Argonautica

[77] Argonautica.

Ein episches Gedicht des Apollonius Rhodius, eines der sieben Dichter, die an dem Hofe des Ptolemäus Philadelphus gelebt haben. Es ist größtentheils in dem wirthschaftlichen Ton geschrieben, welchen der vertraulichste Umgang solcher Personen, die in einem Schiff eingeschlossen sind, erfodert. Man kann mit dem Lichte zufrieden seyn, in welchem jede Person nach ihrem absonderlichen Charakter erscheint. Alle diese Charaktere lauffen in einigen allgemeinen Zügen zusammen. Eine Art von alter Gottseligkeit oder Ehrfurcht für die Götter, Eifer in ihrem Dienste, Freundschaft und Gefälligkeit gegen einander. Jeder Held hat seine Rolle seinem Charakter gemäß, und alle diese Rollen beziehen sich auf das Schiff und auf das gesuchte Vlies. Dadurch werden wir immer auf die allgemeine Angelegenheit zurück geführt, und dadurch bekömmt das Werk eine Einheit. Juno hat die Hand in der Unternehmung, und leitet ihre Fahrt. Die Helden sind, ohne es selbst zu wissen, ihre Werkzeuge. In der Ausbildung der belebten und leblosen Stüke hat der Dichter durch die Auszeichnung sehr genauer Umstände ein helles und angenehmes Licht auf sein Gedicht geworfen. Für Leser, welche die Gestalt des menschlichen Gemüthes und Verstandes gerne bis in die entfernteste Zeiten verfolgen, liegt hier eine reiche Erndte, vornehmlich von Glaubenslehren, Stiftungen der Tempel, Opfergebräuchen und heiligen Plätzen. Virgil hat mit dem Apollonius gerungen, indem er die Liebe der Dido nach der Liebe der Medea gebildet hat. Es ist schweer zu behaupten, daß der Römer gesiegt habe. Longinus giebt der Ilias den Vorzug vor der Argonautika, wie er ihn diesem Gedichte vor der Odyssea giebt. Er hat aber kaum etwas mehrers gesagt, als daß die Argonautika und die Odyssea nicht so brausend seyn, als die Ilias.

Diese Materie hatten sich auch verschiedene römische Dichter gewählt, von denen aber nur einer, nämlich Valerius Flaccus, auf unsre Zeiten gekommen ist. Seine Argonautica haben kein großes Aufsehen gemacht.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 77.
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