perlmutterglast

Glinzte hehr der Nacken, gleißte hell der Hals:

Weg ist Glimmer, weg ist Glanz im Alter nun –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


263

Schlanken Säulen gleich gewunden wohl empor,

Beide hob ich, runde Arme, reizend hoch:

Doch im Alter schlaff wie Seile dünken die –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


[567] 264

Ring an Ringlein, kostbar edelsteinbesteckt,

Bot ich zierlich auf den zarten Fingern dar:

Schrumpf im Alter schrimpeln die wie Wurzelwerk –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


265

Voll und rund und mutig ragend oben auf

Prangten meine Brüste früher wohlgeformt:

Ausgetrocknet hängen heute, troddeln die –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


266

Glau geglättet, eitel plan wie Plattengold,

Lauter war mein lichter Leib und ohne Fehl:

Furchen, viele Falten sind gezogen durch –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


267

Wuchtig wie der Boa vorgebähter Bauch

Beugten, schön gebogen, beide Schenkel ab:

Recht im Alter dünken die wie Bambusrohr –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


268

Spangen trug ich, goldgeschmiedet, reich gespannt,

Unterm Knie geschmeidig bis zum Knöchelreif:

Sesamstäbe seh' ich heute stelzen hier –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


269

Ausgepolstert, wie mit Wolle ausgebalgt,

Wohlgebildet war der Fuß und rund am Rist:

Hohl ist nun die Haut im Alter, abgewelkt –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


270

Also war gewesen dieser Körper da,

Unbeständig, Stätte nur der Not und Qual:

Mörtel fiel und Malter ab vom alten Haus –

Wahrheitkünders Kunde dauert unverderbt.


Rohiṇī

[568] Der Vater:


271

Asketen zeigst du, Tochter, mir,

Asketen hast du stets im Sinn,

Asketen lobst du, liebst du nur:

Asketin selber wirst du wohl!


272

Ja, Trank und Speise gibst du gern

Asketen reichlich Tag um Tag:

Rohiṇī, höre, sag' mir doch

Warum du, Kind, Asketen liebst?


273

Untätig sind sie, lässig, lau,

Genießen Gnadenbrot umsonst,

Begehrlich gehn sie nach Genuß:

Warum doch liebst Asketen du?


Rohiṇī

274

Schon lange, Vater, fragst du mich,

Warum Asketen gut ich sei:

Ich will dir künden ehrlich an

Ihr Wissen, Können, ihre Art.


275

Untätig, lässig sind sie nicht,

Sie wirken allerbestes Werk,

Verleugnen Gier, verleugnen Haß:

Asketen hab' ich darum lieb.


276

Was dreifach böse Wurzel treibt

Entwurzeln dreifach sauber sie,

Verwerfen Böses ganz und gar:

Asketen hab' ich darum lieb.


[569] 277

Denn was sie wirken, das ist rein,

Und was sie reden, das ist wahr,

Und was sie denken, das ist echt:

Asketen hab' ich darum lieb.


278

Wie Perlen leuchtend, unverletzt,

Von außen licht und innen licht,

So lauter sind sie durch und durch:

Asketen hab' ich darum lieb.


279

Erfahren fein, gewitzigt wohl,

In Wahrheit wesend heilig hier,

Was recht und echt ist künden sie:

Asketen hab' ich darum lieb.


280

Erfahren fein, gewitzigt wohl,

In Wahrheit wesend heilig hier,

Sind heiter sie in sich gekehrt:

Asketen hab' ich darum lieb.


281

Sie wandern weit, getreu bewußt,

Sie sprechen triftig, ungespreizt,

Sie wissen wie man Leiden löst:

Asketen hab' ich darum lieb.


282

Und wann sie durch die Gasse gehn

Sieht keiner rechts und keiner links,

Gelassen gehn sie, gaffen nicht:

Asketen hab' ich darum lieb.


283

Nicht Überfluß an Speis' und Trank,

Nicht Krug und Schüssel macht sie satt,

Vollkommensein erkämpfen sie:

Asketen hab' ich darum lieb.


[570] 284

Sie nehmen nicht Geschmeide, Schmuck,

Nicht Gold und auch kein Silber an,

Zufrieden fristend ihren Tag:

Asketen hab' ich darum lieb.


