Siebenzehntes Capitel.

Vom Zufall und seiner Elimination.

[53] §. 1. Indem wir also nur diejenigen Gleichförmigkeiten als empirische Gesetze betrachten, in Beziehung auf welche die Frage, ob sie Causalgesetze sind, so lange unentschieden bleiben muss, bis sie deductiv erklärt werden können, oder bis sich irgend ein Weg gefunden hat, um die Differenzmethode auf sie anwenden zu können, haben wir in dem vorhergehenden Capitel nachgewiesen, dass so lange man eine Gleichförmigkeit nicht auf die eine oder die andere Weise aus der Classe der empirischen Gesetze entfernen und sie den Causalgesetzen oder den erwiesenen Resultaten von Causalgesetzen anreihen kann, sie nicht mit Sicherheit ausserhalb der localen und anderen Grenzen, in denen sie die Erfahrung bewährt befunden hat, als wahr angesehen werden können. Es bleibt uns nun noch zu betrachten, wie wir uns von ihrer Wahrheit sogar innerhalb dieser Grenzen zu überzeugen haben; wie gross die Erfahrung sein muss, damit eine Generalisation, die allein auf der Methode der Uebereinstimmung beruht, auch als ein empirisches Gesetz als hinreichend begründet angesehen werden darf. In einem früheren Capitel, in welchem wir von den Methoden der directen Induction handelten, haben wir uns diese Frage ausdrücklich vorbehalten,127 und es ist nun hier der Ort, dass wir suchen, sie zu lösen.

Wir haben gefunden, dass die Methode der Uebereinstimmung den Fehler hat, keine Causalität zu beweisen, und dass sie daher nur zur Bestimmung empirischer Gesetze gebraucht werden kann. Wir fanden überdies, dass sie ausser dieser Mangelhaftigkeit an[53] einer charakteristischen Unvollkommenheit leidet, die sogar diejenigen Schlüsse ungewiss zu machen strebt, welche die Methode an und für sich geeignet wäre zu beweisen. Diese Unvollkommenheit entspringt aus der Vielfachheit der Ursachen. Obgleich es möglich ist, dass zwei oder mehr Fälle, in denen das Phänomen a stattgefunden hat, kein anderes gemeinschaftliches Antecedens haben als A, so beweist dies noch nicht, dass zwischen a und A irgend ein Zusammenhang besteht, indem a viele Ursachen haben und in diesen verschiedenen Fällen nicht durch etwas, was diesen Fällen gemeinschaftlich war, sondern durch einige ihrer sich von einander unterscheidenden Elemente hervorgebracht sein kann. Nichstdestoweniger bemerkten wir, dass sich im Verhältniss zur Vervielfältigung der Fälle, die auf A als das Antecedens deuten, die charakteristische Unsicherheit der Methode verringert und die Existenz eines Gesetzes des Zusammenhangs zwischen a und A sich der Gewissheit immer mehr nähert. Es ist nun zu bestimmen, nach welcher Grösse der Erfahrung diese Gewissheit als praktisch erreicht und der Zusammenhang zwischen a und A als ein empirisches Gesetz angenommen werden kann.

Diese Frage kann einfach in folgender Weise ausgedrückt werden: Nach wie viel und nach welcher Art von Fällen kann geschlossen werden, dass ein beobachtetes Zusammentreffen (eine Coincidenz) zweier Naturerscheinungen nicht die Wirkung des Zufalls ist?

Es ist für das Verständniss der inductiven Logik von der grössten Wichtigkeit, dass man sich eine deutliche Vorstellung von dem mache, was unter Zufall verstanden wird, und wie die Erscheinungen, welche die gewöhnliche Sprache dieser Abstraction zuschreibt, in Wirklichkeit hervorgebracht werden.

§. 2. Man spricht gewöhnlich vom Zufall, als vom Gegensatz zu einem Gesetz; Alles (so nimmt man an), was man nicht irgend einem Gesetze zuschreiben kann, wird dem Zufall zugeschrieben. Es ist indessen gewiss, dass Alles, was sich in der Welt ereignet, das Resultat eines Gesetzes, eine Wirkung von Ursachen ist, die aus einer Kenntniss der Existenz dieser Ursachen und ihrer Gesetze hätte vorausgesagt werden können. Wenn ich eine besondere Karte umschlage, so ist dies eine Folge[54] des Platzes, den sie in dem Spiel Karten einnahm. Ihr Platz in dem Spiele war eine Folge der Art, in welcher die Karten gemischt oder in dem letzten Spiele gespielt wurden, was wiederum die Wirkung früherer Ursachen ist. Wenn wir bei einem jeden Stadium eine genaue Kenntniss der existirenden Ursachen gehabt hätten, so wäre es möglich gewesen, die Wirkung vorauszusagen.

