4. Vanini

[39] Ich erwähne noch Julius Cäsar Vanini als hierher gehörig; sein eigentlicher Vorname war Lucilius. Er hat viele Ähnlichkeit mit Bruno, ist ebenso ein Märtyrer der Philosophie geworden wie Bruno, hatte auch das Schicksal, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Er ist geboren 1586 zu[39] Taurozano im Neapolitanischen. Er ist überall herumgeschweift, in Genf, Lyon, wo er sich durch Flucht nach England vor der Inquisition rettete. Nach zwei Jahren kehrte er nach Italien zurück. In Genua lehrte er die Naturphilosophie nach Averroes, vertrug sich nicht, trieb sich in mancherlei Abenteuern, Disputationen über Philosophie und Theologie herum. Er wurde immer verdächtiger, flüchtete von Paris, wurde wegen Gottlosigkeit, nicht Ketzerei, vor Gericht gefordert. Franconus, sein Ankläger, beschwor, daß Vanini gotteslästerliche Dinge geredet. Vanini beteuerte zwar, der katholischen Kirche treu geblieben zu sein, – seinen Glauben an die Dreieinigkeit; und als Antwort auf die Beschuldigung des Atheismus nahm er vor seinen Richtern einen Strohhalm vom Boden auf und sagte, daß schon dieser Halm ihn vom Dasein Gottes überzeugen würde. Aber es half nichts; er wurde 1619 zu Toulouse in Frankreich zum Scheiterhaufen verurteilt, vor Vollziehung des Urteils ihm aber erst durch den Henker die Zunge ausgerissen. Indessen ist sein Prozeß nicht klar; er ist mehr aus persönlicher Feindschaft, aus Verfolgungswut der Geistlichen in Toulouse hervorgegangen.

Er war vorzüglich durch Cardanus' Originalität erregt worden. In ihm sehen wir eine Wendung des Vernünftigen des Philosophierens gegen die Theologie, während die scholastische Philosophie der Theologie gemäß war und diese dadurch bestätigt werden sollte. Die katholische Kirche hat sich von der Wissenschaft losgesagt, sich ihr feindlich gegenübergestellt. In der katholischen Kirche hat sich die Kunst aufgetan, aber das freie Denken hat sich davon geschieden. In Bruno und Vanini hat sie sich dagegen gerächt, und das freie Denken ist insofern von der katholischen Kirche geschieden und ist ihr fremd geblieben.

Sein Philosophieren geht nicht weit; er bewundert die Lebendigkeit der Natur. Tief philosophisch waren Vaninis[40] Räsonnements eben nicht, sondern mehr leicht durch Einfälle. Er wählte immer Form des Dialogs; und es wird nicht sichtbar, welche Behauptung die seinige ist. Er schrieb Kommentarien zu physischen Schriften des Aristoteles. Wir haben von Vanini noch zwei Werke, die sehr selten sind. Das eine Buch heißt Amphitheatrum aeternae providentiae divino-magicum, christiano-physicum, nec non astrologo-catholicum, adversus veteres philosophos, Atheos, Epicureos, Peripateticos et Stoicos, 1615, – eine Widerlegung der Atheisten, Epikureer usf., worin er ihre Philosophien, ihre Gründe mit vieler Beredsamkeit vorträgt; die Art aber, wie er sie widerlegt, fällt schwach genug aus. Das zweite Werk heißt Von den wunderbaren Geheimnissen der Königin und Göttin der Sterblichen, der Natur (De admirandis Naturae, reginae Deaeque mortalium arcanis libri IV, Paris 1616), – cum approbatione der Sorbonne gedruckt, die anfangs nichts darin angetroffen, quod religioni catholicae apostolicae et romanae repugnaret aut contrarium esset. Und es sind Untersuchungen in dialogischer Form, doch ohne daß bestimmt angegeben ist, in welcher Person Vanini seine Meinungen darlegt; es ist die Form von wissenschaftlichen Untersuchungen über einzelne physikalische und naturhistorische Materien. Er entscheidet im Dialog nicht. Man findet Versicherungen: er würde diese oder jene Lehre glauben, wenn er nicht im Christentume unterrichtet wäre. Die Tendenz war Naturalismus, zu zeigen, daß die Natur die Gottheit sei, daß alle Dinge mechanisch entstünden und das ganze Universum in seinem Zusammenhange nur aus mechanischen, wirkenden, nicht aus Endursachen zu erklären; aber es ist dies so gehalten, daß der Verfasser sich nicht entscheidet.

