207.
An Gottfried Keller

[1245] Ruta ligure, 14. Oktober 1886


Hochverehrter Herr, inzwischen habe ich mir die Freiheit genommen, einer alten Liebe und Gewohnheit gemäß, Ihnen mein letztes Buch zu übersenden; mindestens bekam mein Verleger Naumann den Auftrag dazu. Vielleicht geht dies Buch mit seinem Fragezeichen-Inhalte wider Ihren Geschmack: vielleicht nicht seine Form. Wer sich ernsthaft und mit herzlicher Neigung um die deutsche Sprache bemüht hat, wird mir schon einige Gerechtigkeit widerfahren lassen[1245] müssen: es ist etwas, so sphinxartige und stummgeborene Probleme, wie die meinen sind, zum Reden zu bringen. –

Im letzten Frühling bat ich meine alte Mutter, mir Ihr Sinngedicht vorzulesen, – und wir beide haben Sie dafür aus vollem Herzen gesegnet (auch aus vollem Halse: denn wir haben viel gelacht): so rein, frisch und körnig schmeckte uns dieser Honig. –

Mit dem Ausdruck treuer Anhänglichkeit und Verehrung

Ihr Prof. Dr. Friedrich Nietzsche

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1245-1246.
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Briefe
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
Sämtliche Briefe: Kritische Studienausgabe in 8 Bänden