Ein zufälliges Ereigniss kann erklärt werden als ein Zusammentreffen, aus dem wir keinen Grund haben eine Gleichförmigkeit zu folgern, als das Eintreffen eines Phänomens unter gewissen Umständen, ohne dass wir deswegen einen Grund zu folgern haben, es werde unter diesen Umständen wiederkehren. Bei näherer Betrachtung schliesst dies indessen eine unvollständige Aufzählung der Umstände ein. Welches auch die Thatsache sei, wenn sie einmal stattgefunden hat, so können wir überzeugt sein, dass wenn sich alle Umstände wiederholten, sie ebenfalls wiederholt stattfinden würde, und nicht bloss wenn alle Umstände sich wiederholten, sondern auch wenn ein besonderer Theil von ihnen, wovon das Phänomen eine unveränderliche Folge ist, sich wiederholen würde. Mit den meisten derselben ist es indessen nicht in einer dauernden Weise verbunden; seine Verbindung mit denselben wird eine Wirkung des Zufalls, eine nur zufällige genannt. Zufällig verbundene Thatsachen sind einzeln die Wirkungen von Ursachen und daher von Gesetzen, aber von verschiedenen Ursachen, und von Ursachen, die durch kein Gesetz mit einander verbunden sind.

Es ist also unrichtig zu sagen, ein Phänomen werde durch den Zufall hervorgebracht; dagegen können wir sagen, dass zwei oder mehr Phänomene durch Zufall verbunden sind, dass sie nur zufällig coexistiren und aufeinanderfolgen, indem hiermit gemeint ist, dass sie in keiner Weise eine causale Beziehung zu einander haben, dass sie weder Ursache und Wirkung, noch Wirkungen derselben Ursache oder von Ursachen, zwischen denen irgend ein Gesetz der Coexistenz besteht, noch sogar Wirkungen von derselben ursprünglichen Collocation von urersten Ursachen sind.

Wenn dasselbe zufällige Zusammentreffen sich nie zum zweitenmale ereignen würde, so hätten wir damit eine leichte Probe, um es von einem jeden Zusammentreffen, das ein Resultat von Gesetzen ist, zu unterscheiden. So lange die Phänomene nur ein einziges Mal zusammen angetroffen worden sind, so lange könnten wir[55] nicht unterscheiden, ob das Zusammentreffen ein zufälliges ist, wir müssten denn ein allgemeineres Gesetz kennen, aus dem es hervorgegangen sein könnte; wenn sie aber zweimal zusammen vorkämen, so wüssten wir, dass die so verbundenen Phänomene auf irgend eine Weise durch ihre Ursachen zusammenhängen müssen.

Es giebt indessen keine derartige Probe. Ein Zusammentreffen kann immer und immer wieder eintreffen und doch nur zufällig sein. Ja es wäre sogar unverträglich mit dem, was wir von der Ordnung der Natur wissen, zu zweifeln, dass ein jedes zufällige Zusammentreffen sich früher oder später wiederholen wird, so lange die Naturerscheinungen, zwischen denen es stattfand, nicht aufhören zu existiren oder erzeugt zu werden. Die mehr als einmal wiederholte Wiederkehr desselben Zusammentreffens, ja sogar seine häufige Wiederkehr beweist daher nicht, dass es ein Fall von einem Gesetze ist, sie beweist nicht, dass es nicht (in gewöhnlicher Sprache) die Wirkung des Zufalls ist.

Und dennoch ist, wenn ein Zusammentreffen weder von bekannten Gesetzen abgeleitet, noch durch das Experiment als selbst ein Fall von Verursachung erwiesen werden kann, die Häufigkeit seines Vorkommens der einzige Beweis, woraus wir folgern können, dass es das Resultat eines Gesetzes ist; nicht indessen die absolute Häufigkeit seines Vorkommens. Die Frage ist nicht, ob in dem gewöhnlichen Sinne dieser Worte das Zusammentreffen selten oder oft vorkommt, sondern ob es öfter vorkommt als der Zufall erklären, öfter als man vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Zusammentreffen nur zufällig wäre. Wir haben daher zu entscheiden, welchen Grad von Häufigkeit des Zusammentreffens der Zufall erklären wird. Hierauf giebt es nun keine allgemeine Antwort. Wir können nur die Principien angeben, nach denen die Antwort gegeben werden muss; die Antwort selbst wird in jedem verschiedenen Falle eine verschiedene sein.

