Trunk Lines

[372] Trunk Lines, von Trunk (Stamm) abgeleitet, nennt man in den Vereinigten Staaten von Amerika im weiteren Sinn große, durchgehende, ein bestimmtes Verkehrsgebiet beherrschende und wichtige Verkehrsmittelpunkte verbindende Hauptbahnen. Das Wort Trunk befindet sich in dieser Bedeutung in der Firma der Grand Trunk Railway of Canada und der Grand Trunk Pacific-Eisenbahn (vgl. Bd. V, S. 364, 365). Im engeren Sinn versteht man unter T. die 4 großen Eisenbahnsysteme, die das Gebiet der Vereinigten Staaten östlich von den großen Seen und nördlich vom Ohio und Potomac bis zur Küste des Atlantischen Ozeans durchziehen. Es sind dies:

1. die New York Central and Hudson River-Bahn mit ihrem Zubehör, die sog. Vanderbilt-Bahnen (s.d.);

2. die Pennsylvania-Eisenbahn (s.d.);

3. die New York Lake Erie and Western-Bahn und das sog. Erie-System (s.d.);

4. die Baltimore and Ohio-Eisenbahn (s.d.). Die Linien dieser 4 Bahnen berühren alle größeren Verkehrsmittelpunkte des von ihnen durchschnittenen Gebiets, also New York, Philadelphia, Baltimore, Washington, Boston, Buffalo, Pittsburgh, Cleveland, Cincinnati, St. Louis, Chicago u.s.w.

Zwischen diesen Bahnen haben sich insbesondere in der Mitte der Siebzigerjahre bis in die Mitte der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts wiederholt die heftigsten Tarifkriege abgespielt, die durch das Eintreten der kanadischen Grand Trunk-Bahn noch vielfach verschärft wurden. Handel und Verkehr haben ebensowohl wie die Finanzen aller Bahnen stark unter diesen Konkurrenzkämpfen gelitten. Nachdem die Leiter der Bahnen wiederholt vergeblich versucht hatten, eine dauernde Verständigung über die Teilung des Verkehrs herbeizuführen, beriefen sie zu diesem Zweck den Präsidenten der Southern Railway and Steamship Association, Albert Fink (s.d.), dem es gelang, den sog. Trunk Line Pool, den Verband der T., zu stände zu bringen und nach mehrfachen Rückfällen in den früheren Kriegszustand so zu befestigen, daß nunmehr ein dauerndes Verbandsverhältnis zwischen den 4 T. und den kleineren, in ihrem Gebiet gelegenen Bahnen besteht. Der Verband hat, nachdem das Bundesverkehrsgesetz vom 4. Februar 1887 die Pools verboten, die Bezeichnung »Trunk Line Association« angenommen. Die diesem Verband angehörigen Bahnen haben sich gleichzeitig über eine einheitliche, am 1. April 1887 in Geltung getretene Güterklassifikation – die sog. Official Classification – sowie über Normaleinheitssätze für den Lokal- und Verbandverkehr verständigt. Zur Zeit der Neubegründung der »Trunk Line Association« hatten die daran teilnehmenden Bahnen eine Länge von fast 77.000 km mit 10.461 Stationen. Die Klassifikation, später die der Joint traffic Association genannt, hat im Lauf der Jahre verschiedene Änderungen und Ergänzungen erfahren, sie ist aber eine einheitliche geblieben. Die Geschäfte des Verbands werden von einem in New York befindlichen besonderen Bureau geleitet, an dessen Spitze ein Präsident steht und in dem alle größeren Bahnen durch Bevollmächtigte vertreten sind. Durch Urteil des höchsten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten vom 24. Oktober 1898 ist die Trunk Line (Joint traffic) Association aufgelöst worden, weil sie dem Antitrustgesetz vom 2. Juli 1890 widersprach (s. Art. Trust). Dieses Urteil machte seinerzeit viel Aufsehen, weil die allgemeine Überzeugung herrschte, daß gerade diese Vereinigung wohltätig gewirkt und insbesondere Ordnung in die dortigen Tarife gebracht habe. Durch Änderung in der Organisation sind die durch das vorgedachte Urteil erhobenen Bedenken beseitigt worden und tatsächliche Änderungen sind nicht eingetreten (vgl. den 12. Jahresbericht der Interstate Commerce Commission für 1898, S. 48 ff).

Literatur: v. der Leyen, Eisenbahnkriege und Eisenbahnverbände in dem Werk: Die nordamerikanischen Eisenbahnen. Leipzig 1885, S. 273 ff.; Nordamerikanische Eisenbahnzustände im Jahr 1888. Arch. f. Ebw. 1889, S. 768 ff.; Die Finanz- und Verkehrspolitik der nordamerikanischen Eisenbahnen. Berlin 1894, S. 25 ff. – Mc. Cain, Report on charges in Railway Transportation Rates on freight traffic throughout the United States. Washington 1893, S. 405 ff., 431 ff.

v. der Leyen.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 9. Berlin, Wien 1921, S. 372.
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