XIV

Das Buddho-Kapitel

[654] 179

Des Sieg nicht wieder übersiegt wird,

Dem siegend keiner mehr entgegen ziehet,

Ihn, den Erwachten, Allerkenner,

Den Unergreifbaren könnt ihr nicht greifen.


180

Den nirgendwo ergreifen können

Des Wollens gierig heiße Daseinstriebe,

Ihn, den Erwachten, Allerkenner,

Den Unergreifbaren könnt ihr nicht greifen.


181

Den einsichtfroh Entsagenden,

In tiefster Ruh' Beseligten:

Die Götter selbst beneiden ihn,

Den Auferwachten, Standhaften.


182

Schwer ist es, Mensch zu werden hier,

Schwer lebt sich's bei den Sterblichen,

Schwer hört man von dem wahren Heil,

Schwer trifft man einen Buddho an.


183

Sich allem Bösen wenden ab,

Erkämpfen Gutes Schritt um Schritt,

Sein Herz von Schlacken rein zu glühn:

Das ist Erwachter Lehrgebot.


[655] 184

Geduld ist höchste Buße, Dauertugend,

Das höchste Heil: das künden an Erwachte;

Und Pilger ist nicht wer den andern angreift,

Asket nicht wer mit andern sich verärgert.


185

Nie streiten, niemals greifen an,

In reiner Zucht gezügelt sein,

Beim Mahle kennen rechtes Maß,

An fern entlegnem Orte ruhn,

Nach hohem Ziele herzbestrebt:

Das ist Erwachter Lehrgebot.


186

Kein Regen Goldes sättigt je

Der Menschen stets erneute Gier;

»Begierden trügen, schmerzen uns«:

In solchem Wissen wohlbewährt,


187

Sogar für höchste Himmelslust

Ganz ohne Herz und ohne Sinn

Beseligt einen wahren Sohn

Des siegreich Allvollendeten

Einzig des Wollens Aufhebung.


188

Wie manche Zuflucht suchet man,

Gepeitscht von wilder Schreckensfurcht,

Als Berg und Fels, als Wald und Hain,

Geweihten Baums und Altars Statt.


189

Doch dies gewährt nicht Sicherheit,

Dies ist die höchste Zuflucht nicht,

An solcher Zufluchtstätte wird

All unser Leiden nicht gestillt.


[656] 190

Wer bei dem Buddho, seinem Wort

Und seinen Jüngern Zuflucht fand,

Erkennt mit voller Weisheitkraft

Die heiligen vier Wahrheiten:


191

Das Leid, des Leidens Ursache,

Des Leidens Überwältigung,

Den heil'gen achtgeteilten Weg,

Der zu des Leidens Ende führt.


192

Dies, wahrlich, bietet Sicherheit,

Dies ist die höchste Zuflucht uns,

Wer diese Zuflucht sich erkor,

Wird allen Leidens selig frei.


193

Ein edler Mann tritt selten auf,

Nicht überall entstehet er;

Wo ein Erhabener erscheint,

Gedeihet alles Volk umher.


194

Gut, daß Erwachte auferstehn,

Gut, daß sie Wahrheit lehren uns,

Gut Eintracht in der Jüngerschaft,

Gut die Askese Friedlicher.


195

Wer Ehrungswürdige verehrt,

Die Buddhos, oder Jünger auch,

Die jeden bösen Trieb besiegt,

Die allem Gram und Schmerz entrückt,


[657] 196

Wer solche Männer hochverehrt,

Die Allerlösten, Furchtlosen,

Des großes, großes Heilverdienst

Ist unermeßlich, unschätzbar.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 654-658.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon