Siebentes Capitel.

Fehlschlüsse, die auf Confusion beruhen.

[405] §. 1. Unter die fünfte und letzte Classe der Fallacien kann man füglich alle jene Fehlschlüsse ordnen, in denen die Quelle des Irrthums nicht sowohl in einer falschen Beurtheilung der Beweiskraft eines Beweises liegt, sondern in einer undeutlichen, unbestimmten und schwankenden Vorstellung von dem, was den Beweis ausmacht.

An der Spitze dieser Irrthümer steht jene zahlreiche Menge von fehlerhaften Schlüssen, in denen Zweideutigkeit der Wörter die Quelle des Irrthums ist; wenn aus Etwas, das wahr ist, wenn ein Wort in einem besonderen Sinne gebraucht wird, so geschlossen wird, als ob es in jedem Sinne des Wortes wahr wäre. In einem solchen Falle liegt keine falsche Beurtheilung des Beweises, weil darin überhaupt kein Beweis in Beziehung auf die Hauptfrage liegt; es liegt wohl Beweis darin, betrifft aber einen ganz anderen Punkt und wird nur wegen eines confusen Verständnisses der Bedeutung der gebrauchten Wörter für den wahren Beweis gehalten. Dieser Irrthum wird naturgemäss öfter in unseren Syllogismen als in unseren directen Inductionen begangen werden, weil wir in den ersteren unsere eigenen Noten oder die Anderer entziffern, während wir bei den letzteren die Dinge selbst entweder vor unseren Sinnen oder vor unserem Gedächtniss haben; ausgenommen jedoch wenn die Induction eine Induction nicht von individuellen Fällen auf eine Allgemeinheit, sondern von Allgemeinheiten auf eine noch höhere Generalisation ist; in diesem Falle kann der auf Zweideutigkeit beruhende Schlussfehler sowohl den inductiven als auch den syllogistischen Process treffen. Im Syllogismus kommt er auf zweierlei Weise vor: wenn der Mittelbegriff zweideutig ist,[405] oder wenn der eine der Termini des Syllogismus in den Prämissen in dem einen Sinn genommen wird und in dem Schluss in dem andern Sinn.

Erzbischof Whately giebt einige gute Erläuterungen in Betreff dieses Fehlschlusses. »Ein Fall,« sagt derselbe, »der als unter Zweideutigkeit des Mittelbegriffs fallend betrachtet werden kann, ist der auf den grammatikalischen Bau der Sprache gegründete Fehlschluss (von den Autoren, glaube fallacia figurae dictionis genannt), indem man gewöhnlich für ausgemacht hält, dass paronyme (oder conjugirte) Wörter, d.h. zu einander gehörende Wörter, wie das Substantiv, Adjectiv, Verbum etc. derselben Wurzel, eine genau entsprechende Bedeutung haben; was keineswegs allgemein der Fall ist. Ein solcher Fehlschluss könnte nicht einmal auf eine strenge logische Form gebracht werden, da dieselbe einen jeden Versuch des Fehlschlusses ausschliessen würde, indem er sowohl dem Klang als dem Sinn nach zwei Mittelbegriffe enthält. Aber in der Praxis ist nichts gewöhnlicher, als das fortwährende Verändern der gebrauchten Wörter Behufs der grammatikalischen Bequemlichkeit; auch liegt in diesem Verfahren nichts Unrechtes, so lange die Bedeutung der Wörter unverändert beibehalten wird; z.B. der Mord sollte mit dem Tode bestraft werden; dieser Mensch ist ein Mörder, daher verdient er den Tod etc. Hier gehen wir von der (in diesem Falle richtigen) Annahme aus, dass einen Mord begehen, und ein Mörder sein, – den Tod verdienen, und einer sein, der sterben sollte, beziehungsweise äquivalente Ausdrücke sind. Es würde häufig sehr unbequem sein, wenn man sich eine solche Freiheit versagen wollte, aber der Missbrauch derselben giebt Anlass zu dem fraglichen Fehlschluss, z.B. Projectenmacher verdienen kein Vertrauen, dieser Mensch hat ein Project gemacht, daher verdient er kein Vertrauen. Das Sophisma geht hier von der Voraussetzung aus, dass derjenige, welcher ein Project macht, ein Projectenmacher sein müsse; während der schlimme Sinn, der dem letzteren Wort gewöhnlich beigelegt wird, gar nicht in dem ersteren enthalten ist. Dieser Fehlschluss kann häufig so angesehen werden, als läge er nicht im Mittelbegriff, sondern in einem der Termini des Schlusses; so dass der gezogene Schluss in Wirklichkeit in den Prämissen keine Gewähr findet, wenn dieselbe auch aus der grammatikalischen Verwandtschaft der Wörter hervorzugehen[406] scheint; z.B. Bekanntschaft mit dem Schuldigen ist eine Präsumtion der Schuld; dieser Mensch hat eine solche Bekanntschaft, daher können wir präsumiren, er sei schuldig. Dieses Argument geht von der Voraussetzung einer genauen Uebereinstimmung zwischen Präsumiren und Präsumtion aus, die indessen nicht vorhanden ist, denn ›Präsumtion‹ wird gewöhnlich gebraucht, um eine Art von leichtem Verdacht auszudrücken, während ›präsumiren‹ einen wirklichen Glauben bezeichnet. Es giebt unzählige Fälle, wo stammverwandte (paronyme) Wörter, die dem oben Angeführten ähnlich sind, einander nicht entsprechen; wie Kunst, erkünstelt, Geist, geistlich etc.; und je geringer die Aenderung in der Bedeutung, um so wahrscheinlicher ist die Fallacie von Erfolg begleitet; denn wenn die Wörter dem Sinne nach so weit auseinander gekommen sind, wie etwa ›Erbarmen‹ und ›erbärmlich‹, so würde ein jeder den Fehlschluss wahrnehmen, und er könnte höchstens im Scherz gebraucht werden.196

»Der angeführte Fehlschluss ist nahe verwandt oder kann vielmehr als ein Zweig jenes Fehlschlusses betrachtet werden, der auf der Etymologie beruht; wenn ein Wort nämlich einmal im gebräuchlichen Sinn, und ein andermal im etymologischen oder ursprünglichen Sinn gebraucht wird. Das sehr häufig und in unheilbringender Weise gebrauchte Wort repräsentativ bietet hiervon ein Beispiel; unter der Annahme, seine richtige Bedeutung müsse genau dem stricten und ursprünglichen Sinne des Zeitworts ›repräsentiren‹ entsprechen, überredet der Sophist die Menge, ein Mitglied des Hauses der Gemeinen sei verbunden, sich in allen Punkten nach der Meinung seiner Constituenten zu richten, kurz nur deren Wortführer zu sein, während Gesetz und Herkommen, die in diesem Fall über die Bedeutung des Wortes entscheiden, nichts derartiges verlangen,[407] sondern dem Repräsentanten auferlegen, nach seinem eigenen besten Wissen und auf seine eigene Verantwortlichkeit hin zu handeln.«

Die folgenden Beispiele, in denen die Argumente gewöhnlich auf Zweideutigkeit der Wörter beruhen, sind von grosser praktischer Wichtigkeit.

Die Handelswelt wird zu diesem Fehlschluss häufig durch die Redensart »Geldmangel« verleitet. In der Handelssprache hat »Geld« zwei Bedeutungen: es bedeutet das Courant oder Umlaufsgeld, und das Capital, welches Anlage sucht, besonders als Darlehen. Im letzteren Sinn wird das Wort gebraucht, wenn man vom »Geldmarkt« spricht, und wenn man sagt, »der Geldwerth« sei hoch oder niedrig, indem damit der Zinsfuss gemeint ist. Die Folge von dieser Zweideutigkeit ist, dass sobald sich Geldmangel in dem letzteren Sinn fühlbar zu machen beginnt – sobald Schwierigkeit vorhanden ist, Darleihen zu erhalten, und der Zinsfuss hoch ist – man schliesst, dass dies von Ursachen kommen muss, welche auf die Geldmenge in dem anderen und mehr populären Sinne einwirken; dass das Umlaufsmittel der Quantität abgenommen haben muss, oder dass es vermehrt werden muss. Ich weiss, dass abgesehen von der doppelten Bedeutung des Wortes in den Thatsachen selbst einige Eigenthümlichkeiten liegen, welche diesem Irrthum scheinbar eine Stütze verleihen; aber die Zweideutigkeit der Sprache steht gerade an der Schwelle des Gegenstandes und vereitelt alle Versuche, Licht auf denselben zu werfen.

Ein anderer zweideutiger Ausdruck, ein Ausdruck, der uns bei den politischen Streitigkeiten der gegenwärtigen Zeit stets begegnet, besonders bei denjenigen, welche sich auf organische Aenderungen beziehen, ist die Redensart »Einfluss des Eigenthums«, welche manchmal gebraucht wird für den Einfluss der Achtung vor höherer Intelligenz, oder der Dankbarkeit für die Gefälligkeiten, welche Personen von grossem Besitz so sehr in ihrer Macht haben zu erzeugen; ein andermal für den Einfluss der Furcht, der Furcht vor der schlimmsten Art Macht, die grosses Eigenthum seinem Besitzer ebenfalls giebt, vor der Macht, Abhängigen zu schaden. Die Verwechslung des einen und des anderen Sinnes ist der stetige auf Zweideutigkeit beruhende und gegen diejenigen gerichtete Fehlschluss, welche das Wahlsystem von Corruption und[408] Einschüchterung zu reinigen suchen. Der Einfluss der Ueberredung, der durch das Bewusstsein des Wählers wirkt und sein Herz und seinen Geist mit fortreisst, ist wohlthätig – daher (so wird behauptet) sollte der Einfluss des Zwangs, der den Wähler zu vergessen nöthigt, dass er ein moralisches Agens ist, oder der ihn zwingt, im Gegensatz zu seiner moralischen Ueberzeugung zu handeln, nicht einer Beschränkung unterworfen werden.

Ein anderes Wort, das oft zu einem Werkzeug des auf Zweideutigkeit beruhenden Fehlschlusses gemacht wird, ist das Wort Theorie. Im eigentlichsten Sinn bedeutet Theorie das vollendete Resultat der philosophischen Induction aus der Erfahrung. In diesem Sinne giebt es sowohl irrige, als auch wahre Theorien, denn die Induction kann unrichtig ausgeführt sein; wenn wir aber in Beziehung auf einen Gegenstand etwas erkennen und unsere Erkenntniss als eine Richtschnur für die Praxis in die Form eines allgemeinen Urtheils bringen, so ist Theorie von irgend einer Art das nothwendige Resultat. In diesem, dem eigentlichen Sinne des Worts, ist Theorie die Erklärung der Praxis. In einem anderen und mehr vulgären Sinne bedeutet Theorie eine blosse Fiction der Einbildungskraft, die sich vorzustellen sucht, wie ein Ding möglicherweise hervorgebracht worden sein könnte, anstatt zu untersuchen, wie es hervorgebracht worden ist. Nur in diesem Sinne sind Theorie und Theoretiker unsichere Führer; aber gerade dieses Punktes wegen sucht man oft die Theorie im eigentlichen Sinne, d.h. die legitime Generalisation, das Ziel und das Ende aller Philosophie, lächerlich zu machen und in Misscredit zu bringen. Ein Schluss wird als werthlos dargestellt, gerade weil das geschehen ist, was, wenn es richtig geschehen ist, den höchsten Werth ausmacht, den ein Grundsatz, nach dem wir uns in der Praxis richten sollen, besitzen kann, nämlich in wenigen Worten das wirkliche Gesetz zu enthalten, von dem eine Erscheinung abhängt, oder eine Eigenschaft oder Relation, welche von dieser Erscheinung universell wahr ist.

»Die Kirche« bedeutet zuweilen nur den Clerus allein, zuweilen die ganze Gesellschaft der Gläubigen oder wenigstens der Communicanten. Die Declamationen in Betreff der Unverletzlichkeit des Kirchenguts verdanken dieser Zweideutigkeit den grössten Theil ihrer scheinbaren Stärke. Da der Clerus auch die Kirche genannt wird, so nimmt man an, er wäre der wirkliche Eigenthümer[409] des sogenannten Kirchenguts, während er in Wahrheit doch nur aus den die Geschäfte führenden Mitgliedern einer viel grössern Gesellschaft von Eigenthümern besteht, und nur die nicht über eine Leibrente hinausgehende Nutzmessung hat.

Das folgende stoische Argument ist Cicero's drittem Buche De Finibus entnommen: »Quod est bonum, omne laudabile est. Quod enim laudabile est, omne honestum est. Bonum igitur quod est honestum est.« Das zweideutige Wort ist hier laudabile, welches in der unteren Prämisse etwas bedeutet, was die Menschen aus guten Gründen zu bewundern und zu schätzen gewohnt sind; wie z.B. Schönheit, oder Glück; in der oberen Prämisse bedeutet es aber ausschliesslich moralische Eigenschaften. In nahezu derselben Weise versuchten die Stoiker ihre figurativen und rhetorischen Ausdrücke ethischer Denkungsart als philosophische Wahrheiten logisch zu rechtfertigen; z.B. dass der tugendhafte Mensch allein frei, allein schön, allein ein König ist etc. Wer Tugend hat, hat das Gute (weil vorher entschieden worden ist, nicht sonst etwas »gut« zu nennen); aber hinwiederum schliesst das Gute nothwendig Freiheit, Schönheit und sogar Königthum ein, indem alles dieses gute Dinge sind; wer daher Tugend hat, hat auch diese.

Das folgende ist ein Argument von Descartes, um in seiner aprioristischen Weise das Dasein eines Gottes zu beweisen. Die Vorstellung von einem unendlichen Wesen, sagt er, beweist die reale Existenz eines solchen Wesens. Wenn es wirklich ein solches Wesen nicht giebt, so muss ich die Vorstellung gemacht haben; aber wenn ich sie machen konnte, so kann ich sie auch vernichten, was offenbar nicht wahr ist; es muss daher ausserhalb meiner ein Urbild geben, von dem die Vorstellung abgeleitet wurde. In diesem Argumente (das, wie wohl zu bemerken ist, auch die Existenz von Gespenstern und Hexen beweisen würde) liegt die Zweideutigkeit in dem Fürwort ich, worunter einmal mein Wille, das anderemal die Gesetze meiner Natur verstanden ist. Wenn die in meinem Geist existirende Vorstellung kein äusseres Vorbild hätte, so würde der Schluss ohne alle Frage der sein, dass ich sie gemacht habe, d.h. die Gesetze meiner Natur müssen sie spontan entwickelt haben; dass aber mein Wille sie gemacht habe, würde hieraus nicht folgen. Wenn Descartes sodann hinzufügt,[410] dass ich die Vorstellung nicht vernichten kann, so meint er, ich könne sie nicht durch einen Act meines Willens los werden, was zwar wahr, was aber nicht das verlangte Urtheil ist. Ich kann sowohl diese wie eine jede andere Vorstellung vernichten; durch einen blossen Willensact kann ich keine Vorstellung, die ich einmal gehabt habe, los werden; was aber einige Gesetze meiner Natur hervorgebracht haben, können andere Gesetze, oder dieselben Gesetze unter anderen Um ständen später vernichten und vernichten es auch häufig.

Hiermit analog sind einige von den Zweideutigkeiten in dem Streit über den freien Willen, die ich bloss memoriae causa, hier anführe, da sie in dem letzten Buche einer speciellen Betrachtung unterworfen werden. Auch in dieser Discussion springt das Wort ich von der einen Bedeutung auf die andere über, indem es einmal für »mein Wollen« steht und ein anderesmal für die Handlungen, die eine Folge davon sind, oder für die geistigen Stimmungen, denen dieselben entspringen. Die letztere Zweideutigkeit wird durch ein Argument von Coleridge (in seinen Aids to Reflection) zu Gunsten der Freiheit des Willens erläutert. Es ist nicht wahr, sagt er, dass der Mensch durch Motive beherrscht wird; »der Mensch macht die Motive, die Motive machen aber nicht den Menschen«; der Beweis hiervon ist, dass »was für den einen Menschen ein starkes Motiv ist, für den andern gar kein Motiv ist«. Die Prämisse ist wahr, läuft aber nur darauf hinaus, dass verschiedene Menschen für dasselbe Motiv eine verschiedene Empfänglichkeit haben; sie haben aber auch eine verschiedene Empfänglichkeit für berauschende Getränke, was indessen nicht beweist, dass es ihnen frei steht betrunken oder nicht betrunken zu werden, welche Quantitäten von diesen Getränken sie auch zu sich nehmen mögen. Bewiesen ist nur, dass bei der Erzeugung des Actes mit der äusseren Veranlassung auch gewisse geistige Bedingungen in dem Menschen selbst mitwirken müssen; aber diese geistigen Bedingungen sind ebenfalls Wirkungen von Ursachen, und in dem Argument liegt nichts, was bewiese, dass dieselben ohne eine Ursache entstehen können – dass eine spontane Bestimmung des Willens, wie die Lehre vom freien Willen annimmt, ohne eine jede Ursache überhaupt stattfindet.

Den doppelten Gebrauch des Wortes Nothwendigkeit in der[411] Controverse über den freien Willen – eines Wortes, das zuweilen nur für Gewissheit, ein anderesmal für Zwang steht; zuweilen für etwas, das nicht verhindert werden kann, ein andermal nur für etwas, das unserer Ueberzeugung nach nicht verhindert werden wird – werden wir später Gelegenheit haben bis zu einigen seiner letzten Consequenzen zu verfolgen.

Eine höchst wichtige Zweideutigkeit, sowohl in gewöhnlicher, wie in metaphysischer Sprache, wird von Erzbischof Whately angedeutet: dasselbe (sowie eins, identisch und andere von ihnen abgeleitete Wörter) wird häufig in einem Sinne gebraucht, der vom ursprünglichen Sinne, wonach es auf einen einzelnen Gegenstand anwendbar ist, sehr abweicht, indem es gebraucht wird, um grosse Aehnlichkeit zu bezeichnen. Wenn verschiedene Gegenstände ununterscheidbar ähnlich sind, so wird eine einzige Beschreibung auf einen jeden derselben passen, und daher sagt man, sie seien alle von ein und derselben Natur, demselben Aussehen etc. Wenn wir z.B. sagen »dieses Haus ist von demselben Stein gebaut wie das andere«, so meinen wir nur, dass die Steine in ihren Eigenschaften nicht zu unterscheiden sind, nicht aber, dass das eine Gebäude niedergerissen und das andere aus dessen Material erbaut worden ist. In dem ursprünglichen Sinne schliesst Einerleiheit (Selbigkeit) nicht einmal nothwendig Aehnlichkeit ein; denn wenn wir von einem Menschen sagen, er habe sich seit einiger Zeit sehr verändert, so verstehen wir und schliessen durch den Ausdruck ein, dass er eine Person ist, wenn auch in mehreren Eigenschaften anders. Es ist bemerkenswerth, dass selbes (dasselbe) in dem zweiten Sinn im populären Sprachgebrauch einen Grad zulässt, wir sprechen von zwei Dingen, die nahezu, aber nicht gänzlich, dieselben sind; persönliche Identität lässt aber keinen Grad zu. Nichts hat vielleicht zu dem Irrthum des Realismus mehr beigetragen, als die Nichtbeachtung dieser Zweideutigkeit. Wenn man von mehreren Personen sagt, sie hätten ein und dieselbe Meinung oder Idee, einen und denselben Gedanken, so übersehen Viele die wahre einfache Angabe des Falles, nämlich, dass alle ähnlich denken; sie suchen etwas abstruseres und mystischeres, und glauben, es müsse ein Ding in dem ursprünglichen Sinne, wenn auch kein individuelles geben, das in dem Geiste aller dieser Personen zugleich gegenwärtig ist; und hieraus entsprang auch Platon's Theorie von den[412] Ideen, von denen seiner Meinung nach jede ein realer ewiger Gegenstand war, der ganz und vollständig in jedem der individuellen Gegenstände, die unter einem Namen begriffen werden, existirt.

Es ist in der That nicht eine gefolgerte, sondern eine authentische geschichtliche Thatsache, dass Platon's Lehre von den Ideen, und die Aristotelische Lehre (wesentlich dieselbe wie die Platonische) von substantiellen Formen und substantiae secundae genau auf dem hier nachgewiesenen Wege entstanden; dass sie aus der vermeintlichen Nothwendigkeit entstanden, in Dingen, von denen man sagt, sie hätten dieselbe Natur oder dieselben Eigenschaften, etwas zu finden, was dasselbe in demselben Sinne war, in dem man von einem Menschen sagt, er sei derselbe wie er selbst. Alle die müssigen Speculationen in Beziehung auf to on, to hen, to homoion und ähnliche Abstractionen, so gewöhnlich in den alten und einigen neueren philosophischen Schulen, flossen aus derselben Quelle. Die Aristotelischen Logiker sahen indessen einen Fall von der Zweideutigkeit und verwahrten sich dagegen mit ihrem besonderen Glück in der Erfindung der Kunstsprache, indem sie einen Unterschied machten zwischen Dingen, die sich specie und numero unterschieden, und Dingen, welche sich numero tantum unterschieden, d.h. welche genau ähnlich (in manchen besonderen Beziehungen wenigstens), aber unterschiedene Individuen waren. Eine Ausdehnung dieser Unterscheidung auf die zwei Bedeutungen des Wortes Dasselbe, nämlich auf Dinge, welche dieselben sind specie tantum und auf ein Ding, welches sowohl numero als auch specie dasselbe ist, hätte die Confusion, welche eine Quelle von so vielem Dunkel und von einer solchen Fülle von positivem Irrthum in der metaphysischen Philosophie war, verhindert.

Gerade dieser Fall bietet eines der merkwürdigsten Beispiele, wieweit ein hervorragender Denker sich durch die Zweideutigkeit der Sprache verleiten lassen kann. Ich verweise auf das berühmte Argument, durch welches Bischof Berkeley sich schmeichelte »dem Skepticismus, dem Atheismus und der Irreligiosität« für immer ein Ende gemacht zu haben: Es ist kurz das folgende. Ich dachte an ein Ding gestern; ich hörte auf, an es zu denken; heute denke ich wieder daran. Ich hatte daher gestern eine Idee von dem Gegenstand, auch habe ich heute eine Idee von ihm; diese[413] Idee ist offenbar nicht eine andere, sondern es ist dieselbe Idee. Es verging aber von gestern zu heute eine Zwischenzeit, in der ich sie nicht hatte. Wo war die Idee während dieser Zwischenzeit? Sie muss anders wo gewesen sein; sie hörte nicht auf zu existiren, sonst könnte die Idee, welche ich gestern hatte, nicht dieselbe Idee sein, so wenig wie der Mann, den ich heute lebend sehe, derselbe sein kann, wie der, den ich gestern sah, wenn der Mann mittlerweile gestorben ist. Nun kann man sich nicht vorstellen, eine Idee existire anderswo als in einem Geiste; es muss daher einen universalen Geist geben, in dem alle Ideen während der Zwischenzeiten, die zwischen ihrer bewussten Anwesenheit in unserem eigenen Geiste liegen, ihren beständigen Aufenthalt haben.

Offenbar verwechselte hier Berkeley Selbigkeit numero mit Selbigkeit specie d.h. mit genauer Aehnlichkeit, und nahm erstere an, wo nur die letztere vorhanden war; indem er nicht wahrnahm, dass, wenn wir sagen, wir hätten heute denselben Gedanken wie gestern, wir nicht denselben individuellen Gedanken meinen, sondern einen genau ähnlichen; so wie wir auch sagen, wir hätten dieselbe Krankheit wie letztes Jahr, indem wir nur dieselbe Art Uebelmeinen.

In einem merkwürdigen Falle wurde die wissenschaftliche Welt durch die Zweideutigkeit der Sprache, die noch dazu einen Zweig der Wissenschaft berührte, der mehr als die meisten anderen Zweige den Vortheil einer präcisen und wohlbestimmten Terminologie genoss, in zwei wuthentbrannte feindliche Parteien gespalten. Ich verweise auf den berühmten Streit bezüglich der lebendigen Kraft (vis viva), dessen Geschichte in Playfair's Dissertation zu finden ist. Die Frage war, ob die Kraft eines sich bewegenden Körpers (bei gegebener Masse desselben) einfach seiner Geschwindigkeit proportional sei, oder dem Quadrat seiner Geschwindigkeit; die Zweideutigkeit lag in dem Worte Kraft. »Die eine der Wirkungen,« sagt Playfair, »welche durch einen sich bewegenden Körper hervorgebracht werden, ist dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional, während die andere der einfachen Geschwindigkeit proportional ist;« was später klarere Denker vermochte, ein doppeltes Maass der Wirksamkeit einer sich bewegenden Kraft aufzustellen, indem das eine vis viva (lebendige Kraft), das andere momentum (Moment) genannt wurde. In Betreff der[414] Thatsachen stimmten beide Parteien von Anfang an überein; die einzige Frage war, welcher von den beiden Wirkungen das Wort Kraft am füglichsten beizulegen sei oder beigelegt werden könne. Aber die Streitenden merkten keineswegs, dass dies alles war; sie glaubten Kraft wäre ein Ding, die Erzeugung von Wirkung ein anderes Ding, und die Frage, durch welche Reihe von Wirkungen die Kraft, welche beide erzeugte, gemessen werden sollte, hielt man für eine Frage, die sich nicht auf die Terminologie, sondern auf eine Thatsache bezieht.

Die Zweideutigkeit des Wortes Unendlich ist der wirkliche Schlussfehler in dem amüsanten logischen Räthsel von Achilles und der Schildkröte, einem Räthsel, das für den Scharfsinn oder die Geduld vieler Philosophen zu schwierig war, namentlich für Th. Brown, der das Sophisma für unauflösbar, für ein richtiges Argument hielt, obgleich es zu einer greifbaren Absurdität führte; er übersah dabei, dass eine solche Annahme reductio ad absurdum des Vermögens zu schliessen sein würde. Der Schlussfehler liegt, wie Hobbes andeutete, in der stillschweigenden Annahme, was unendlich theilbar ist, sei auch unendlich, aber die folgende Lösung (auf die ich keinen Anspruch habe) ist genauer und befriedigender.

Das Argument ist, Achilles soll zehnmal so schnell laufen als die Schildkröte, wenn aber die Schildkröte einen Vorsprung hat, so wird Achilles sie nie einholen. Denn nehmen wir an, sie wären zuerst durch einen Zwischenraum von tausend Fuss getrennt; während nun Achilles diese tausend Fuss zurücklegt, legt die Schildkröte hundert zurück; während Achilles diese hundert Fuss zurücklegt, legt die Schildkröte zehn zurück, und so ewig fort Achilles kann daher ewig laufen, ohne die Schildkröte einzuholen.

Nun bedeutet das »ewig« in dem Schluss eine jede Zeitlänge, die man annehmen kann, aber in den Prämissen bedeutet »ewig« nicht eine jede Zeitlänge, sondern eine jede Anzahl von Abtheilungen der Zeit. Es bedeutet, dass wir tausend Fuss durch zehn theilen können, und dass dieser Quotient wieder durch zehn getheilt werden kann und sofort; dass die Abtheilungen der Distanz niemals ein Ende zu nehmen brauchen, noch folglich diejenigen der Zeit, in der die Distanz zurückgelegt wird. Aber eine unbegrenzte Anzahl von Untherabtheilungen kann von etwas gemacht[415] werden, was selbst begrenzt ist. Das Argument beweist keine andere Unendlichkeit der Dauer als wie sie in fünf Minuten enthalten sein kann. Solange die fünf Minuten nicht verstrichen sind, kann das davon Uebrigbleibende durch zehn und wieder durch zehn und sofort ad libitum getheilt werden, was damit vollkommen verträglich ist, dass es zusammen nur fünf Minuten sind. Kurz, es beweist, dass um diesen endlichen Kaum zu durchlaufen, eine unendlich theilbare Zeit, nicht eine unendliche Zeit erforderlich ist. Die Verwechslung dieser Distinction hat schon Hobbes als den Grund des Trugschlusses erkannt.

Die folgende Zweideutigkeit des Wortes Recht (als ein Zusatz zu der augenfälligeren und geläufigeren Zweideutigkeit von ein Recht und vom Adjectiv recht) ist aus einem vergessenen Aufsatz von mir in einer Zeitschrift:

»Moralisch gesprochen sagt man, wir hätten ein Recht, ein Ding zu thun, wenn Alle moralisch gebunden sind, uns nicht daran zu hindern. Ein Recht haben, ein Ding zu thun, ist aber in einem anderen Sinne das Entgesetzte von, kein Recht haben, es zu thun, d.h. von, die moralische Verpflichtung haben, es zu unterlassen. In diesem Sinne zu sagen, wir hätten ein Recht, etwas zu thun, heisst, dass wir es ohne eine Pflichtverletzung von unserer Seite thun können, dass Andere nicht allein uns nicht daran hindern dürfen, sondern dass sie auch nicht Ursache haben, schlimmer von uns zu denken, weil wir es thun. Dieses Urtheil ist von dem vorhergehenden vollkommen verschieden. Das Recht, welches wir kraft einer Andern obliegenden Pflicht besitzen, ist offenbar etwas ganz anderes, als das Recht, das aus der Abwesenheit einer uns selbst obliegenden Pflicht besteht. Die zwei Dinge werden aber fortwährend verwechselt. So wird Einer sagen, er habe ein Recht, seine Meinung zu veröffentlichen; was in dem Sinne wahr sein kann, dass es vom Andern eine Pflichtverletzung wäre, die Veröffentlichung zu verhindern; aber er nimmt darauf hin an, dass er selbst durch das Veröffentlichen seiner Meinung selbst keine Pflicht verletzte, was wahr oder falsch sein kann, indem es darauf ankommt, ob er sich überzeugt hat, erstens, ob seine Meinung wahr ist, dann, ob ihre Veröffentlichung in dieser Weise und unter diesen besonderen Umständen im Ganzen den Interessen der Wahrheit förderlich sein wird.[416]

Die zweite Zweideutigkeit ist die Verwechslung eines Rechts von irgend einer Art mit dem Recht, dieses Recht zu erzwingen, indem man sich einer Verletzung desselben widersetzt oder sie bestraft. Die Menschen sagen z.B., sie hätten ein Recht auf eine gute Regierung, was unwidersprechlich wahr ist, da es die moralische Pflicht der sie Regierenden ist, sie gut zu regieren. Wenn wir dies aber zugeben, so nimmt man von uns an, wir hätten denselben das Recht oder die Freiheit zugestanden, die sie Regierenden zu vertreiben oder vielleicht zu bestrafen, weil sie die Ausübung ihrer Pflicht versäumten; was, weit entfernt dasselbe Ding zu sein, keineswegs allgemein wahr ist, sondern von einer grossen Anzahl von wechselnden Umständen abhängig ist,« von Umständen, die gewissenhaft zu erwägen sind, ehe ein solcher Entschluss gefasst oder ehe darnach gehandelt werden darf. Das letzte Beispiel ist (wie andere Beispiele, die angeführt wurden) ein Fall von einem Schlussfehler im Fehlschluss; er enthält nicht bloss die zweite der angedeuteten Zweideutigkeiten, sondern auch die erste.

Eine nicht ungewöhnliche Form von auf zweideutigen Wörtern beruhenden Fehlschlüssen ist technisch als Fallacia compositionis et divisionis bekannt; wenn dasselbe Wort in den Prämissen collectiv, im Schluss aber distributiv ist, und umgekehrt; oder wenn der Mittelbegriff in der einen Prämisse collectiv, in der andern distributiv ist; wenn man etwa sagen wollte (ich citire Erzbischof Whately): »alle Winkel in einem Dreieck betragen zwei rechte Winkel, ABC ist ein Winkel eines Dreiecks, daher ist ABC gleich zwei rechten Winkeln... Es giebt keinen Fehlschluss, der gewöhnlicher wäre, oder der leichter täuschte, als gerade der vorliegende. Die Form, in welcher er am gewöhnlichsten gebraucht wird, ist die, dass man in Betreff eines jeden einzelnen Gliedes einer Classe separat eine Wahrheit aufstellt, und dann dieselbe collectiv von der ganzen Classe folgert.« Wie in dem zuweilen zu hörenden Argument, wodurch bewiesen werden soll, dass die Weltgrosse Männer entbehren kann. Wenn Columbus niemals gelebt hätte (so sagt man), so wäre Amerika doch entdeckt worden, höchstens nur einige Jahre später; wenn Newton niemals gelebt hätte, so hätte ein Anderer das Gesetz der Gravitation entdeckt, und so fort. Ganz wahr; alles dies wäre[417] geschehen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eher, als bis sich Jemand mit den Eigenschaften von Columbus oder Newton gefunden hätte. Weil der Platz von einem grossen Mann durch einen anderen grossen Mann eingenommen werden kann, so schliesst das Argument, kann man alle grossen Männer entbehren. Das Wort »grosse Männer« ist distributiv in den Prämissen und collectiv im Schluss.

»Der Art ist auch der Fehlschluss, welcher wahr scheinlich die in der Lotterie Speculirenden leitet; z.B. ›das Gewinnen eines hohen Preises ist kein ungewöhnliches Ereigniss; was kein ungewöhnliches Ereigniss ist, darf man vernunftgemäss erwarten; daher darf das Gewinnen eines hohen Preises vernunftgemäss erwartet werden.‹ Auf das Individuum angewendet (wie es in der Praxis der Fall ist), ist der Schluss in dem Sinne zu verstehen, ›darf es von einem gewissen Individuum vernunftgemäss erwartet werden;‹ damit daher die obere Prämisse wahr sei, muss der Mittelbegriff so verstanden werden, als bedeute er ›kein ungewöhnliches Ereigniss für eine besondere Person‹, während die untere Prämisse (die zuerst gesetzt wurde), um wahr zu sein, so verstanden werden muss, als bedeute sie ›kein ungewöhnliches Ereigniss für den einen oder den andern‹; und so hat man die Fallacia compositionis.

Es ist dies ein Fehlschluss, womit die Menschen äusserst geneigt sind, sich selbst zu täuschen; denn wenn sich dem Geiste eine Menge von Einzelheiten darbieten, so sind viele zu schwach oder zu indolent, um einen umfassenden Ueberblick über dieselben zu nehmen, und richten ihre Aufmerksamkeit nach einander auf einen jeden einzelnen Punkt, und demgemäss entscheiden, folgern und handeln sie dann auch; z.B. der unkluge Verschwender, wenn er findet, dass er diese, oder jene, oder die andere Ausgabe bestreiten kann, vergisst, dass alle zusammen ihn zu Grunde richten werden.« Der Schwelger zerstört seine Gesundheit durch successive Handlungen der Unmässigkeit, weil die eine dieser Handlungen allein ihm keinen ernstlichen Schaden zufügen kann. Ein Kranker schliesst bei sich, »das eine, das andere und noch ein anderes meiner Symptome beweisen nicht, dass ich eine gefährliche Krankheit habe;« und nun schliesst er wirklich, dass sie es alle zusammengenommen nicht beweisen.

[418] §. 2. Wir haben nun die eine der Hauptgattungen dieser Ordnung von Fehlschlüssen genügend erläutert; diejenige, in welcher die Prämissen, da der Irrthum auf der Zweideutigkeit der Wörter beruht, den Schluss zwar den Worten nach, aber nicht in der Wirklichkeit begründen. In der zweiten grossen auf Confusion beruhenden Fallacie genügen sie dafür weder wörtlich noch wirklich, obgleich sie ihrer Mannigfaltigkeit und confusen Anordnung wegen und noch öfter wegen Gedächtnissmangels nicht als das erscheinen, was sie sind. Die Fallacie, welche ich meine, ist die der Petitio Principii, oder die Voraussetzung des noch zu Beweisenden; sie schliesst jene noch verwickeltere und nicht ungewöhnliche Abart ein, welche das Schliessen in einem Kreise genannt wird.

Petitio principii ist nach Whately der Fehlschluss »in dem sich die Prämisse offenbar als mit dem Schlusse einerlei darstellt, oder wo sie wirklich durch den Schluss bewiesen wird, oder der Art ist, dass sie naturgemäss und eigentlich so bewiesen werden könnte.« Mit der letzten Clausel ist, wie ich vermuthe, gemeint, dass sie keines anderen Beweises fähig ist; denn sonst wäre keine Fallacie vorhanden. Aus einem Urtheil Urtheile ableiten, aus denen es selbst naturgemässer abgeleitet werden würde, ist oft eine erlaubte Abweichung von der gewöhnlichen didactischen Ordnung, oder höchstens, nach einem den Mathematikern geläufigen Ausdruck, eine logische Ineleganz.197

Der Gebrauch eines Urtheils, um dasjenige zu beweisen, wovon sein eigener Beweis abhängig ist, schliesst keineswegs jenen Grad von Geistesschwäche ein, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Die Schwierigkeit zu begreifen, wie dieser Fehlschluss möglicherweise begangen werden kann, verschwindet, wenn wir bedenken, dass alle Menschen, auch die unterrichteten,[419] viele Meinungen hegen, ohne sich genau zu erinnern, wie sie dazu gekommen sind. Da sie glauben, sie hätten dieselben in irgend einer früheren Zeit durch genügenden Beweis verificirt, hätten aber vergessen, worin der Beweis bestand, so lassen sie sich leicht verleiten, gerade die Sätze aus ihnen abzuleiten, welche allein als Prämissen für deren Begründung dienen können. »Wie wenn man versuchen wollte,« sagt Whately, »das Dasein eines Gottes aus der Autorität der heiligen Schrift zu beweisen,« was demjenigen leicht begegnen könnte, dem beide Lehren als fundamentale Glaubenssätze auf demselben Boden des gewohnten und traditionellen Glaubens stehen.

Das Schliessen im Kreise ist indessen ein grösserer Schlussfehler, und begreift mehr in sich als eine blosse passive Annahme einer Prämisse durch Jemand, der sich nicht erinnert, wie sie zu beweisen ist. Es liegt darin der wirkliche Versuch inbegriffen, zwei Urtheile gegenseitig aus einander zu beweisen; man nimmt, zum wenigsten in ausdrücklichen Worten, selten seine Zuflucht zu dieser Fallacie bei den eigenen Speculationen, sie wird aber von denjenigen begangen, welche, von einem Gegner hart bedrängt, gezwungen sind, Gründe für eine Meinung zu geben, deren Begründung sie nicht genügend in Betracht gezogen hatten, als sie anfingen zu argumentiren, wie in dem folgenden Beispiel von Whately: »Manche Mechaniker suchen zu beweisen (was sie als eine wahrscheinliche aber Ungewisse Hypothese198 aufstellen sollten), ›dass eine jede materielle Partikel gleich gravitirt;‹ ›warum?‹ ›weil diejenigen Körper, welche mehr Partikel enthalten, immer stärker gravitiren d.h. schwerer sind;‹ ›aber (kann man geltend machen) die schwersten Körper sind nicht immer die räumlich grö sseren‹ ›nein, aber sie enthalten mehr Partikel, wenn auch stärker condensirt;‹ ›woher weiss man dies?‹ ›weil sie schwerer sind;‹ ›wie wird jenes dadurch bewiesen?‹ ›weil, da alle materiellen Partikel[420] gleich gravitiren, die specifisch schwerere Masse nothwendig in gleichem Raum mehr Partikel haben muss.‹« Es scheint mir, dass der Fehlschliessende in seinen Privatgedanken kaum über den ersten Schritt hinausgehen würde. Er würde sich bei dem zuerst gegebenen Grunde beruhigen: »Körper, welche mehr Partikel enthalten, sind schwerer.« Erst wenn ihm dieses bezweifelt wird, und er es beweisen soll, ohne zu wissen wie, sucht er seine Prämisse dadurch zu begründen, dass er das als bewiesen annimmt, was er durch sie beweisen will. Wenn die Umstände es erlauben, so ist in der That das wirksamste Mittel, eine Petitio Principii blosszustellen, die Anforderung an den Schliessenden zu stellen, seine Prämissen zu beweisen; versucht er dieses, so wird er nothwendig zu einem Zirkelschluss getrieben.

Es ist indessen nicht ungewöhnlich, dass selbst Denker von nicht gewöhnlicher Art auch in ihren Gedanken sich verleiten lassen, nicht gerade ein jedes der Urtheile förmlich aus dem anderen zu beweisen, aber Urtheile zuzulassen, die nur so bewiesen werden können. In dem vorhergehenden Beispiel bilden die zwei Urtheile zusammen eine vollständige und consequente, obgleich hypothetische Erklärung der betreffenden Thatsachen. Die Neigung, gegenseitige Cohärenz für Wahrheit zu halten, sein Heil lieber einer starken, wenn auch an keinem Aufhängepunkte befestigten Kette anzuvertrauen, liegt vielem zu Grunde, das, auf die stricten Formen des Schliessens reducirt, sich nur als Schliessen im Kreise darstellen kann. Alle Erfahrung bezeugt die fesselnde Wirkung einer geschickten Verkettung in einem Lehrgebäude, und die Schwierigkeit, womit die Menschen der Ueberzeugung Baum geben, dass Etwas, das so gut zusammenhält, möglicherweise doch fallen könne.

Da ein jeder Fall, in dem ein nur aus gewissen Prämissen zu beweisender Schluss für den Beweis gerade dieser Prämissen gebraucht wird, ein Fall von petitio principii ist, so ist in diesem Schlussfehler ein grosser Theil von allem unrichtigen Schliessen inbegriffen. Für die Vervollständigung unserer Uebersicht über die Fehlschlüsse ist es nöthig, durch einige Beispiele zu zeigen, unter welcher Hülle sich derselbe zu verbergen und der Blossstellung auszuweichen pflegt.

Kein Mensch, der bei gesundem Verstande ist, wird ein Urtheil[421] als einen Folgesatz des Urtheils selbst zulassen, wenn es nicht in einer Sprache ausgedrückt ist, die es als ein ganz anderes Urtheil erscheinen lässt. Gewöhnlich geschieht dies in der Weise, dass man sucht, das in abstracten Wörtern ausgedrückte Urtheil als einen Beweis desselben, aber in concreter Sprache ausgedrückten Urtheils darzustellen. Es ist dies eine sehr gewöhnliche Art nicht nur von vermeintlichem Beweis, sondern auch von vermeintlicher Erklärung, und findet sich bei Molière parodirt, wenn er einen seiner abgeschmackten Aerzte sagen lässt, »l'opium endormit parcequ'il a une vertue soporifique,« oder in dem entsprechenden Kauderwelsch,


Mihi demandatur

A doctissimo doctore,

Quare opium facit dormire;

Et ego respondeo,

Quia est in eo

Virtus dormitiva,

Cujus natura est sensus assoupire.


Die Wörter Natur und Wesen (Essentia) sind bedeutende Instrumente für dieses die Frage zum Satz erheben. So in dem wohlbekannten Argument der scholastischen Theologen, wonach der Geist immer denkt, weil das Wesen des Geistes denkt. Locke hatte nachzuweisen, dass wenn hier mit Wesen eine Eigenschaft gemeint ist, welche sich jederzeit durch wirkliche Ausübung kundgeben muss, die Prämisse eine directe Annahme des Schlusses ist; während, wenn sie nur sagen soll, dass das Denken die unterscheidende Eigenschaft eines Geistes ist, zwischen Prämisse und Schluss kein Zusammenhang stattfindet, indem es nicht nothwendig ist, dass eine distinctive Eigenschaft fortwährend in Thätigkeit sei.

Das Folgende erläutert die Art und Weise, wie diese abstracten Wörter (Natur und Wesen) zu diesem Fehlschluss gebraucht werden. Einige besondere Eigenschaften eines Dinges werden mehr oder weniger willkürlich gewählt, um dessen Natur oder Wesen genannt zu werden; nachdem dies geschehen ist wird von diesen Eigenschaften angenommen, sie seien mit einer Art Unverletzbarkeit bekleidet, sie besässen eine Oberherrlichkeit über alle anderen Eigenschaften und könnten nicht überherrscht oder aufgehoben werden. So wenn Aristoteles in einer[422] bereits angeführten Stelle199 »durch folgende Gründe entscheidet, dass es keinen leeren Raum giebt: in einem leeren Raume könnte es keinen Unterschied von Oben und Unten geben, denn da in Nichts kein Unterschied sein kann, so kann auch in einer Negation oder Privation kein Unterschied sein; der leere Kaum ist aber nur eine Negation oder Privation der Materie; es könnten sich daher in einem leeren Raume die Körper weder aufwärts noch abwärts bewegen, was sie doch ihrer Natur nach thun.« Mit anderen Worten, es liegt in der Natur der Körper, sich auf- und abzubewegen ergo kann eine jede physikalische Thatsache, die voraussetzt, dass sie sich nicht so bewegen, nicht glaubwürdig sein. Diese Schlussweise, durch welche man eine schlechte Generalisation alle ihr widersprechenden Thatsachen beherrschen lässt, ist petitio principii in einer ihrer greifbarsten Formen.

Kein Modus des Annehmens von dem noch zu Beweisenden ist häufiger, als die von Bentham so genannten »die Frage zum Satz erhebenden Appellativa,« als Namen, welche die Frage voraussetzen unter dem Schein, sie zu stellen. Die auffallendsten sind diejenigen, welche einen lobenden oder tadelnden Charakter besitzen, wie z.B. das Wort Neuerung in der Politik. Da die lexikalische Bedeutung des Wortes nur »eine Veränderung zu etwas neuem« ist, so wird es dem Vertheidiger der heilsamsten Verbesserung schwer zu läugnen, sie sei eine Neuerung Da aber das Wort ausser dieser lexikalischen Bedeutung im gewöhnlichen Gebrauch eine tadelnde Mitbezeichnung erlangt hat, so wird die Zulassung der Neuerung immer so ausgelegt, als wäre den Nachtheilen des vorgeschlagenen Dinges ein bedeutendes Zugeständnis gemacht worden.

Die folgende Stelle des Arguments gegen die Epicuräer in Cicero's zweitem Buche de finibus bietet ein schönes Beispiel von dieser Art Schlussfehler: »Et quidem illud ipsum non nimium probo (et tantum patior) philosophum loqui de cupiditatibus finiendis. An potest cupiditas finiri? tollenda est, et extrahenda radicitus. Quis est enim, in quo sit cupiditas, quin recte cupidus dici possit? Ergo et avarus erit, sed finite: adulter, verum habebit modum: et luxuriosus eodem modo. Qualis ista philosophia[423] eat, quae non interitum afferat pravitatis, sed sit contenta mediocritate vitiorum?« Die Frage war, ob gewisse Begierden, wenn sie in den Schranken gehalten werden, Laster seien oder nicht, und das Argument entscheidet den streitigen Punkt dadurch, dass es ein Wort (cupiditas) auf sie anwendet, in welchem Laster inbegriffen ist. Es geht indessen aus den darauffolgenden Bemerkungen hervor, dass Cicero nicht die Absicht hatte, dies als ein ernstliches Argument gelten zu lassen, sondern dass er einen seiner Meinung nach unangemessenen Ausdruck rügen wollte. »Rem ipsam prorsus probo: elegantiam desidero. Appellet haec desideria naturae; cupiditatis nomen servet alio etc.« Viele von den Alten sowohl, als auch von den Neueren haben indessen dieses oder etwas ihm äquivalentes als ein wirkliches und beweiskräftiges Argument gehalten. Es mag noch angeführt werden, dass die Stelle in Betreff von cupiditas und cupidus auch ein Beispiel von dem bereits angeführten, auf stammverwandten (paronymen) Wörtern beruhenden Fehlschluss ist.

Noch viele andere von den Argumenten der Moralphilosophen des Alterthums, insbesondere der Stoiker sind in der Definition von petitio principii inbegriffen. Von welchem Werth als Argumente sind z.B. Einreden wie die des Cato in dem dritten Buch de finibus, das ich als wahrscheinlich die beste beispielsweise Erläuterung sowohl der Lehren, als auch der Methoden der zu jener Zeit bestehenden philosophischen Schulen anzuführen fortfahre; von welchem Werth sind Einreden wie: wenn die Tugend nicht Glückseligkeit wäre, so könnte sie nicht ein Ding sein, dessen man sich rühmen kann; wenn der Tod oder der Schmerz Uebel wären, so würde es unmöglich sein, sie nicht zu fürchten, und es könnte daher nicht lobenswerth sein, sie zu verachten etc. Von der einen Seite könnte man diese Argumente ansehen, als wären sie eine Berufung an die allgemeine Denkungsart der Menschheit, die durch die angeführten Redeweisen gewissen Handlungen oder Charakteren den Stempel des Beifalls aufgedrückt hat; wenn man aber die Verachtung in Anschlag bringt, welche die alten Philosophen für die Volksmeinungen hegten, so wird es sehr unwahrscheinlich, dass dies ihre Absicht war. In einem jeden anderen Sinne sind sie klare Fälle von petitio principii, da das Wort lobenswerth und die Idee des sich rühmens praktische[424] Grundsätze einbegreifen; praktische Grundsätze können aber nur aus theoretischen Wahrheiten bewiesen werden, aus den Eigenschaften des vorliegenden Gegenstandes nämlich, und können daher nicht gebraucht werden, um diese Eigenschaften zu beweisen. Man könnte ebenso gut schliessen, eine Regierung sei gut, weil wir sie unterstützen sollten, oder es gäbe einen Gott, weil es unsere Pflicht ist, zu ihm zu beten.

Von allen Streitenden in Cicero's Buche de finibus wird als die Grundlage der Erforschung des summum bonum angenommen, dass »sapiens semper beatus est.« Nicht bloss weil die Weisheit die beste Aussicht auf Glückseligkeit bietet, oder weil die Weisheit darin besteht zu wissen, was Glückseligkeit ist, und durch welche Dinge sie befördert wird; alle diese Sätze genügten ihnen nicht: sondern weil der Weise immer glücklich ist und es nothwendig sein muss. Der Gedanke, Weisheit sei mit Unglück verträglich, wurde stets als unzulässig verworfen; der Grund, den einer der Redenden nahe am Anfang des dritten Buchs dafür angiebt, ist, dass: wenn der Weise unglücklich sein könnte, in dem Trachten nach Weisheit wenig Nutzen läge. Unter Unglücklichsein verstanden sie aber nicht Leiden oder Schmerz; dass diesen der weiseste Mensch so gut wie jeder andere unterworfen sei, gaben sie zu; er war glücklich, weil er in der Weisheit das schätzbarste Gut besass, das Ding, das von allen Dingen am meisten zu suchen und zu schätzen ist; und das schätzenswertheste Ding besitzen hiess der Glücklichste sein. Indem daher beim Beginn der Untersuchung behauptet wurde, dass der Weise glücklich sein muss, wurde die in Beziehung auf das summum bonum bestrittene Frage in der That als bewiesen vorausgesetzt; sowie auch die weitere Annahme, dass Schmerz und. Leiden, soweit sie mit Weisheit coexistiren können, kein Unglück und keine Uebel sind.

Die folgenden Fälle sind weitere, mehr oder weniger versteckte Fälle von petitio principii.

In dem Sophistes versucht Plato zu beweisen, dass körperlose Dinge existiren können, und zwar durch das Argument, dass Gerechtigkeit und Wahrheit körperlos, dass aber Gerechtigkeit und Wahrheit Etwas sein müssen. Wenn hier, wie es Plato's Absicht war, mit Etwas ein Ding gemeint ist, das an und für sich und nicht als eine Eigenschaft eines andern Dinges bestehen kann, so[425] erhebt er die Frage zum Satz, indem er behauptet, Gerechtigkeit und Wahrheit müssten Etwas sein; meint er etwas anderes, so ist sein Schluss nicht bewiesen. Dieser Schlussfehler könnte auch zu den auf der Zweideutigkeit des Mittelbegriffs beruhenden Fallacien gerechnet werden, indem »Etwas« in der einen Prämisse irgend eine Substanz, in der anderen bloss ein Gedankenobject, sei es Substanz oder Attribut, bedeutet.

Als ein Beweis der jetzt nicht mehr populären Lehre von der unendlichen Theilbarkeit der Materie wurde früher das Argument angeführt, dass ein jeder noch so kleine Theil der Materie wenigstens eine obere und eine untere Fläche haben müsse. Diejenigen, welche dieses Argument gebrauchten, sahen nicht, dass es gerade den streitigen Punkt voraussetzte, die Unmöglichkeit, zu einem Minimum von Dicke zu gelangen; denn wenn es ein Minimum gäbe, so wäre seine obere und untere Fläche natürlich einerlei; es würde selbst eine Fläche sein und weiter nichts. Was das Argument so sehr plausibel macht, ist, dass die Prämisse wirklich einleuchtender erscheint, als der Schluss, obgleich sie in Wirklichkeit mit ihm identisch ist. So wie das Urtheil ausgedrückt ist, appellirt es direct und in concreter Sprache an die Unfähigkeit der menschlichen Einbildungskraft, ein Minimum zu begreifen. In diesem Lichte betrachtet, wird es zu einem Fall von dem aprioristischen Fehlschluss oder natürlichen Vorurtheil, dass das, was man nicht begreifen kann, auch nicht existiren könne. Ein jeder auf Confusion beruhende Schlussfehler wird (wie kaum nöthig zu wiederholen), wenn er aufgeklärt wird, zu einem Fehlschluss von irgend einer anderen Art, und man wird im allgemeinen finden, dass, wenn deductive oder syllogistische Schlussfehler irre führen, meistens, wie in diesem Falle, eine Fallacie von einer anderen Art hinter ihnen versteckt ist, welche hauptsächlich daran Schuld ist, dass die Wortgaukelei, welche das Aeussere oder den Kern dieser Art von Fehlschluss bildet, unentdeckt vorbeigeht.

Euler's Algebra, ein Buch von sonst grossem Verdienst, aber bis zum Ueberfliessen voll von logischen Irrthümern in Betreff des Fundaments der Wissenschaft, enthält das folgende Argument als einen Beweis, dass minus durch minus vervielfacht plus giebt, eine Lehre, die das Opprobrium aller blossen Mathematiker ist, und Ton deren wahrem Beweis Euler keine Idee hatte.[426] Er sagt, minus durch minus vervielfacht kann nicht minus geben, denn minus multiplicirt mit plus giebt minus, und minus durch minus kann nicht dasselbe Product geben wie minus durch plus multiplicirt. Nun muss man fragen, warum minus durch minus multiplicirt überhaupt ein Product geben muss? und warum, wenn es eines giebt, das Product nicht dasselbe sein kann, wie das von minus durch plus? Denn dies würde auf den ersten Blick nicht absurder erscheinen, als dass minus durch minus dasselbe giebt, wie plus durch plus, der Satz, dem Euler den Vorzug vor jenem giebt. Die Prämisse bedarf des Beweises eben so sehr Wie der Schluss; auch kann sie nur durch jene umfassende Ansicht von der Natur der Multiplication und der algebraischen Operationen im allgemeinen bewiesen werden, welche auch einen weit besseren Beweis der mysteriösen Lehre, welche sich Euler hier zu demonstriren bemüht, an die Hand geben würde.

Ein schlagendes Beispiel von Schliessen im Kreis gehen einige Schriftsteller über Ethik, die zuerst als einen Maassstab für moralische Wahrheit die Denkungsweisen und Perceptionen der Menschen nehmen, welche sie, da sie die allgemeinen sind, auch für die natürlichen und instinctiven halten, und dann die zahlreichen Beispiele von Abweichung dadurch hinwegerklären, dass sie sie als Fälle darstellen, in denen die Perceptionen ungesund sind. Von einer besonderen Gefühls- oder Handlungsweise wird behauptet, sie sei unnatürlich, warum? weil das allgemeine und natürliche Gefühl der Menschheit sie verabscheut. Da ihr ein solches Gefühl nicht in euch findet, so bezweifelt ihr die Thatsache, und die Antwort ist (wenn euer Gegner höflich ist), dass ihr eine Ausnahme, ein besonderer Fall seid. Aber auch bei Völkern anderer Länder oder einer früheren Zeit, sagt ihr, finde ich kein derartiges Gefühl von Abscheu; »ach, ihre Gefühle waren verfälscht und ungesund.«

Eines der bemerkenswerthesten Beispiele von Schliessen im Kreis, ist die Lehre von Hobbes, Rousseau und anderen, welche die Pflichten der Menschen als Glieder der Gesellschaft auf einen supponirten Gesellschaftsvertrag gründen. Ich übergehe ganz die fictive Natur des Vertrages selbst; aber wenn Hobbes durch den ganzen Leviathan hindurch die Verpflichtung, dem Souverain zu gehorchen, mit grosser Mühe, nicht von der[427] Notwendigkeit und Nützlichkeit, es zu thun, sondern von einem Versprechen ableitet, von dem angenommen wird, unsere Vorfahren hätten es gegeben, als sie dem Leben in der Wildniss entsagten und übereinkamen, eine politische Gesellschaft zu bilden: so ist es unmöglich, nicht die Frage zurückzugeben, aber warum sind wir verbunden, ein Versprechen zu halten, das andere für uns gaben? oder warum sind wir überhaupt verbunden, ein Versprechen zu halten? Für diese Verpflichtung kann kein genügender Grund angegeben werden, als die verderblichen Folgen der Abwesenheit von Treue und gegenseitigem Vertrauen unter den Menschen. Wir kommen daher immer wieder auf die Interessen der Gesellschaft als auf den Grund der Verpflichtung des Versprechens zurück; und dennoch giebt man nicht zu, diese Interessen seien eine hinreichende Rechtfertigung für die Existenz von Regierung und Gesetz. Man glaubt, ohne ein Versprechen wären wir nicht zu dem verpflichtet, was in einem jeden gesellschaftlichen Lebensmodus inbegriffen ist, nämlich zu einem allgemeinen Gehorsam gegen das eingeführte Gesetz. Man hält das Versprechen für so nothwendig, dass, wenn in Wirklichkeit ein solches nicht gegeben worden ist, man den Fundamenten der Gesellschaft dadurch eine grössere Sicherheit zu geben glaubt, dass man eines erfindet.

§. 3. Mit zwei von den Hauptabtheilungen der auf Confusion beruhenden Fallacien sind wir nun fertig; es bleibt aber noch eine dritte Abtheilung, in welcher die Confusion nicht, wie bei dem auf Zweideutigkeit beruhenden Schlussfehler, in einem Mißverstehen des Inhalts der Prämissen oder in petitio principii, in einem Vergessen der Natur der Prämissen, sondern wo er in dem Missverstehen des zu beweisenden Schlusses besteht. Es ist dies der Ignoratio Elenchi in dem weitesten Sinne des Wortes genannte Fehlschluss; Whately nennt ihn auch die Fallacie des irrelevanten (nicht zur Sache gehörigen) Schlusses. Seine Beispiele und Bemerkungen darüber verdienen sehr angeführt zu werden.

»Verschiedene Arten von Urtheilen werden, je nach der Gelegenheit, dem Urtheil substituirt, das bewiesen werden soll; manchmal das particulare für das universale, zuweilen ein Urtheil mit[428] verschiedenen Wörtern; die mannigfaltigsten Erfindungen werden benutzt, um diese Substitution zu bewirken und zu verbergen, und den von dem Sophisten gezogenen Schluss praktisch demselben Zwecke dienen zu lassen, dem der Schluss dient, den er hätte begründen sollen. Wir sagen, praktisch demselben Zwecke, denn oft wird (durch den geschickten Gebrauch dieses Trugschlusses) eine Emotion erregt oder dem Geist ein Gedanke eingeprägt wer den, welcher die Menschen für euren Zweck in die erforderliche Stimmung bringt; obgleich sie vielleicht dem Urtheil, das ihr zu begründen hattet, noch nicht beigestimmt, oder es vielleicht nicht einmal in ihrem eigenen Geiste deutlich angegeben haben. Wenn ein Sophist jemand zu vertheidigen hätte, der sich eines schweren Verbrechens schuldig gemacht hat, das er zu mildem wünscht, so würde er, obgleich er keinen Beweis beibringen kann, doch praktisch denselben Zweck erreichen, wenn es ihm gelänge, über irgend einen zufälligen Gegenstand die Zuhörer zum Lachen zu bringen. Ebenso wenn Einer bei einem besondern Verbrechen die mildernden Umstände nachgewiesen und damit gezeigt hat, dass das Verbrechen bedeutend von der Allgemeinheit dieser Classe von Verbrechen abweicht, so kann der Sophist, wenn er diese Umstände nicht widerlegen kann, die Wirkung derselben dadurch vernichten, dass er sie gerade auf diese Classe bezieht, denn niemand kann läugnen, dass das Verbrechen zu dieser Classe gehört, und schon der Name derselben wird ein Gefühl von Ekel erregen, das hinreichend ist, um die Wirkung der mildernden Umstände aufzuheben; es sei z.B. ein Fall von Unterschleif, und es seien manche mildernde Umstände beigebracht, die nicht geläugnet werden können; der sophistische Gegner wird erwidern: ›Nun, am Ende ist der Mann doch ein Spitzbube und damit fertig;‹ nun war dies in Wirklichkeit (der Voraussetzung nach) niemals die Frage, und die blosse Behauptung von etwas, was nie geläugnet wurde, sollte der Billigkeit nach nicht als das Entscheidende angesehen werden; aber praktisch erregt die Gehässigkeit des Wortes, die zwar zum grossen Theil aus der Association gerade der Umstände entspringt, die dem grössten Theil der Classe angehören, die wir aber in diesem besonderen Falle als abwesend annahmen, genau jenes Gefühl von Widerwillen, das die Wirkung der Vertheidigung aufhebt. In gleicher Weise können[429] wir hierher alle Fälle von unpassender Berufung an die Leidenschaften und sonst noch alles rechnen, was Aristoteles als dem vorliegenden Gegenstand fremd exô tou pragmatos anführt.«

Ferner, »anstatt zu beweisen, ›der Gefangene habe einen abscheulichen Betrug verübt‹, beweist ihr, dass der Betrug, dessen er angeklagt, abscheulich ist; anstatt zu beweisen (wie in der wohlbekannten Geschichte von Cyrus und den zwei Röcken), dass der grössere Knabe ein Recht hatte, den andern Knaben zum Tauschen der Röcke zu zwingen, beweist ihr, dass der Tausch für beide vortheilhaft gewesen wäre; anstatt zu beweisen, dass man den Armen eher auf diese als auf jene Weise beistehen sollte, beweist ihr, dass man den Armen beistehen sollte; anstatt zu beweisen, dass ein vernunftloses Wesen – sei es ein Thier oder ein Irrsinniger – niemals durch Furcht vor der Strafe von einer Handlung abgehalten werden kann (wie z.B. Hunde vom Beissen der Schafe durch die Furcht vor Prügel), beweist ihr, dass das Prügeln eines Hundes auf andere Hunde nicht als ein Beispiel wirkt, etc.

Es ist evident, dass Ignoratio elenchi sowohl für die scheinbare Widerlegung des gegnerischen, als auch für die scheinbare Begründung eures eigenen Satzes gebraucht werden kann; denn es ist wesentlich einerlei zu beweisen, was nicht geläugnet wurde, oder zu widerlegen, was nicht behauptet wurde. Der letztere Kunstgriff ist nicht weniger gewöhnlich, ist aber ehrenrühriger, da er häufig bis zu persönlicher Beleidigung geht, indem er jemandem Meinungen etc. zuschreibt, welche derselbe vielleicht verabscheut. So, ›wenn bei einer Discussion über einen Fall von unerträglicher Bedrückung der eine Theil auf Grund der allgemeinen Nützlichkeit einen besonderen Fall von Widerstand gegen die Regierung vertheidigt, kann der Gegner ernsthaft behaupten, dass wir nicht böses thun sollten, damit gutes komme;‹ ein Satz, der natürlich niemals geläugnet wurde, indem der streitige Punkt ist, ›ob in diesem besonderen Falle der Widerstand böses that oder nicht.‹ Oder auch als eine Widerlegung der Behauptung ›ein jeder habe das Recht, in religiösen Dingen zu urtheilen, kann man vielleicht ein ernsthaftes Argument hören, dass, es unmöglich ist dass jedermann bei seinem Urtheil Recht haben kann.‹« Von diesem Schlussfehler sind Streitschriften selten frei. So[430] waren z.B. die Versuche, die Bevölkerungstheorie von Malthus zu widerlegen, meistens Fälle von Ignoratio elenchi. Man hielt Malthus für widerlegt, wenn man zeigen konnte, dass die Bevölkerung in manchen Ländern oder zu manchen Zeiten nahezu stationär blieb; als ob er behauptet hätte, die Bevölkerung nehme immer in einem gewiesen Verhältniss zu, oder als ob er nicht ausdrücklich erklärt hätte, sie nehme nur soweit zu, als sie nicht durch Klugheit oder durch Armuth und Krankheit zurückgehalten wird. Oder es wird vielleicht eine Collection von Thatsachen beigebracht, um zu beweisen, dass in irgend einem Lande das Volk bei einer dichteren Bevölkerung besser daran ist, als zu einem andern Lande, das nur eine dünne Bevölkerung hat; oder auch, dass das Volk zu gleicher Zeit an Zahl und Wohlhabenheit zunahm. Als ob behauptet worden wäre, eine dichte Bevölkerung könne möglicherweise nicht wohl daran sein; als ob es nicht gerade ein wesentlicher Theil jener Lehre wäre, dass da, wo Capital reichlicher vorhanden ist, auch eine grössere Bevölkerung ohne Zunahme von Armuth existiren kann, ja dass sich die Armuth sogar vermindern kann.

Das Lieblingsargument gegen Berkeley's Theorie von der Nichtexistenz der Materie, ein Argument, das sich nicht bloss auf Männer beschränkte, wie Samuel Johnson, dessen sehr überschätztes Talent gar keine metaphysische Richtung hatte, sondern welches auch das Hauptargument der Schottischen Schule von Metaphysikern war, ist eine greifbare ignoratio elenchi. Das Argument wird vielleicht eben so häufig durch Geberden als durch Worte ausgedrückt, und eine seiner gewöhnlichsten Formen besteht darin, dass man mit einem Stock auf die Erde schlägt. Diese kurze und bequeme Widerlegung übersieht die Thatsache, dass durch Verläugnung der Materie Berkeley nicht etwas läugnete, wovon unsere Sinne Zeugniss geben, und dass er daher durch eine Berufung an die Sinne nicht widerlegt werden kann. Sein Skepticismus bezog sich auf das supponirte Substrat, die verborgene Ursache der von unseren Sinnen wahrgenommenen äusseren Erscheinungen, deren Beweis, was man auch von dessen Bündigkeit denken mag, gewiss nicht ein Beweis der Sinne ist. Und es wird immer ein starker Beweis von dem Mangel an metaphysischer Tiefe bei Reid, Stewart, und, es ist mir leid hinzufügen zu müssen, bei Brown bleiben, dass[431] sie darauf bestanden zu behaupten, dass Berkeley, wenn er an seine eigene Lehre geglaubt hätte, verbunden gewesen wäre, in der Gosse zu wandeln, oder seinen Kopf gegen einen Pfosten zu rennen. Als ob diejenigen, welche keine verborgene Ursachen ihrer Sensationen anerkennen, nicht möglicherweise glauben könnten, in diesen Sensationen selbst bestehe eine feste Ordnung. Eine solche Unfähigkeit, den Unterschied zwischen einem Dinge und seinen sinnlichen Offenbarungen, oder, in metaphysischer Sprache, zwischen dem Noumenon und dem Phänomenon zu begreifen, wäre unmöglich selbst bei dem stumpfsten Schüler von Kant oder Coleridge zu finden.

Man könnte sowohl diesem Fehlschluss, als auch den Fehlschlüssen, welche ich zu charakterisiren versucht habe, leicht noch viele Beispiele hinzufügen. Aber eine weitere Erläuterung scheint nicht erforderlich; auch wird der intelligente Leser wenig Schwierigkeit haben, aus seiner eigenen Erfahrung und Belesenheit das Verzeichniss derselben zu vermehren. Wir werden daher hier die Exposition der allgemeinen Principien der Logik schliessen, und zu der supplementären Untersuchung schreiten, welche die Vervollständigung unseres Zweckes verlangt.[432]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 2, Braunschweig 31868, S. 405-433.
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