Wir wollen annehmen, das eine Phänomen, A, existire immer und das andere, B, nur gelegentlich, so folgt, dass ein jeder Fall von B ein Fall von Zusammentreffen mit A sein wird, und dennoch ist das Zusammentreffen nur zufällig, nicht das Resultat eines Zusammenhangs zwischen ihnen. Von dem Anfange der menschlichen Erfahrung an haben die Fixsterne beständig existirt, und alle Naturerscheinungen, welche unserer Beobachtung erreichbar waren,[56] haben in einem jeden einzelnen Falle mit ihnen coexistirt; und obgleich dies Zusammentreffen eben so unveränderlich ist als das, welches zwischen irgend einem dieser Phänomene und seiner eigenen Ursache existirt, so beweist dies doch nicht, dass die Sterne seine Ursache sind, oder dass sie in irgend einer Art damit in Zusammenhang stehen. Ein so strenger Fall eines Zusammentreffens als möglicherweise existiren kann, und in Beziehung auf blosse Häufigkeit strenger, als die meisten Coincidenzen, welche Gesetze beweisen, beweist also hier nicht das Vorhandensein eines Gesetzes; und warum? Weil seit die Sterne existiren, sie mit jedem andern Phänomen coexistiren müssen, ob sie in einem Causalzusammenhang damit stehen oder nicht. So gross die Gleichförmigkeit sein mag, so ist sie doch nicht grösser, als sie bei der Voraussetzung, kein derartiger Zusammenhang existire, sein würde.

Nehmen wir ferner an, wir wollten untersuchen, ob zwischen dem Regen und einem besondern Wind ein Zusammenhang existirt. Wir wissen, dass der Regen gelegentlich bei einem jeden Winde vorkommt; der Zusammenhang, wenn er existirt, kann daher kein wirkliches Gesetz sein; aber der Regen kann dennoch mit einem besondern Winde in einem Causalzusammenhange stehen, d.h. obgleich Wind und Regen nicht immer Wirkungen derselben Ursache sein dürften (denn in diesem Falle würden sie immer coexistiren), so kann es doch einige beiden gemeinschaftliche Ursachen geben, so dass, insofern der eine und der andere durch diese gemeinschaftlichen Ursachen hervorgebracht wird, sie zufolge der Gesetze der Ursachen coexistiren werden. Wie werden wir dies nun bestimmen? Es ist einleuchtend, dass die Antwort sein wird: indem wir beobachten, ob Regen mit dem einen Winde öfter vorkommt als mit dem andern. Dies ist indessen nicht genug; denn dieser Wind weht vielleicht häufiger als der andere, so dass sein häufigeres Wehen bei Regenwetter nicht mehr ist, als auch geschehen würde, wenn es keinen Causalzusammenhang mit dem Regen hätte, vorausgesetzt, dass es mit keinen dem Regen entgegenwirkenden Ursachen verknüpft sei. In England wehen die Westwinde das Jahr hindurch beinahe das Doppelte der Zeit der Ostwinde. Wenn es also zweimal mehr mit dem Westwinde als mit dem Ostwinde regnet, so haben wir keinen Grund zu schliessen, dass irgend ein Naturgesetz bei dem[57] Zusammentreffen im Spiel ist. Wenn es aber mehr als zweimal so viel mit dem Westwinde regnet, so können wir überzeugt sein, dass ein Naturgesetz im Spiel ist; entweder ist in der Natur eine Ursache, welche strebt, beides, Regen und Westwind, hervorzubringen, oder der Westwind hat selbst das Bestreben, Regen hervorzubringen. Wenn es aber weniger als zweimal regnet, so können wir einen ganz entgegengesetzten Schluss machen; anstatt eine Ursache oder mit den Ursachen des andern verknüpft zu sein, muss der eine mit Ursachen im Zusammenhang stehen, die dem andern entgegenwirken, oder mit der Abwesenheit einer Ursache, welche ihn hervorbringt; und obgleich es mit dem Westwind noch viel öfter als mit dem Ostwind regnen mag, so wäre das so weit entfernt, einen Zusammenhang zwischen diesen Naturerscheinungen zu beweisen, dass sich sogar ein Zusammenhang zwischen Regen und Ostwind, mit dem Winde also ergeben würde, mit dem derselbe in Betreff der blossen Häufigkeit des Zusammentreffens weniger verbunden ist.

