Sechszehntes Capitel.

Von den empirischen Gesetzen.

[41] §. 1. Die Naturforscher geben den Namen empirische Gesetze gewöhnlich denjenigen Gleichförmigkeiten, deren Existenz die Beobachtung und das Experiment nachgewiesen hat, auf welche sie aber Anstand nehmen, sich in Fällen, die von den wirklich beobachteten stark abweichen, zu verlassen, weil sie keinen Grund einsehen können, warum ein solches Gesetz existiren sollte. Der Begriff eines empirischen Gesetzes schliesst daher ein, dass es kein letztes Gesetz ist, dass wenn es überhaupt wahr ist, seine Wahrheit fähig ist erklärt zu werden und erklärt werden muss. Es ist ein abgeleitetes Gesetz, dessen Ableitung noch unbekannt ist. Die Erklärung, das Warum des empirischen Gesetzes angeben hiesse die Gesetze angeben, wovon es abgeleitet, die letzten Ursachen, von welchen es abhängig ist; und wenn wir diese wüssten, so wüssten wir auch, welches seine Grenzen sind, unter welchen Bedingungen es aufhören würde erfüllt zu werden.

Die ursprünglich durch die beharrliche Beobachtung der Astronomen des Ostens bestimmte periodische Wiederkehr der Finsternisse war so lange ein empirisches Gesetz, bis sie durch die allgemeinen Gesetze der Bewegung der Himmelskörper erklärt wurde. Die folgenden sind empirische Gesetze, welche noch in die einfachen Gesetze, von welchen sie sich ableiten, zu zerlegen sind: Die localen Gesetze der Ebbe und Fluth an verschiedenen Orten der Erde; das Folgen von gewissen Arten von Wetter auf gewisse Erscheinungen am Himmel; die scheinbaren Ausnahmen von der fast allgemeinen Wahrheit, dass sich die Körper stets bei der Zunahme ihrer Temperatur ausdehnen; das Gesetz, dass eine Thierrace oder Pflanzenspecies durch Kreuzung verbessert wird; dass[41] Gase eine grosse Neigung besitzen, thierische Membrane zu durchdringen; dass Opium und Alkohol berauschen; das Gesetz, dass Substanzen, die eine grosse Menge Stickstoff enthalten (wie Blausäure und Morphium), starke Gifte sind; dass gewisse Legirungen härter sind als die Metalle, welche sie zusammensetzen; dass die Anzahl der Atome einer Säure, die erforderlich sind, um eine organische Base zu neutralisiren, in einem festen Verhältniss zum Stickstoff der Base stehen; dass die Löslichkeit der Substanzen in einander (wenigstens in einem gewissen Grade) von der Aehnlichkeit ihrer Elemente abhängt.125

Ein empirisches Gesetz ist also eine beobachtete Gleichförmigkeit, von der man vermuthet, dass sie in einfache Gesetze zerlegt werden kann, aber noch nicht zerlegt ist. Die Bestimmung der empirischen Gesetze der Naturerscheinungen geht oft der Erklärung dieser Gesetze durch die deductive Methode lange voraus; und die Bestätigung einer Deduction besteht gewöhnlich in der Vergleichung ihrer Resultate mit vorher empirisch ermittelten Gesetzen.