285

Aus mancher Kaste, manchem Haus,

Aus manchem Lande kommen sie,

Und leben innig doch geeint:

Asketen hab' ich darum lieb.


Der Vater:


286

Zum Heile bist, o Rohiṇī,

Geboren du in unserm Haus:

Aus Liebe lobst den Meister du,

Sein Wort und seine Mönche so!


287

Du kennst ihn wahrlich, kennst ihn wohl,

Den besten Acker, den es gibt!

Und auch von mir, aus meiner Hand

Empfangen Büßer Gaben heut:

Bereitet ist das Opfer recht,

Und reichlich soll die Ernte sein.


Rohiṇī:


288

Doch wenn du fürchtest Leiden je,

Wenn Leiden unlieb dich bedünkt,

So komm': der Meister nimmt dich auf

In seinen Orden, seine Zucht;

In seiner Regel sei du rein,

Zum Wohle wird es taugen dir.


[571] Der Vater:


289

Mein Hort und Helfer sei der Herr

Und seine Satzung, sein Gebot:

Will rein in solcher Regel sein,

Zum Wohle wird es taugen mir!


290

Brāhmanenlehrling war ich nur,

Brāhmanenmeister bin ich nun:

Drei Wissen weiß ich, kenn' ich gut,

Ich seh' den Sinn, bin preiserprobt.


Cāpā

Kāḷo:


291

Am Pilgerstabe schritt ich einst –

Zum Jäger hab' ich's jetzt gebracht!

Aus Liebesnot in grausen Pfuhl

Gefallen, fand ich Rettung nicht.


292

Wohl wähnst du, Weib, mich eingewiegt,

Weil mir ein Sohn erblüht von dir:

Ich aber ziehe scheidend fort,

Will wieder wandern, heimatlos.


[572] Cāpā:


293

O zürne mir nicht, Siegerfürst,

O zürne mir nicht, heil'ger Held!

Wer sich dem Zorne hingibt, Herr,

Ist unrein, ist kein Büßer mehr.


Kāḷo:


294

Leb' wohl, du Nālāhaus, ich geh'!

Wer mag in Nālā bleiben noch?

Zur eignen Sühne lockt man da

Durch Weiberlist Asketen an.


Cāpā:


295

O komm', mein Gatte, kehr' zurück,

Genieß' das Leben wie zuvor:

Ach, lass' mich deine Sklavin sein

Mit allem was mir angehört!


Kāḷo:


296

Und sagtest du den vierten Teil

Von dem nur, Weib, was du gesagt:

Dem Manne, der dich heiß begehrt,

Wär' überreiche Huld gewährt.


Cāpā:


297

O Kāḷo, wie am Gipfel dort

Die volle Goldakazie glüht,

Wie hier die Ranke süchtig treibt,

Am See Lianen duftend blühn,


[573] 298

So breit ich meine Arme aus,

So lass' ich meine Schleier wehn

Und wiege dich in süßen Duft:

Bin ich nicht schön, daß du mich fliehst?


Kāḷo:


299

So lockt den Vogel freier Luft

Der Vogelsteller fein ins Netz:

Ich kenne, Köderschönheit, dich,

Nicht länger sollst du fesseln mich!


Cāpā:


300

O sieh' den holden Knaben an,

Den ich dir gab, dein Ebenbild:

Weil ich dir einen Sohn gebar

Verdien' ich, daß du von mir gehst?


Kāḷo:


301

Von Weib und Kind, von Haus und Hof

Befreien trennend Weise sich:

Den losgebrochnen Ilphen gleich

Ziehn Siegerfürsten froh hinaus.


Cāpā:


302

Dann werd' ich auf der Schwelle hier

Mit dieser Keule, diesem Beil

Erschlagen den ich dir gebar –

Dein Kind erbarmt dich, und du bleibst!


[574] Kāḷo:


303

Und würfest du's Schakalen gleich

Und Hunden vor als Beutefraß:

Mich wirst du, jämmerliches Weib,

Nie wieder zwingen dir zurück.


Cāpā:


304

So gehe denn – ich segne dich!

Doch lass' mich wissen deinen Weg,

Das Dorf, die Stadt, die hohe Burg,

Das Königschloß wohin du ziehst?