Wir haben also hier zwei Beispiele; in dem einen beweist die möglichst grosse Häufigkeit des Zusammentreffens ohne einen Fall vom Gegentheil doch kein Gesetz, während in dem andern ein viel weniger häufiges Zusammentreffen, sogar wenn das Nichtzusammentreffen häufiger ist, das Vorhandensein eines Gesetzes beweist. In beiden Fällen ist das Princip dasselbe. In beiden betrachten wir die positive Häufigkeit der Phänomene selbst, und eine wie grosse Häufigkeit des Zusammentreffens dieselbe für sich zu Stande bringen muss ohne dass man einen Zusammenhang zwischen ihnen annimmt, aber auch ohne dass entgegenstrebende Eigenschaften unter ihnen vorhanden, oder dass sie mit Ursachen verknüpft seien, die ihre Wirkungen gegenseitig aufheben könnten. Wenn wir eine grössere Häufigkeit des Zusammentreffens finden als diese, so schliessen wir, dass ein Zusammenhang, bei einer geringeren Häufigkeit, dass ein Widerstreben zwischen den Erscheinungen vorhanden ist. In dem ersten Falle schliessen wir, dass das eine Phänomen das andere unter Umständen verursachen kann, oder dass etwas existirt, was sie beide verursacht; in dem letzten, dass das eine von ihnen oder eine Ursache, welche das eine von ihnen hervorbringt, fähig ißt, die Erzeugung des andern zu verhindern. Wir haben auf diese Weise von der beobachteten Häufigkeit des Zusammentreffens[58] so viel, als die Wirkung des Zufalls sein kann, abzuziehen, d.h. von der blossen Häufigkeit der Phänomene selbst, und wenn etwas übrig bleibt, so ist dieses Uebrigbleibende die rückständige Thatsache, welche die Existenz eines Gesetzes beweist.

Die Häufigkeit der Naturerscheinungen kann nur innerhalb bestimmter Grenzen des Raums und der Zeit bestimmt werden, indem sie von der Quantität und Vertheilung der urersten natürlichen Agentien abhängt, von denen wir ausserhalb der Grenzen menschlicher Beobachtung nichts wissen können, da kein Gesetz, keine Regelmässigkeit darin nachgewiesen werden kann, wodurch wir in den Stand gesetzt werden könnten, das unbekannte aus dem Bekannten zu folgern. Für den gegenwärtigen Zweck ist dies aber kein Nachtheil, da die Frage innerhalb derselben Grenzen eingeschlossen ist, wie die Data. Die Coincidenzen kamen an gewissen Orten und zu gewissen Zeiten vor, und innerhalb derselben können wir berechnen, in welcher Häufigkeit solche Coincidenzen durch den Zufall hervorgebracht werden würden. Wenn wir also durch die Beobachtung finden, dass A in einem von je zwei und B in einem von je drei Fällen existirt, und wenn alsdann weder ein Zusammenhang noch ein Widerstreben zwischen ihnen oder einigen ihrer Ursachen existirt, so werden in dem einen von je sechs Fällen A und B zugleich existiren, werden coexistiren. Es existirt nämlich A in drei Fällen unter sechs, und da B in einem von je drei, ohne Rücksicht auf die An- oder Abwesenheit von A existirt, so wird es in einem dieser drei Fälle existiren. Unter der ganzen Anzahl von Fällen werden daher zwei sein, in welchen A ohne B existirt, ein Fall von B ohne A, zwei in welchen weder A noch B existirt, und ein Fall von sechs, in dem beide existiren. Wenn man daher in Wirklichkeit findet, dass sie öfter als in einem von je sechs Fällen coexistiren, und dass folglich A ohne B nicht zweimal unter drei, und B ohne A nicht einmal unter zwei Fällen existirt, so ist eine Ursache vorhanden, welche eine Verbindung von A und B hervorzubringen strebt.

Indem wir das Resultat generalisiren, können wir sagen, dass wenn A in einer grössern Anzahl von den Fällen, worin B ist, als von den Fällen, wo B nicht ist, vorkommt, so wird dann B ebenfalls in einer grössern Anzahl von den Fällen, wo A ist, als von den Fällen, wo A nicht ist, vorkommen, und es wird zwischen A[59] und B ein Causalzusammenhang bestehen. Wenn wir zu den Ursachen der beiden Phänomene gelangen könnten, so würden wir bei irgend einem näheren oder entfernteren Stadium eine oder mehrere Ursachen finden, die beiden gemein sind, und wenn wir diese bestimmen könnten, so könnten wir eine Generalisation ausführen, die ohne Beschränkung von Ort und Zeit wahr wäre; aber so lange wir dies nicht können, bleibt die Thatsache einer Verbindung zwischen den zwei Naturerscheinungen ein empirisches Gesetz.

§. 3. Nachdem wir betrachtet haben, in welcher Weise es entschieden werden kann, ob eine gegebene Verbindung von Naturerscheinungen eine zufällige oder ob sie das Resultat eines Gesetzes ist, ist es der Vervollständigung der Theorie wegen nothwendig, dass wir nun diejenigen Wirkungen betrachten, welche zum Theil das Resultat des Zufalls und zum Theil das Resultat von Gesetzen sind, oder mit anderen Worten, in welchen die Wirkungen einer zufälligen Verbindung von Ursachen gewöhnlich mit den Wirkungen einer constanten Ursache zu einem Resultate vermischt sind.

Es ist dies ein Fall von Zusammensetzung der Ursachen, mit der Eigenthümlichkeit, dass anstatt zwei oder mehrerer Ursachen, welche ihre Wirkungen in einer regelmässigen Weise mit einander vermischen, wir nun eine constante Ursache haben, welche eine Wirkung hervorbringt, die successive durch eine Reihe von veränderlichen Ursachen modificirt wird. So strebt bei der Ankunft des Sommers die einer verticalen Stellung sich nähernde Sonne eine beständige Zunahme der Temperatur hervorzubringen; aber mit dieser Wirkung einer constanten Ursache sind die Wirkungen vieler veränderlichen Ursachen, sind die Wirkungen von Winden, Wolken, Verdunstung, elektrischen Agentien u. dgl. vermischt, so dass die gegebene Temperatur eines Tages zum Theil von diesen vorübergehenden Ursachen und nur zum Theil von der beständigen Ursache abhängt. Wenn die Wirkung der beständigen Ursache immer von den Wirkungen der veränderlichen Ursachen begleitet und verdeckt ist, so ist es unmöglich, das Gesetz der beständigen Ursache auf die gewöhnliche Weise, d.i. indem man sie von allen anderen Ursachen trennt und für sich beobachtet, zu bestimmen, und hieraus entsteht die Nothwendigkeit einer neuen Regel der experimentellen Forschung.[60]

Wenn die Wirkung der Ursache A verhindert werden kann, und zwar nicht regelmässig von derselben Ursache oder von denselben Ursachen, sondern von verschiedenen Ursachen zu verschiedenen Zeiten, und wenn diese so häufig oder so unbestimmt sind, dass wir sie unmöglich alle von einem Experiment ausschliessen, wenn wir sie auch verändern können, so nehmen wir unsere Zuflucht dazu, dass wir zu bestimmen suchen, was die Wirkung der veränderlichen Ursachen zusammengenommen ist. Zu diesem Ende machen wir so viel Versuche als möglich, indem wir A unverändert erhalten. Das Resultat dieser verschiedenen Versuche wird natürlich verschieden sein, da die unbestimmten, modificirenden Ursachen in einem jeden Versuch verschieden sind; wenn wir alsdann finden, dass die Resultate nicht progressiv sind, sondern im Gegentheil um einen gewissen Punkt schwanken, indem ein Versuch ein etwas grösseres, ein anderer ein etwas kleineres Resultat giebt, ein Resultat etwas mehr in die eine Richtung, ein anderes in die entgegengesetzte Richtung fällt, während der Durchschnitt oder mittlere Punkt nicht variirt, sondern verschiedene Reihen von hinreichend zahlreichen Versuchen (unter einer so grossen Mannigfaltigkeit von Umständen gemacht als möglich) immer dasselbe Mittel geben: so ist dieses Mittel oder Durchschnittsresultat derjenige Antheil, welcher in einem jeden Versuch der Ursache A zukommt, und die Wirkung, welche erhalten worden wäre, wenn A hätte allein wirken können; der veränderliche Rest ist die Wirkung des Zufalls, d.h. von Ursachen, deren Coexistenz mit der Ursache A nur zufällig war. Die Probe der Zulänglichkeit der Induction besteht in diesem Falle darin, dass irgend eine Zunahme der Anzahl von Versuchen, aus denen der Durchschnitt gewonnen wurde, den letzteren nicht wesentlich ändert.