§. 2. Aus der beschränkten Anzahl letzter Gesetze geht nothwendig eine grosse Anzahl abgeleiteter Gleichförmigkeiten, sowohl der Succession als der Coexistenz, hervor. Einige sind Gesetze der Succession oder der Coexistenz zwischen verschiedenen Wirkungen derselben Ursache; hiervon hatten wir Beispiele in dem vorhergehenden Capitel. Andere sind Gesetze der Folge zwischen Wirkungen und ihren entfernteren Ursachen, und in die Gesetze zerlegbar, welche eine jede mit dem Zwischenglied verbinden. Drittens,[42] wenn Ursachen zusammenwirken und ihre Wirkungen vereinigen, so erzeugen die Gesetze dieser Ursachen das fundamentale Gesetz der Wirkung, nämlich das Gesetz, dass sie von der Coexistenz dieser Ursachen abhängig ist. Und zuletzt hängt die unter den Wirkungen stattfindende Ordnung des Aufeinanderfolgens oder der Coexistenz nothwendig von ihren Ursachen ab. Sind es Wirkungen von einerlei Ursache, so hängt diese Ordnung von den Gesetzen dieser Ursache ab; wenn von verschiedenen Ursachen, so hängt sie von den Gesetzen dieser verschiedenen Ursachen und von Umständen ab, welche ihre Coexistenz bestimmen. Forschen wir weiter darnach, wann und wie diese Ursachen coexistiren werden, so hängt dies ebenfalls wieder von ihren Ursachen ab, und wir können so die Naturerscheinungen immer weiter zurückführen, bis sich die verschiedenen Reihen von Wirkungen in einem Punkte begegnen, und das Ganze sich zuletzt als von einer gemeinschaftlichen Ursache abhängig darstellt, oder bis sie statt in einem Punkte zu convergiren, in verschiedenen Punkten endigen und es erwiesen ist, dass die Ordnung der Wirkungen aus einer ursprünglichen Collocation von einigen der urersten Ursachen oder Agentien hervorgegangen ist. Die Ordnung der Folge und Coexistenz unter den Bewegungen der Himmelskörper z.B., welche durch die Gesetze Kepler's ausgedrückt wird, ist von der Coexistenz zweier urerster Ursachen, der Sonne und dem ursprünglich unserm Planeten ertheilten Stoss,126 abgeleitet. Die Gesetze Kepler's sind in die Gesetze dieser Ursachen und in die Thatsache ihrer Coexistenz zerlegt.

Die abgeleiteten Gesetze hängen daher nicht allein von den letzten Gesetzen, von welchen sie ableitbar sind, sondern sie hängen auch meistens von letzten Gesetzen und einer letzten Thatsache, nämlich dem Modus der Coexistenz einiger der ursprünglichen Elemente des Universums ab. Die letzten Causalgesetze könnten dieselben sein, wie jetzt, und die abgeleiteten Gesetze könnten dennoch gänzlich verschieden sein, wenn die Ursachen in anderen Verhältnissen coexistirten, oder auch nur mit irgend einem Unterschiede in denjenigen ihrer Beziehungen, welche auf die Wirkung Einfluss[43] haben. Wenn z.B. die Anziehung der Sonne und die bewegende Kraft in einem andern Verhältniss zu einander gestanden hätten, als sie wirklich stehen (und wir kennen keinen Grund, warum dies nicht hätte der Fall sein können), so würden die abgeleiteten Gesetze ganz verschieden von dem gewesen sein, was sie gegenwärtig sind. Die existirenden Verhältnisse sind aber von der Art, dass sie regelmässige elliptische Bewegungen erzeugen; irgend andere Verhältnisse würden verschiedene Ellipsen oder kreisförmige, parabolische oder hyperbolische, aber immer regelmässige Bewegungen erzeugt haben, da sich die Wirkungen eines jeden der Agentien nach einem gleichförmigen Gesetze anhäufen, und zwei regelmässige Reihen von Grössen, wenn ihre entsprechenden Glieder addirt werden, eine regelmässige Reihe irgend einer Art hervorbringen müssen, welche Grössen es auch sein mögen.

§. 3. Das zuletztgenannte Element in der Zerlegung eines abgeleiteten Gesetzes, das Element, das kein Causalgesetz, sondern eine Collocation von Ursachen ist, kann nun nicht selbst auf irgend ein Gesetz zurückgeführt werden. Es giebt (wie früher bemerkt wurde) keine in der Vertheilung der urersten natürlichen Agentien durch das Weltall wahrnehmbare Gleichförmigkeit, es giebt darin keine Norm, kein Princip und keine Regel. Die verschiedenen Substanzen, aus denen die Erde besteht, die Kräfte, welche das Weltall durchdringen, stehen in keinem constanten Verhältniss zu einander. Die eine Substanz ist reichlicher vorhanden als die andere, die eine Kraft wirkt in einer grösseren Ausdehnung des Raumes als die andere, ohne dass wir eine durchgehende Analogie entdecken könnten. Nicht allein dass wir keinen Grund kennen, warum die Anziehung der Sonne und die Tangentialkraft genau in dem thatsächlichen Verhältnisse coexistiren, sondern wir können auch keine Coincidenz zwischen diesem Verhältniss und den Verhältnissen nachweisen, in denen andere elementare Kräfte in dem Universum sich vermischen. Die grösste Unordnung in der Verbindung der Ursachen ist sichtlich mit der vollkommensten Ordnung in ihren Wirkungen verträglich; denn wenn ein jedes Agens seine eigenen Wirkungen nach einem gleichförmigen Gesetze vollbringt, so wird sogar ans der capriciösesten Verbindung von Agentien eine Regelmässigkeit irgend einer Art hervorgehen, wie[44] wir bei dem Kaleidoskop sehen, wo irgend eine Anordnung von Stückchen gefärbten Glases durch das Gesetz der Reflexion eine schöne Regelmässigkeit der Wirkung hervorbringt.