Kāḷo:


305

Mit Jüngern, irrend zog ich einst,

Unheilig, heilig wähnend mich,

Von Dorf zu Dorfe, Stadt zu Stadt,

Von Burg zu Burg und Königschloß;


306

Er aber, herrlich auferwacht,

Er kündet Wahrheit jedermann,

Das Ende aller Leidensqual,

Am Ufer der Nerañjarā:

Dahin nun eil' ich, Ihn zu sehn,

Er, wahrlich, soll mein Meister sein!


Cāpā:


307

So bring' ihm denn auch meinen Preis,

Dem höchsten Schutzherrn aller Welt!

Hast du den Hehren selbst begrüßt,

Entbiet' in Demut meinen Gruß.


[575] Kāḷo:


308

Gar wundersam entzückt mich, Weib,

Das holde Wort, das ich gehört:

Gepriesen sei mit deinem Preis

Der höchste Schutzherr aller Welt!

Hab' ich den Hehren selbst begrüßt,

Will ich entbieten deinen Gruß.


309

Und Kāḷo schied und zog dahin

Zum Ufer der Nerañjarā,

Und sah den Meister, hörte wohl

Sein Wort von Heil und Ewigkeit:


310

Das Leiden, was das Leiden wirkt,

Was Leiden überwinden läßt,

Den heil'gen achtgeteilten Pfad,

Der uns entführt aus Leiden weg.


311

Da fiel er nieder vor dem Herrn,

Und brachte frohen Gruß ihm dar,

Und pries der Cāpā frommen Preis;

Dann zog er fort als Bettelmönch.

Drei Wissen merkt' er, schuf er bald:

Das Meisterwort, es war erfüllt.


Sundarī

[576] Sujāto, der Brāhmane:


312

Die toten Kindlein hast du einst

Begraben, Ärmste, jammervoll,

Hast Tag und Nacht und Nacht und Tag

Unendlich wehgeklagt, geweint.


313

Begraben hast du alle nun,

Brāhmanin, sieben Kinder dir:

Vāseṭṭhin, sage, gib mir kund

Warum du heute nimmer weinst?


Sundarī, die Brāhmanin:


314

Gar viele hundert Kinder schon,

Verwandtenscharen hundertfach,

Begraben beide haben wir,

So ich wie du, seit langer Zeit.


315

Erlösung hab' ich heut geschaut,

Erlösung von Geburt und Grab,

Und klage nimmer, weine nicht,

Und weiß von keinem Kummer mehr.


Sujāto:


316

Unglaublich klingt es was du sagst,

Vāseṭṭhin, was dein Wort verheißt:

Wer hat dich also aufgeklärt,

Auf daß du solche Rede regst?


[577] Sundarī:


317

Er war es, ja, der Meisterherr!

Bei Mithilā, der hohen Burg,

Verkündet hat er jedermann

Das Ende aller Leidensqual.


318

Von ihm, dem Helden herrlich echt,

Erhört' ich Wahrheit ohne Falsch:

Das rechte Wort begriff ich rasch,

Vergaß den Gram um Kindestod.


Sujāto:


319

So will auch ich denn wandern hin

Zum Meister dort, nach Mithilā:

O, wär' es möglich, daß er mich

Von allem Elend löste los!


320

Den Meister traf er treulich an,

Der nirgend haftet, nirgend hangt;

Der hat ihm Wahrheit offenbart,

Der Denker, ewig leidentlebt:


321

Das Leiden, was da Leiden wirkt,

Was Leiden überwinden läßt,

Den heil'gen achtgeteilten Pfad,

Der uns entführt aus Leiden weg.


322

Das rechte Wort begriff er rasch,

Zog fort als Jünger, heimatlos;

Drei Nächte war Sujāto wach,

Drei Wissen schuf er alsobald.


[578] Sujāto:


323

Geh', Wagenlenker, weile nicht,

Und bring' den Wagen wieder heim:

Die Tochter grüße fröhlich mir,

»Der Vater«, meld' ihr, »ist Asket!

Drei Nächte war Sujāto wach,

Drei Wissen schuf er alsobald.«


324

Der Wagenlenker schwang sich auf,

Und reich gerüstet fuhr er heim,

Der Tochter bracht' er frohen Gruß,

»Dein Vater«, sprach er, »ist Asket!