Diese Art von Elimination, wobei wir nicht irgend eine bestimmbare Ursache, sondern die Menge von schwebenden, nicht bestimmbaren Ursachen eliminiren, kann die Elimination des Zufalls genannt werden. Ein Beispiel hiervon ist, wenn wir ein Experiment wiederholen, und das Mittel von verschiedenen Resultaten nehmen, um die Wirkungen der in einem jeden einzelnen Versuche unvermeidlichen Irrthümer los zu werden. Wenn keine fortdauernde Ursache vorhanden ist, die eine Neigung zum Irrthum, besonders in einer Richtung hervorbringen würde, so lehrt[61] uns die Erfahrung, dass wir sicher gehen, wenn wir annehmen, dass die Irrthümer von der einen Seite in einer gewissen Anzahl von Versuchen die Irrthümer der andern Seite ungefähr aufheben werden. Wir müssen daher den Versuch so lange wiederholen, bis eine jede Veränderung, die bei weiterer Wiederholung in dem Durchschnitt des Ganzen hervorgebracht wird, innerhalb derjenigen Grenzen des Irrthums fällt, die sich mit dem Grade von Genauigkeit, wie er zu dem beabsichtigten Zwecke erforderlich ist, vertragen.128

§. 4. Nach unserer bisherigen Voraussetzung machte die Wirkung der beständigen Ursache A einen so grossen und augenfälligen Antheil des allgemeinen Resultates aus, dass ihre Existenz niemals ein Gegenstand des Zweifels sein konnte, und das Eliminationsverfahren bestand nur in der Bestimmung, wie viel dieser Ursache zuzuschreiben, was ihr genaues Gesetz sei. Es kommen indessen Fälle vor, in welchen die Wirkung der beständigen Ursache im Vergleich mit der Wirkung einer der veränderlichen Ursachen, womit sie zufällig verbunden sein kann, so gering ist, dass sie der Aufmerksamkeit entgeht und man die Existenz irgend einer Wirkung einer constanten Ursache durch das Verfahren erfährt, welches im allgemeinen nur dazu dient, die Quantität dieser[62] Wirkung zu bestimmen. Dieser Fall von Induction kann in folgender Weise charakterisirt werden. Man weiss, dass eine gegebene Wirkung hauptsächlich, aber man weiss nicht, dass sie gänzlich von veränderlichen Ursachen hervorgebracht wird. Wenn sie gänzlich von solchen Ursachen hervorgebracht wird, so werden, wenn man ein Aggregat von einer hinreichenden Anzahl von Fällen hat, die Wirkungen dieser verschiedenen Ursachen einander aufheben. Wenn wir daher finden, dass dies nicht der Fall ist, sondern wenn wir, nachdem wir eine so grosse Anzahl von Versuchen gemacht haben, dass eine weitere Anzahl das Durchschnittsresultat nicht verändert, im Gegentheil finden, dass dieses Durchschnittsresultat nicht Null, sondern eine andere Grösse ist, um welche, obgleich sie im Vergleich mit der Totalwirkung gering ist, die Wirkung nichtsdestoweniger oscillirt, und welche der Mittelpunkt ihrer Oscillation ist, so können wir schliessen, dass dies die Wirkung einer beständigen Ursache ist, die wir durch eine der abgehandelten Methoden zu entdecken hoffen dürfen. Mann kann dies die Entdeckung eines rückständigen Phänomens durch Elimination der Wirkung des Zufalls nennen.

Auf diese Weise können z.B. die falschen Würfel entdeckt werden. Es sind natürlich keine falschen Würfel so plump auf der einen Seite schwerer gemacht, dass man immer dieselben Zahlen damit werfen muss; ein solcher Betrug würde augenblicklich entdeckt werden. Die Beschwerung, eine beständige Ursache, vermischt sich mit den veränderlichen Ursachen, welche entscheiden, welcher Wurf in einem jeden einzelnen Falle gethan werden wird. Wenn die Würfel nicht beschwert wären und der Wurf gänzlich von den veränderlichen Ursachen abhinge, so würden sich diese in einer hinreichenden Anzahl von Fällen einander das Gleichgewicht halten, und es würde keine Zahl von Würfen irgend einer Art vorherrschen. Wenn wir daher nach einer so grossen Anzahl von Versuchen, dass eine weitere Zunahme der Zahl derselben keine wesentliche Wirkung auf den Durchschnitt hat, ein Uebergewicht zu Gunsten eines besondern Wurfes finden, so können wir mit Sicherheit schliessen, dass eine beständige Ursache zu Gunsten dieses Wurfes thätig ist, oder mit anderen Worten, dass die Würfel falsch sind, und welches die Grösse des Betrugs ist. Auf eine ähnliche Weise wurde das, was man die täglichen Schwankungen[63] des Barometers nennt, Veränderungen im Barometerstand, die sich im Vergleich mit den Schwankungen, welche eine Folge der unregelmässigen Veränderungen in dem Zustande der Atmosphäre sind, als sehr klein herausstellen, dadurch entdeckt, dass man die durchschnittliche Barometerhöhe von verschiedenen Tagesstunden mit einander verglich. Es fand sich bei dieser Vergleichung eine kleine Differenz, welche im Durchschnitt constant blieb, wie sehr auch die absoluten Grössen variiren mochten, und die daher die Wirkung einer beständigen Ursache sein muss. Man fand hernach diese Ursache deductiv in der Luftverdünnung, welche durch die Zunahme der Temperatur während des Tages hervorgebracht wird.

§. 5. Nach diesen allgemeinen Betrachtungen über die Natur des Zufalls sind wir nun im Stande zu untersuchen, in welcher Weise wir zu einer Gewissheit gelangen können, ob eine Verbindung von zwei Naturerscheinungen, die in einer gewissen Anzahl von Fällen beobachtet worden ist, keine zufällige, sondern das Resultat einer Ursache, und daher als eine der Gleichförmigkeiten in der Natur, obgleich (so lange sie nicht a priori erklärt) nur als ein empirisches Gesetz anzunehmen ist.

Wir wollen den stärksten Fall, nämlich denjenigen annehmen, dass das Phänomen B niemals anders als nur in Verbindung mit A beobachtet worden sei. Sogar dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Zusammenhang stehen, nicht durch die ganze Anzahl von Fällen, in denen sie zusammen beobachtet wurden, sondern durch den Ueberschuss dieser Zahl über die der absoluten Häufigkeit von A zugehörige Zahl gemessen. Wenn z.B. A immer existirt und daher mit Allem coexistirt, so würde keine Anzahl von Fällen seiner Coexistenz mit B einen Zusammenhang beweisen, wie in unserm Beispiel von den Fixsternen. Wenn A eine Thatsache von so gewöhnlichem Vorkommen ist, dass man sie in der Hälfte aller Fälle, welche vorkommen, als gegenwärtig vermuthen kann, und daher auch in der Hälfte der Fälle, in denen B vorkommt, so darf nur der proportionale Ueberschuss über ein halb als ein Beweis eines Zusammenhangs zwischen A und B angesehen werden.

Zu der Frage: Von welcher Anzahl von Coincidenzen darf man bei einem Durchschnitt aus einer grossen Anzahl von Versuchen[64] erwarten, dass sie nur durch Zufall entstanden sei? entsteht noch die Frage: Wie gross darf die Abweichung von dem Durchschnitt sein, um bei einer kleineren Anzahl von Fällen, als für einen reinen Durchschnitt erforderlich ist, die Coincidenz als vom Zufall allein herrührend zu betrachten? Man muss nicht allein betrachten, was das allgemeine Resultat des Zufalls auf die Länge hin ist, sondern auch welches die äussersten Grenzen der Abweichung von diesem allgemeinen Resultate sind, die man gelegentlich als das Resultat von irgend einer geringeren Anzahl von Fällen erwarten darf.

Die Betrachtung der letzteren Frage, und eine jede Betrachtung über diejenige hinaus, welche wir ihr bereits gewidmet haben, gehört dem an, was die Mathematiker die Lehre vom Zufall oder, in einer anspruchsvolleren Phrase, die Wahrscheinlichkeitstheorie nennen.[65]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 2, Braunschweig 31868, S. 53-66.
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