§. 4. In den obigen Betrachtungen liegt die Rechtfertigung des geringen Grades von Vertrauen, das die Philosophen gewöhnlich zu empirischen Gesetzen haben.

Ein derivirtes Gesetz, das gänzlich aus der Thätigkeit einer einzigen Ursache hervorgeht, wird eben so allgemein wahr sein als die Gesetze der Ursache selbst, d.h. es wird immer wahr sein, ausgenommen da, wo irgend eine von denjenigen Wirkungen der Ursache, von denen das abgeleitete Gesetz abhängt, durch eine entgegenwirkende Ursache aufgehoben wird. Aber wenn das abgeleitete Gesetz nicht aus den verschiedenen Wirkungen einer einzigen Ursache, sondern aus den Wirkungen verschiedener Ursachen hervorgeht, so können wir keine Gewissheit haben, dass es bei einer jeden Veränderung in der Art der Coexistenz der Ursachen oder der urersten natürlichen Agentien, von denen diese Ursachen zuletzt abhängen, wahr sein wird. Der Satz, dass Kohlenlager ausschliesslich auf gewissen Arten von Schichten liegen, obgleich so weit unsere Erfahrung reicht in Beziehung auf die Erde wahr, kann nicht auf den Mond oder auf die anderen Planeten ausgedehnt werden, immer vorausgesetzt, dass dort Kohlen existiren; denn wir können nicht die Ueberzeugung haben, dass die ursprüngliche Beschaffenheit irgend eines andern Planeten von der Art war, um die verschiedenen Ablagerungen in derselben Ordnung wie auf unserer Erde hervorzubringen. Das abgeleitete Gesetz hängt in diesem Falle nicht allein von Gesetzen, sondern von einer Collocation ab, und Collocationen können nicht auf ein Gesetz zurückgeführt werden.

Es ist nun gerade der Charakter eines derivirten Gesetzes, das noch nicht in seine Elemente zerlegt worden ist, mit anderen Worten eines empirischen Gesetzes, dass wir nicht wissen, ob es aus den verschiedenen Wirkungen einer einzigen Ursache oder aus den Wirkungen verschiedener Ursachen hervorgeht. Wir können nicht sagen, ob es gänzlich von Gesetzen oder ob theils von Gesetzen, theils von einer Collocation abhängig ist. Wenn es von einer Collocation abhängig ist, so wird es in allen Fällen[45] wahr sein, in denen diese Collocation existirt. Da wir aber im Falle seiner Abhängigkeit von einer Collocation gänzlich darüber unwissend sind, welches die Collocation sei, so können wir das Gesetz nicht mit Sicherheit über die Grenzen der Zeit und des Ortes ausdehnen, innerhalb derer wir eine wirkliche Erfahrung seiner Wahrheit besitzen. Denn da innerhalb dieser Grenzen das Gesetz immer als wahr befunden wurde, so haben wir den Beweis, dass die Collocationen, wie sie auch seien, von denen es abhängt, wirklich innerhalb dieser Grenzen existiren. Da wir aber keine Regel und kein Princip kennen, wonach sich diese Collocationen selbst richten, so können wir nicht schliessen, dass, weil die Existenz einer Collocation innerhalb gewisser Grenzen von Ort und Zeit bewiesen ist, dieselbe auch ausserhalb dieser Grenzen existiren wird. Empirische Gesetze dürfen daher nur innerhalb der Grenzen von Zeit und Ort, in denen sie durch Erfahrung als wahr befunden worden, für wahr gehalten werden; und nicht bloss innerhalb der Grenzen von Zeit und Ort, sondern von Zeit, Ort und Umständen; denn da es gerade die Natur des empirischen Gesetzes ist, dass wir die letzten Gesetze der Ursachen, von denen es abhängig ist, nicht kennen, so können wir ohne eine wirkliche Probe nicht voraussehen, in welcher Art, oder bis zu welcher Ausdehnung die Einführung eines neuen Umstandes darauf einwirken wird.

§. 5. Wie können wir nun aber wissen, ob eine durch die Erfahrung ermittelte Gleichförmigkeit nur ein empirisches Gesetz ist? Da wir der Annahme nach nicht im Stande gewesen sind, sie in höhere Gesetze zu zerlegen, wie sollen wir wissen, dass sie nicht ein letztes Causalgesetz ist?

Die Antwort hierauf ist, dass keine Generalisation mehr als ein empirisches Gesetz ist, wenn der Beweis, worauf sie beruht, einzig nach der Methode der Uebereinstimmung geführt worden ist; denn wir haben gesehen, dass wir durch diese Methode allein niemals zu den Ursachen gelangen können. Alles was die Methode der Uebereinstimmung thun kann, besteht in der Bestimmung des Ganzen der Umstände, das allen Fällen, in denen ein Phänomen hervorgebracht wurde, gemein ist; und dieses Aggregat schliesst natürlicherweise nicht allein die Ursache der Naturerscheinung, sondern auch alle Naturerscheinungen ein, womit es durch irgend[46] eine abgeleitete Gleichförmigkeit verknüpft ist, entweder dass dieselben collaterale Wirkungen derselben Ursache, oder Wirkungen von irgend einer andern Ursache sind, welche in allen Fällen, die wir fähig waren zu beobachten, mit ihr coexistirten. Die Methode bietet kein Mittel, um zu bestimmen, welche von diesen Gleichförmigkeiten Causalgesetze und welche nur abgeleitete, aus diesen Causalgesetzen und der Collocation der Ursachen hervorgehende Gesetze sind. Keine derselben darf daher als etwas Anderes, als ein abgeleitetes Gesetz, dessen Ableitung noch nicht nachgewiesen ist, mit anderen Worten, als ein empirisches Gesetz angenommen werden. In diesem Lichte müssen alle durch die Methode der Uebereinstimmung erhaltenen Resultate (und daher fast alle durch die blosse Beobachtung ohne Experiment erhaltenen Wahrheiten) betrachtet werden, bis sie entweder durch die Differenzmethode bestätigt oder deductiv d.h. mit anderen Worten a priori erklärt werden.

Die empirischen Gesetze können mehr oder weniger Glaubwürdigkeit besitzen, je nachdem wir Grund zu vermuthen haben, dass sie bloss in Gesetze, oder in Gesetze und Collocationen zerlegbar sind. Da die Sequenzen, welche wir in der Erzeugung und dem darauffolgenden Leben eines Thieres oder einer Pflanze beobachten, nur auf der Methode der Uebereinstimmung beruhen, so sind sie bloss empirische Gesetze; aber obgleich in diesen Sequenzen die Antecedentien möglicherweise nicht die Ursachen der Folgen sind, so sind wahrscheinlich die einen sowohl wie die anderen überhaupt nur aufeinanderfolgende Stadien einer progressiven Wirkung, die einer gemeinschaftlichen Ursache entspringt und daher unabhängig von Collocationen ist. Von der andern Seite sind die Gleichförmigkeiten in der Ordnung der Erdschichten empirische Gesetze von einer viel schwächern Art, da sie nicht allein keine Causalgesetze sind, sondern da auch nicht einmal Grund zu glauben vorliegt, dass sie alle von einer gemeinschaftlichen Ursache abhängen. Aller Anschein spricht für ihre Abhängigkeit von einer besondern Collocation natürlicher Agentien, die ursprünglich auf unserer Erde existirten, und woraus in Beziehung auf die Collocation, welche in irgend einem andern Theil des Weltalls existirt oder existirt hat, keine Folgerung gezogen werden kann.

[47] §. 6. Da unsere Definition eines empirischen Gesetzes nicht allein diejenigen Gleichförmigkeiten einschliesst, von denen man nicht weiss, ob sie Causalgesetze sind, sondern auch diejenigen, von welchen dieses bekannt ist, vorausgesetzt, dass man Grund habe zu vermuthen, dass es keine letzten Gesetze sind: so ist hier der schickliche Ort zu betrachten, aus welchen Merkmalen wir zu erkennen vermögen, dass wenn auch eine beobachtete Gleichförmigkeit ein Causalgesetz ist, dieses nicht ein letztes, sondern ein abgeleitetes Gesetz ist.

Das erste Zeichen ist, wenn zwischen dem Antecedens a und der Folge b ein Zwischenglied, irgend ein Phänomen existirt, dessen Existenz wir zwar bemerken, dessen genaue Natur und Gesetze wir aber der Unvollkommenheit unserer Sinne oder Instrumente wegen nicht bestimmen können. Wenn ein solches Phänomen (das wir mit x bezeichnen wollen) vorhanden ist, so folgt, dass wenn auch a die Ursache von b ist, es nur die entfernte Ursache ist, und dass das Gesetz, a verursacht b, in wenigstens zwei Gesetze, a verursacht x und x verursacht b, zerlegbar ist. Dies ist ein sehr häufiger Fall, da die Thätigkeit der Natur nach einem so minutiösen Maassstab wirkt, dass viele der aufeinanderfolgenden Stufen entweder unbemerkbar sind, oder nur sehr undeutlich bemerkt werden.

Nehmen wir z.B. die Gesetze der chemischen Verbindung der Körper und unter diesen das Gesetz, wenn Wasserstoff und Sauerstoff sich verbinden, entsteht Wasser. Alles was wir bei diesem Process sehen, ist, dass zwei Gase in einem gewissen Verhältniss gemischt sind, und dass wenn Elektricität oder Wärme auf dieses Gemenge einwirkt, eine Explosion stattfindet, die Gase verschwinden und Wasser zurückbleibt. Es besteht hier kein Zweifel wegen des Gesetzes, oder daran, dass es ein Causalgesetz sei. Aber zwischen dem Antecedens (die Gase in einem Zustand von mechanischer Vermengung und erhitzt oder elektrisirt) und der Folge (Erzeugung von Wasser) muss ein intermediärer Process stattfinden, den wir nicht sehen. Denn wenn wir irgend einen Theil des Wassers nehmen und der Analyse unterwerfen, so finden wir immer, dass es Wasserstoff und Sauerstoff, ja sogar in denselben Verhältnissen, nämlich dem Volumen nach zwei Volumen Wasserstoff und ein Volumen Sauerstoff enthält. Dies ist von einem Tropfen und von dem kleinsten Theile wahr, den unsere Instrumente zu schätzen vermögen. Da also der kleinste wahrnehmbare[48] Theil Wasser diese beiden Substanzen enthält, so müssen Theile von Sauerstoff und Wasserstoff, die kleiner sind als der kleinste wahrnehmbare Theil, in einem jeden noch so kleinen Theil des Raumes zusammengekommen sein, müssen näher an einander gekommen sein, als die Gase in einem Zustand von mechanischer Vermischung es waren, da (um keine anderen Gründe anzuführen) das Wasser weniger Raum einnimmt als die Gase. Da wir nun diese Berührung oder enge Annäherung nicht sehen können, so können wir auch nicht beobachten, von welchen Umständen sie begleitet ist, oder nach welchen Gesetzen ihre Wirkungen hervorgebracht werden. Die Erzeugung des Wassers, d.h. der fühlbaren Erscheinungen, welche diese Verbindung charakterisiren, kann eine sehr entfernte Wirkung dieser Gesetze sein. Es können hier unzählige Zwischenglieder existiren, und wir wissen gewiss, dass einige existiren müssen. Da wir den vollen Beweis haben, dass irgend eine körperliche Wirkung den grossen Umwandlungen der durch die Sinne wahrnehmbaren Eigenschaften der Substanzen vorhergeht, so können wir nicht zweifeln, dass die Gesetze der chemischen Thätigkeit, so wie sie jetzt bekannt sind, nicht letzte, sondern abgeleitete Gesetze sind, wie unwissend wir auch in Beziehung auf die Natur der Gesetze der Corpuscularwirkung, von denen sie abgeleitet sind, sein oder sogar immer bleiben mögen.

In ähnlicher Weise sind alle Processe des vegetativen Lebens, sei es in dem Leben der Pflanze oder des Thierkörpers, Corpuscularprocesse. Die Ernährung ist eine Hinzufügung von Theilchen zu einander, wobei zuweilen bloss andere, getrennte und secernirte Partikel ersetzt werden, zuweilen aber eine Zunahme des Volumens und des Gewichtes verursacht wird, die so allmälig ist, dass sie nur bei längerer Fortdauer wahrnehmbar wird. Verschiedene Organe secerniren vermittelst besonderer Gefässe aus dem Blute Flüssigkeiten, deren Bestandtheile in dem Blute enthalten gewesen sein müssen, die jedoch sowohl in den physikalischen Eigenschaften, als in der chemischen Zusammensetzung im höchsten Grade von demselben abweichen. Hier ist also ein Ueberfluss von unbekannten, noch zu suchenden Gliedern, und es kann kein Zweifel obwalten, dass die Gesetze der Erscheinungen des organischen Lebens abgeleitete Gesetze sind, die von den Eigenschaften der Körpertheilchen und derjenigen elementaren Gewebe[49] abhängen, welche verhältnissmässig einfache Verbindungen dieser Körpertheilchen sind.

Das erste Zeichen also, aus dem geschlossen werden kann, dass ein bisher unzerlegtes Causalgesetz ein abgeleitetes Gesetz ist, besteht in irgend einer Anzeige der Existenz eines oder mehrer Zwischenglieder zwischen dem Antecedens und dem Consequens. Das zweite Zeichen ist, wenn das Antecedens eine äusserst zusammengesetzte, eine complexe Naturerscheinung ist, und seine Wirkung daher wahrscheinlich, wenigstens zum Theil, aus den Wirkungen seiner verschiedenen Elemente zusammengesetzt ist; denn wir wissen, dass der Fall, wo die Wirkung des Ganzen nicht aus den Wirkungen seiner Theile hervorgeht, ein Ausnahmefall ist, während die Zusammensetzung der Ursachen bei weitem den gewöhnlicheren Fall bildet.

Wir wollen dies durch zwei Beispiele erläutern; in dem einen ist das Antecedens die Summe von vielen homogenen, in dem andern von heterogenen Theilen. Das Gewicht eines Körpers wird durch die Gewichte seiner kleinsten Partikeln gebildet, eine Wahrheit, welche die Astronomen in ihrer allgemeinsten Fassung ausdrücken wenn sie sagen: bei gleichen Entfernungen gravitiren die Körper in dem Verhältniss ihrer Quantität von Materie gegen einander. Alle wahren Sätze, welche in Beziehung auf die Schwere aufgestellt werden können, sind daher abgeleitete Gesetze, und das letzte Gesetz, in welche sie alle aufgelöst werden können, lautet: ein jedes Theilchen der Materie zieht ein jedes andere Theilchen an. Als zweites Beispiel können wir irgend eine von den in der Meteorologie beobachteten Erscheinungen nehmen, z.B. dass die Verminderung des Drucks der Atmosphäre (durch das Fallen des Barometers angezeigt) von Regen begleitet ist. Das Antecedens ist hier eine zusammengesetzte Naturerscheinung, die aus heterogenen Elementen gebildet wird, indem die Luftsäule über irgend einem Orte aus zwei Theilen, einer Luftsäule und einer damit vermischten Säule von wässerigen Dünsten besteht; und die, durch das Fallen des Barometers angezeigte und von Regen begleitete, Veränderung in beiden zusammen muss aus einer Veränderung in der einen oder in der andern oder in beiden zugleich hervorgehen. Wir könnten daher, sogar bei Ermangelung eines jeden andern Beweises, aus der beständigen[50] Anwesenheit dieser beiden Elemente in dem Antecedens die ziemliche Vermuthung ableiten, dass das Phänomen wahrscheinlich kein letztes Gesetz, sondern ein Resultat der Gesetze der zwei verschiedenen Agentien ist, eine Vermuthung, die wir nur dann aufgeben müssten, wenn wir uns mit den Gesetzen beider so wohl bekannt gemacht hätten, um versichern zu können, dass diese Gesetze nicht für sich allein das beobachtete Resultat hervorbringen könnten.

Es giebt nur sehr wenige Fälle von Succession aus sehr zusammengesetzten Antecedentien, welche nicht durch einfachere Gesetze entweder wirklich erklärt worden wären, oder in Beziehung auf welche man nicht mit grosser Wahrscheinlichkeit (aus der ermittelten Existenz causaler, noch nicht verstandener Zwischenglieder) gefolgert hätte, dass sie auf diese Weise zu erklären sind. Es ist daher höchst wahrscheinlich, dass alle Folgen aus complexen Antecedentien auf diese Weise auflösbar, und dass die letzten Gesetze in allen Fällen verhältnissmässig einfach sind. Wenn wir nicht die bereits angeführten Gründe hätten zu glauben, dass die Gesetze der organischen Natur in einfachere Gesetze zerlegbar sind, so würden wir fast darin, das die Antecedentien der meisten Folgen so sehr zusammengesetzt sind, einen hinreichenden Grund finden.

§. 7. In der vorhergehenden Discussion haben wir zwei Arten von empirischen Gesetzen erkannt: solche, von denen wir wissen, dass sie Causalgesetze, von denen aber zu vermuthen ist, dass sie in einfachere Gesetze zerlegbar sind, und solche, von denen wir überhaupt nicht wissen, ob sie Causalgesetze sind. Diese beiden Arten von Gesetzen stimmen darin überein, dass sie zu ihrer Erklärung die Deduction erfordern, sowie darin, dass sie das geeignete Mittel sind, eine solche Deduction zu verificiren, indem sie die Erfahrung repräsentiren, womit das Resultat der Deduction zu vergleichen ist. Sie stimmen ferner darin überein, dass so lange sie nicht erklärt und mit den letzten Gesetzen, aus denen sie hervorgehen, verknüpft sind, sie nicht den höchsten Grad von Gewissheit erreicht haben, dessen Gesetze fähig sind. Es ist bei einer früheren Gelegenheit gezeigt worden, dass Causalgesetze, welche abgeleitet und aus einfacheren Gesetzen zusammengesetzt[51] sind, wie die Natur des Falles andeutet, nicht allein weniger allgemein, sondern auch weniger gewiss sind als die einfacheren Gesetze, aus denen sie hervorgehen; dass man sich nicht so positiv darauf verlassen kann, dass sie universell wahr sind. Der geringe Grad von Evidenz, der dieser Classe von Gesetzen zukommt, ist indessen kaum mit dem bei weitem geringeren zu vergleichen, der Gleichförmigkeiten inwohnt, von denen wir überhaupt nicht wissen, ob sie Causalgesetze sind. So lange dieselben nicht zerlegt sind, können wir nicht sagen, von wie vielen Collocationen sowohl als Gesetzen ihre Wahrheit abhängig sein mag; wir können sie daher nicht mit vollkommenem Vertrauen auf Fälle ausdehnen, in denen wir uns nicht durch den Versuch versichert haben, dass die nöthige Collocation von Ursachen, welche sie auch sein mag, existirt. Dieser Classe von Gesetzen allein kommt die Eigenschaft, welche die Philosophen gewöhnlich als charakteristisch für empirische Gesetze ansehen, in ihrer ganzen Strenge zu, die Eigenschaft nämlich, untauglich zu sein, um ausserhalb der Grenzen von Zeit, Ort und Umständen, unter denen die Beobachtungen gemacht worden sind, eine Verlässlichkeit darzubieten. Dies sind in einem strengeren Sinne empirische Gesetze, und wenn ich diesen Ausdruck gebrauche (ausgenommen wo der Text augenfällig das Gegentheil anzeigt), so will ich damit allgemein nur jene Gleichförmigkeiten entweder der Folge oder der Coexistenz bezeichnen, von denen wir nicht wissen, ob sie Causalgesteze sind.[52]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 2, Braunschweig 31868, S. 41-53.
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