3. Zehenlos Fürstenberg bei Konfuzius und Laotse

[76] Im Staate Lu lebte ein Mann mit abgeschnittenen Zehen namens Zehenlos Fürstenberg (Schu Schan von Dschï). Der kam auf den Fersen gehumpelt, um Kung Dsï aufzusuchen.

Kung Dsï sprach: »Durch Eure Unvorsichtigkeit in vergangenen Tagen habt Ihr Euch so ins Unglück gebracht. Was hat es für einen Wert, jetzt zu mir zu kommen?«

Zehenlos sprach: »Ich verstand es nicht, achtzugeben, und war leichtsinnig in meinem Wandel, darum habe ich mich um meine Füße gebracht. Wenn ich nun komme, so geschieht das, weil ich noch etwas habe, das wertvoller ist als meine Füße und das ich vollkommen zu machen trachte. Es gibt niemand, den der Himmel nicht schirmt, den die Erde nicht trägt. Und ich dachte, Ihr seiet wie Himmel und Erde. Wie konnte ich wissen, daß Ihr so einer seid, Meister!«

Kung Dsï sprach: »Ich bin unhöflich gewesen. Wollt Ihr nicht, bitte, eintreten, daß ich Euch lehre, was ich weiß.«

Aber Zehenlos ging weg.

Kung Dsï sprach: »Nehmt ihn zum Beispiel, meine Jünger! Dieser Zehenlos ist ein Verbrecher, dem man die Füße abgehauen, und dennoch trachtet er zu lernen, um seine früheren Missetaten wiedergutzumachen. Wieviel mehr müssen sich[76] da erst die Mühe geben, deren Tugend noch unversehrt ist!«

Zehenlos redete (über die Sache) mit Lau Dan (Laotse) und sprach: »Dieser Kung Kiu (Konfuzius) hat es doch noch nicht zur Vollkommenheit gebracht. Was braucht er dieses höfliche Getue mit seinen Schülern! Er ist eifrig bestrebt, sich den Namen eines ganz besonders klugen und spitzfindigen Menschen zu erwerben, ohne zu wissen, daß der Vollkommene darin nur Fesseln und Bande sieht.«

Lau Dan sprach: »Wäre es nicht möglich gewesen, ihn von diesen Fesseln frei zu machen, indem du ihm zeigtest, wie Leben und Tod auf einer Linie liegen, wie Mögliches und Unmögliches durch einen Faden verbunden sind?« Zehenlos sprach: »(Die Fesseln, die er trägt,) sind eine Strafe des Himmels; es ist unmöglich, ihn davon frei zu machen.«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 76-77.
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