Drei Nächte war Sujāto wach,

Drei Wissen schuf er alsobald.«


Sundarī:


325

Behüte diese Rosse denn,

Den Wagen nimm und nimm das Gold:

Drei Wissen, sagst du, schuf der Herr?

So schenk' ich dir auch meinen Schrein.


Der Wagenlenker:


326

Behalte Ross' und Wagen nur,

Behalte, Herrin, all dein Gold:

Auch ich zieh' nun als Jünger hin,

Zum Meister, der das Beste gibt.


[579] Die Mutter:


327

Die Rosse, Rinder, Elefanten, Schätze,

Verlassen hat er all den reichen Hausrat,

Dein Vater geht im fahlen Kleid:

Genieße, Tochter, was dir nützt,

Du bist ja Erbin hier im Haus!


Sundarī:


328

Die Rosse, Rinder, Elefanten, Schätze,

Verlassen hat er all den lieben Hausrat,

Mein Vater geht im fahlen Kleid

Aus Kränkung um den edlen Sohn:

Auch ich will fahl gekleidet sein

Aus Kränkung um den Bruder mein.


Sundarī bittet bei den Nonnen um Aufnahme; eine Nonne antwortet:


329

Wohlan, dein Wunsch, er sei gewährt,

Gelingen soll dein Sehnen dir!

Mit Bettelbrocken, Bettelrest,

Im Fetzenkittel, Fetzenrock

Zufrieden wandelnd immerdar

Wirst nach dem Tode sein erlöst.


[580] Sundarī:

(später)


330

O Schwester, weil ich kämpfte kühn

Ward himmlisch hell mein Angesicht,

Vergangnes Wesen seh' ich nun,

Und was ich war und wo ich war.


331

Von dir bedeutet, weises Weib,

Der Schwestern feinste, beste du,

Erfand ich mir drei Wissen wohl:

Das Meisterwort, es ist erfüllt.


332

Entlass' mich nun, o Teure du:

Will wandern hin gen Sāvatthī

Und rufen lauten Löwenruf

Ihm zu, dem höchsten Siegerherrn!


Die Nonne:


333

Du magst ihn sehen, Sundarī,

Den Meister, der wie Gold erglänzt,

Der Unbezähmte zähmen kann,

Der, auferwacht, kein Fürchten kennt.


Sundarī

kommt nach Sāvatthī, in den Siegerwald, in den Garten Anāthapiṇḍikos, zum Meister hin, und spricht:


334

Sieh' nahen, Herr, die Sundarī,

Die nirgend haftet, nirgend hangt,

Genesen von Begier, entjocht,

Vollendet ewig, suchtversiegt.


[581] 335

Benāres ließ ich hinter mir,

Bin hergekommen dich zu sehn:

Die dich, o Held, vernommen hat,

Zu Füßen fällt dir Sundarī.


336

Du bist der Wache, bist der Herr,

Und ich bin, Heil'ger, Tochter dir,

Von echter Artung, munderzeugt,

Vollendet ewig, suchtversiegt.


Der Meister:


337

Willkommen sei mir, Gute du,

So weit gegangen bist du her!

Ja, Edle kommen also an,

Entbieten ihrem Lehrer Gruß,

Genesen von Begier, entjocht,

Vollendet ewig, suchtversiegt.


Subhā/Des Goldschmieds Tochter

338

Als junge Maid, im lichten Kleid,

Vernahm ich einst der Lehre Wort,

Und ernst und innig horcht' ich auf:

Die Wahrheit ward mir offenbar.


[582] 339

Da hat vor allem Weltgenuß

Ein tiefer Ekel mich erfaßt,

Entsetzen vor der Leibeslust:

Entsagung, ach, ersehnt' ich mir!


340

Verlassen hab' ich Eltern bald,

Geschwister, Freunde, Dienertroß,

Und Feld und Anger, blütenreich,

Und was noch lieblich lockt und reizt:

Gelassen hab' ich, heimatlos,

Ein reiches Erbe gern zurück.


341

So zog ich fort aus Zuversicht,

Mit wahrer Satzung wohl versehn:

Wie möcht' es heute ziemen mir

Begehr zu hegen, dulden gar?

Wo Gold ich warf und Silber weg,

Da sollt' ich wieder heimisch sein?


342

Ja, Silber, sicher, gibt und Gold

Erkenntnis nicht und keine Ruh':

Nicht kann Asketen taugen das,

Der Reinen Reichtum ist es nicht.


343

Verlangen läßt es, macht uns matt,

Verwirrung wirkt es, züchtet Staub,

Verstörung zeugt es, treibt Verdruß,

Zerrinnt gar eilig, ohne Rast.


344

Darum ereifern Menschen sich,

Beschmutzen schmählich ihren Sinn,

Und einer reibt den andern auf,

Und alle ringen insgesamt.


[583] 345

Verderben kürt man, Kerker, Tod,

Verlust und Leiden, Qual und Not:

Wer nach Genüssen geifernd giert

Muß elend also untergehn.


346

Was wollt ihr, die mir Sippe seid,

Wie Feinde listig locken mich?

Erkennt mich als Asketin an,

Verleidet ist mir all die Lust.


347

Um Schätze nicht und nicht um Gold

Ist Wahnversiegung feil gesetzt:

Wie Mörder morden lauert Lust,

Und sticht und stachelt, bändigt bald.


348

Was wollt ihr, die mir Sippe seid,

Wie Feinde listig locken mich?

Erkennt mich als Asketin an,

Geschoren kahl, gekleidet fahl.


349

Nur Bettelbrocken, Bettelrest,

Nur Fetzenkittel, Fetzenrock

Darf taugen mir, geziemen mir,

Was heimentwöhnten Büßern frommt.


350

Verhiehen hat der Meister Lust,

So Götterlust, so Menschenlust:

Wer ewig abgefesselt geht

Ist unerfaßbar unbewegt.


351

Nicht will in Lüsten um ich gehn,

Wo Rettung nirgend ist bereit:

Wie Mörder morden lauert Lust,

Wie Flammen flackern lodert Lust.


[584] 352

Unselig ist sie, voll Gefahr,

Voll Qual und Jammer, Angst und Graus,

Die Gier, die zick und zack uns jagt,

Die große Falle, die uns fängt,


353

Und grimmig anpackt, gräßlich greift!

Wie Schlangenrachen lungert Lust,

Woran der Tor sich letzen mag,

Der blöde, der gemeine Mensch.


354

Im Sumpfe sinken viele fest,

Unwissend elend in der Welt,

Und finden, ach, die Grenze nicht,

Die Grenze von Geburt und Grab.


355

Auf übler Fährte wandeln sie,

Von Lust verleitet, oft hinab:

Die Menschen fördern Werk um Werk,

Das böse Frucht gebären muß.


356

So züchten Lüste Kummer auf,

Versehren uns, besudeln uns,

Sind Lockspeis', Köder dieser Welt,

Des Todes Netze sind sie nur,


357

Und reizen uns zur Raserei!

Den Geist zermartern, meucheln sie:

Zu ludern geil die Wesen an

Hat Schlingen schlau der Tod gelegt.


358

Unendlich ist der Lüste Qual,

Von Jammer voll und voll von Gift

Und Bitternis und Zorn und Zank,

Verzehrend unser besser Teil.


[585] 359

Da solches Elend ich gesehn

Wo Lust gebietet, Lust regiert,

Begehr' ich keine Wiederkehr,

Erloschen ewig, wahnerlöst.


360

Bekriegt, gekreuzt ist all die Lust!

Will ausgeglüht verglommen sein,

Beharrlich heiter, Tag um Tag,

Von ihrem Frone längst entfrönt.


361

Auf holder Fährte, sicher, hell,

Auf reinen Pfaden, achtmal recht,

Hinüber geh' ich, folge nach

Den Siegern, die gegangen sind.


362

Und heute seht mich heilig stehn,

Subhā, des Goldschmieds Töchterlein,

Unsehrbar sinnen, unverstört

Im stillen Walde, baumbeschirmt.


363

Ich hab' entsagt aus Zuversicht,

Bin tugendhell am achten Tag!

Uppalavaṇṇā riet mir recht:

Drei Wissen warb ich, schlug den Tod.


364

Entknechtet bin ich, bin entsühnt,

Als Nonne nüchtern, rein gereift,

Von jedem Joche losgelöst,

Vollendet ewig, suchtversiegt.


[586] 365

Und Sakko kam in lichtem Schein:

Mit Götterscharen zog er an

Und grüßte hell, der Geisterherr,

Subhā, des Goldschmieds Töchterlein.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 565-587.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon