Veit, Moritz

[972] Veit, M. Moritz Veit, geboren den 12. September 1808, entstammte einer sehr geachteten jüdischen Familie in Berlin, in der bereits seit Generationen ein fest begründeter Wohlstand und mit ihm Bildung, Sitte, wohltätiger und gemeinnütziger Sinn vererbt war.

Der Knabe kam zuerst in die Marggraff'sche Schule und dann mit dem zwölften Jahre in die Tertia des Joachimsthal'schen Gymnasiums, wo er unter der Leitung von Zumpt den Grund zu einer tüchtigen philologischen Bildung legte. Mit dem vorzüglichsten Zeugnis versehen, ließ er sich dann im Herbst 1825 an der Universität seiner Vaterstadt immatrikulieren und hörte hier bei Böckh, Ritter und Raumer philologische, geographische und historische Vorlesungen, die gewaltigste Anziehung übte aber Hegel auf ihn aus. Im Jahre 1833 unternahm er zusammen mit seinem philologisch gebildeten Studiengenossen Josef Lehfeldt die Boike'sche Verlagshandlung in Berlin und gründete darauf ein neues Geschäft, welches bald unter die geachtetsten Firmen zählte. Das ältere Geschäft, das er angekauft hatte, war nicht erheblich; er überkam daraus nur ein Werk von wissenschaftlicher Bedeutung – das große enzyklopädische Wörterbuch der medizinischen Wissenschaften, das von Gräfe, Hufeland und andern Notabilitäten herausgegeben wurde. Unter der neuen Firma Veit & Co. gewann aber der Verlag sofort einen anderen Charakter: es erschienen in ihm fast ausnahmslos[972] nur solche Bücher, die für irgend eine Seite des geistigen Lebens einen Wert hatten. Einer der frühesten Artikel war das Laienbrevier von Leopold Schefer; es spielte fortan eine Hauptrolle in dem Verlag, während die übrigen allmählich zu einer beträchtlichen Bändezahl heranwachsenden Werke des Dichters nur einen mäßigen Anklang fanden. In solchen Fällen kam es dann wohl vor, daß der Verleger mit einer, dem Geschäftsmann kaum erlaubten Generosität für den unerwarteten Gewinn den Autor belohnte und den unerwarteten Verlust für sich allein trug. Sehr bald wies der Katalog eine Reihe von Namen ersten Ranges auf. An das erwähnte medizinische Wörterbuch schloß sich eine von Johannes Müller geleitete Zeitschrift, das Archiv für Anatomie und Physiologie; ferner das Repertorium der Physik von W. Dowe und L. Moser. Hervorragend war der Verlag auf philologischem und historischem Gebiet; Ende 1835 erschien der erste Band von Droysen's Aristophanes, später Böckh's metrologische Untersuchungen, seine Antigone und der Beitrag zur Geschichte der Pharaonen »Manetho und die Hundssternperiode«. Auch die Ausgabe der Leibnitz'schen deutschen Schriften von Guhrauer aus dem Jahre 1838 verdient eine Erwähnung. Ein sehr verdienstliches Unternehmen war die allgemeine Zeitschrift für Geschichte, welche Adolph Schmidt unter Beteiligung der namhaftesten Historiker bis zum Eintritt der Revolution herausgab. Mitten in diese Verwirrung hinein fielen die neun Bücher preußischer Geschichte von Leopold Ranke; ihr nach folgten, angeregt durch die nationalen Probleme, welche die Bewegung gestellt hatte, die Arbeiten Adolph Schmidt's über Preußens deutsche Politik und die Geschichte der preußisch-deutschen Unionsbestrebungen; und ferner jene berühmten anonymen Broschüren aus der Zeit von Olmütz (Vier Wochen und vier Monate auswärtiger Politik und die Dresdener Konferenzen), die den ersten urkundlichen Aufschluß über die Wege gaben, welche Preußen damals durch das Ministerium Manteuffel geführt wurde. Die letzten größeren historischen Werke waren Droysen's Leben York's und der Anfang der Geschichte der preußischen Politik, und der York war wohl das Buch, an welchem Veit während seiner Geschäftstätigkeit die meiste Freude zuteil ward. Dagegen entsprachen zwei andere Unternehmungen im Felde der Philosophie und Literatur nicht den daran geknüpften Erwartungen: nämlich die schöne Gesamtausgabe von J. G. Fichte's Werken und der von Veit selbst redigierte Briefwechsel Schiller's mit Körner. Die Unruhe der Geister kurz von der Revolution hatte die Lust an der philosophischen Spekulation verdrängt, und erst ein Jahrzehnt später erwachte in der Nation mit neuer Kraft die Begeisterung für ihren großen politischen Dichter.[973]

Nach dem 1858 erfolgten Tode seines Sozius Lehfeldt gab Veit das Geschäft auf und trat es käuflich an Theodor Einhorn jr., nachmaligem Besitzer der Firma E. F. Steinacker in Leipzig, ab, der es von Berlin nach Leipzig verlegte.

Von großer Bedeutung war Veits öffentliche Tätigkeit. In seiner Vaterstadt Berlin wurde er zuerst zum Stadtverordneten, sodann zum Stadtrat und nach einigen Jahren – da er in der erstgedachten Funktion größere Befriedigung für eine freie, bürgerliche Tätigkeit gefunden hatte – wiederum in das Kollegium der Stadtverordneten gewählt, dessen stellvertretender Vorsteher er ward. Seine Vaterstadt auch hat ihn im Jahre 1848 als einen ihrer Vertreter im deutschen Parlament nach Frankfurt gesandt, wo er mit den besten Männern Deutschlands, besonders aber mit den Führern der altliberalen (Gothaischen) Fraktion ein enges Freundschaftsbündnis schloß, dem er bis zu seinem Lebensende treu geblieben ist.

Diesem letzteren Umstand und seiner daran sich knüpfenden gemäßigten politischen Haltung, die er sowohl in der preußischen Ersten Kammer von 1851-53, als Abgeordneter von Trier, wie im Abgeordnetenhause von 1858-61, als Vertreter von Berlin, bewahrte, ist es wohl allein zuzuschreiben, daß er im Jahre 1861 in seinem Berliner Wahlkreise nicht wieder zum Abgeordneten gewählt wurde.

Als Veit am 5. Februar 1864 gestorben war, widmete ihm Fr. J. Frommann in der darauffolgenden Leipziger Ostermeßversammlung folgenden Nachruf:

»Durch ererbtes Vermögen unabhängig, literarisch gründlich gebildet, schon als Schriftsteller geachtet, fand Veit kein Genüge an einer beruflosen Stellung, sondern wandte sich dem mühe- und gefahrvollen Verlagsbuchhandel zu, um von diesem festen Punkte aus in weitern Kreisen wirksam zu werden und sein nur auf edle und hohe Ziele gerichtetes reines Streben zu betätigen. Diesen Stempel tragen nicht bloß seine buchhändlerischen Unternehmungen, sondern sein ganzes politisches und Privatleben. Die Interessen des Buchhandels hat er in seiner einflußreichen Berliner Stellung mit Mannhaftigkeit verteidigt, dem Börsenvereine aber mehrfach in Ausschüssen, zuletzt sechs Jahre hindurch als Vorsteher gedient mit seltener Hingebung und Unverdrossenheit. So haben wir ihm zu verdanken, daß durch Anstellung des Archivars der Geschäftsgang im Vorstande besser geordnet und erleichtert worden ist. Auf seinen Betrieb und unter seiner tätigsten Mitwirkung ist der von der k. sächs. Regierung schon früher geforderte Entwurf zu einem Gesetze über die literarischen und künstlerischen Urheberrechte für ganz Deutschland ausgearbeitet[974] worden, welcher der von der hohen deutschen Bundesversammlung niedergesetzten Kommission vorliegt und dem Vernehmen nach in den wesentlichen Punkten von ihr gebilligt worden ist. Seine persönliche Liebenswürdigkeit und sein aus dem Herzen kommendes Wohlwollen gewannen die Herzen auch derer, die in den Hauptfragen des Lebens seine Ansichten nicht teilten, so daß sie ihm Achtung und Freundschaft widmeten.«

Einhorn verkaufte 1873 das Verlagsgeschäft an Paul Thon, der es 1876 an H. H. S. Credner abtrat. Im Besitze von Hofrat Hermann Credner befindet es sich noch heute.

Aus der neueren Verlagstätigkeit der Firma seien folgende Autornamen genannt: Böckh, du Bois-Reymond, Witkowski; die Mediziner Braune, Flügge, Fränkel, Fuchs, Hirschberg, Kunze, Ploß, Steiner und Tillmanns; ferner nennen wir an hervorragenden Namen: den Geographen Andree, die Juristen und Staatswissenschaftler Stammler, von Bülow-Cummerow, Leonhard, von Savigny, Schurig, Sehling usw. Endlich seien noch erwähnt: Forstrat Dr. Pfeil, Paulsen und Wulker. Eine große Anzahl von Zeitschriften und periodischen Veröffentlichungen sind im Veitschen Verlage erschienen; wir nennen u. a. die Reichsgerichtsentscheidungen in Straf- und Zivilsachen (1880 uff.), das Archiv für Anatomie (1859 uff.), das Centralblatt für Augenheilkunde (1877 uff.), das dermatologische Centralblatt (1897 uff.), die deutsche Schachzeitung (1846 uff.), die Zeitschrift für Hygiene (1886 uff.) usw.

Quellen: Wehrenpfennig, Zum Andenken an M. V., Berlin 1864; Andenken an M. V., Berlin 1870; Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1864; Frommann, Geschichte des Börsenvereins, Leipzig 1875; Verlagskatalog Ostermesse 1835, 1834-90, 1891-1900.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 6. Berlin/Eberswalde 1908, S. 972-975.
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