So tritt Gegensatz von Glauben und Vernunft ein. Dieses war schon früher bei Pomponatius, einem Aristoteliker, der Fall. Er bewies, daß aus dem Aristoteles Begriff der Sterblichkeit[41] der Seele abzuleiten wäre: Aristoteles setzte vegetative und animalische Seele als eins. Die Vernunft ist so nicht fähig, Unsterblichkeit der Seele zu begründen; er glaube nur daran, weil das Christentum sie offenbare. Er wurde vor die Inquisition gefordert, Kardinäle beschützten ihn aber, und so wurde keine Notiz davon genommen. – Vanini und andere setzten die Vernunft wieder in Gegensatz mit dem Glauben, – der Kirche und der Lehre der Kirche. Sie bewiesen zwar diese oder jene Dogmata, die dem christlichen Glauben gerade widersprechen, durch die Vernunft, erklärten aber dabei, wie unter den Reformierten Bayle nachher immer, daß sie ihre Überzeugung der Kirche unterwerfen, – der Christ müsse sich unterwerfen, und er unterwerfe sich dem Glauben. Oder sie brachten alle Gründe und Einfälle gegen die theologischen Dogmen vor, als unauflöslich für die Vernunft, aber unterwarfen dies ebenfalls, das, was die Vernunft nicht widerlegen könne, dem Glauben der Kirche. So macht er Einwürfe gegen die Versöhnung, bringt Gründe, Räsonnement an dafür, daß die Natur Gott sei. Weil man aber überzeugt war, daß die Vernunft den christlichen Dogmen nicht entgegen sein könne, und weil man an der Ehrlichkeit einer solchen Unterwerfung zweifelte, das aufzugeben, wovon man sich durch die Vernunft überzeugt hat, mußte Galilei, weil er das System des Kopernikus verteidigt, auf den Knien abbitten, und Vanini wurde verbrannt. Beide hatten so vergebens auch die dialogische Form für ihre Schriften gewählt.

Allerdings bewies Vanini durch die eine Person in den Dialogen selbst »aus dem Text der Bibel, daß der Teufel mächtiger ist als Gott«, daß Gott nicht die Welt regiere. Es sind dies solche Gründe z.B.: Gegen den Willen Gottes haben Adam und Eva gesündigt und so das ganze Menschengeschlecht zur Sünde gebracht (reluctante Deo Adamum et Evam totumque genus humanum ad interitum duxit); auch Christus sei durch die Macht der Finsternis gekreuzigt (morte turpissima damnatus). Überdies wolle ja Gott, daß alle[42] Menschen selig würden. Aber der Katholiken seien sehr wenige gegen die übrige Welt, die Juden seien oft abgefallen; die katholische Religion erstrecke sich nur auf Spanien, Frankreich, Italien, Polen und einen Teil von Deutschland. Wenn man hiervon auch noch die Atheisten, Blasphemisten, Ketzer, Hurer, Ehebrecher usf. abziehe, so würden noch weniger übrigbleiben. Mithin sei der Teufel mächtiger als Gott. Dies seien Gründe des Verstandes, der Vernunft, sie seien nicht zu widerlegen, aber man unterwerfe sich dem Glauben, und dies tue er. Merkwürdig ist, daß man ihm dies nicht geglaubt hat. Man glaubte dem Vanini nicht, daß es mit dem, was er Vernünftiges vorgebracht – obgleich er es widerlegt (aber schwach, subjektiv: es können schlechte Gründe überzeugend sein; oder bei objektiven behält jenes sein Recht) und sich dem Glauben zu unterwerfen bezeugte –, ihm doch nicht Ernst sei. Es liegt dabei zugrunde, daß, wenn der Verstand so etwas eingesehen hat, was die Vernunft nicht widerlegen kann, ein solcher Mensch nicht anders als diesen Bestimmungen anhängen kann, ein Entgegengesetztes nicht glauben kann; man glaubt nicht, daß der Glauben in ihm stärker sei als diese Einsicht.

Die Kirche verfiel in den sonderbaren Gegensatz, daß sie Vanini darum verdammte, weil er ihre Lehren nicht der Vernunft gemäß gefunden, aber ihnen doch sich unterwarf, daß sie also es zu fordern schien und mit Scheiterhaufen bekräftigte, nicht daß ihre Lehren über die Vernunft erhaben, sondern ihr gemäß seien. Diese Reizbarkeit der Kirche ist inkonsequent; früher war zugegeben, daß die Vernunft das Geoffenbarte nicht erfaßte und die Einwendungen derselben aus ihr selbst zu widerlegen, aufzulösen, gleichgültig sei. Die Kirche kam in Widerspruch. Sie ließ nicht zu, daß dieser Widerspruch des Glaubens und der Vernunft als Ernst genommen werde, sondern Vanini wurde als Ketzer verbrannt; darin liegt implizit, daß die Lehre der Kirche der[43] Vernunft nicht widerstreiten könne, indem man doch die Vernunft der Kirche unterwerfen solle. – Diese Wendung ist auch bei Bayle im kritischen Dictionnaire herrschend. Er berührt viele philosophische Vorstellungen, z.B. im Artikel der Manichäer. Er sagt, sie behaupten, es seien zwei Prinzipien usw. Bayle sagt, solche Behauptungen können nicht widerlegt werden, man müsse sie aber der Kirche unterwerfen. Unter dieser Wendung brachte man alles Mögliche gegen die Kirche vor.

Es entzündet sich hier der Streit zwischen sogenannter Offenbarung und Vernunft, in welchem jene dieser gegenübergesetzt, diese für sich auftritt und jene von dieser geschieden, da vorher beides eins, oder das Licht des Menschen das Licht Gottes, der Mensch nicht ein eigenes Licht hatte, sondern sein Licht als das Göttliche galt. – Die Scholastiker hatten gar kein eigenes Wissen von eigenem Inhalt, sondern den Inhalt der Religion; der Philosophie blieb das rein Formelle. Aber jetzt kam sie zu eigenem Inhalt, der dem Inhalt der Religion entgegen war; oder die Vernunft fühlte wenigstens, eigenen Inhalt zu haben oder die Form der Vernünftigkeit jenem unmittelbaren Inhalt entgegenzustellen.

Dieser Gegensatz hat später einen anderen Sinn erhalten als heutigentags; der ältere Sinn ist dieser, daß der Glaube die Lehre des Christentums ist, die als Wahrheit gegeben ist und bei der der Mensch als Wahrheit zu bleiben habe. Das ist so hier Glaube an diesen Inhalt, woran noch sonstige Vorstellungen geknüpft worden sind. Die Überzeugung durch Verstand, Vernunft ist dem entgegen. Jetzt ist dieser Glaube innerhalb des denkenden Bewußtseins selbst verlegt: der Glaube ist Verhalten des Selbstbewußtseins selbst zu den Tatsachen, die es in sich selbst findet, nicht zum objektiven Inhalt der Lehre. – Was den älteren Gegensatz betrifft, so ist der Glaube, das objektive Credo der Inhalt. Dieser hat zwei Teile; man muß unterscheiden. Der eine Teil ist die Lehre der Kirche als Dogma, die Lehre von der Natur Gottes, daß er dreieinig ist; dazu gehört Erscheinung Gottes in[44] der Welt, im Fleisch, Verhältnis des Menschen zu dieser göttlichen Natur, seine Seligkeit, Göttlichkeit. Das ist der Teil der ewigen Wahrheiten, der von absolutem Interesse für die Menschen; dieser Teil ist seinem Inhalte nach wesentlich spekulativ, er kann nur Gegenstand für den spekulativen Begriff sein. Der andere Teil, an den auch Glaube gefordert wird, bezieht sich auf äußerliche Vorstellungen; dazu gehört der ganze Umfang des Geschichtlichen, so die Geschichten im Alten Testament, ebenso im Neuen, Geschichten in der Kirche usw. Es wird etwa Glaube an alle diese Endlichkeit gefordert. Wenn einer z.B. nicht an Gespenster glaubte, wurde er für Freigeist, Atheist gehalten, ebenso wenn man nicht glaubte, Adam habe im Paradiese vom Apfelbaum gegessen. Beide Teile werden auf eine Stufe gestellt. – Das gehört zum Verderben der Kirche und des Glaubens, daß für beide Glaube gefordert wird. An die äußerlichen Vorstellungen haben sich die vornehmlich gewendet, welche als Bekämpfer des Christentums und als Atheisten (bis auf Voltaire herunter) verschrien worden sind. – Wenn solche äußerlichen Vorstellungen festgehalten werden, so kann es nicht anders sein, als daß Widersprüche aufgezeigt werden.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 39-45.
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