Ekel. Ekelhaft

[310] Ekel. Ekelhaft. (Schöne Künste)

Einige unsrer Kunstrichter haben es zu einer Grundmaxime der schönen Künste machen wollen, daß nie etwas Ekelhaftes in einem Werk soll vorgestellt werden.1 Allein bey näherer Untersuchung der Sachen findet man dieses Verboth nicht nur an sich ungegründet, sondern auch von den größten Meistern der Kunst übertreten. Zwar müssen alle, die das Wesen der schönen Künste in der Nachahmung der schönen Natur suchen, oder die das Gefallen oder das Ergötzen zum letzten Endzwek derselben machen, diese Grundmaxime gelten lassen, weil das Ekelhafte weder schön noch gefällig ist. Soll aber der Künstler sich darin als ein Nachahmer der Natur zeigen, daß er, wie sie, durch Vergnügen zum Guten anloke, und durch Mißvergnügen und Widrigkeit vom Bösen abhalte, so muß er sich aller Arten des Widrigen, und also auch des Ekelhaften bedienen, so wie seine Lehrmeisterin, die Natur es gethan hat. Man kann gewiß annehmen, daß die Dinge, für welche der Mensch einen natürlichen Ekel hat, etwas schädliches an sich haben, und daß das Gefühl des Ekels das Mittel ist, uns von schädlichen Dingen abzuhalten.

Darin also kann der Künstler ohne alles Bedenken dieser großen Lehrmeisterin nachahmen, dasjenige mit Ekel zu belegen, wovon die Menschen müssen abgeschrekt werden. Also hat sich Hogarth als ein wahrer Künstler gezeiget, da er in seinen Kupferstichen, Harlots-Progreß, manches würklich Ekelhaftes eingemischt hat. Eben so wenig ist auch Homer zu tadeln, daß er uns von den ruchlosen Cyclopen ein ganz ekelhaftes Bild macht;2 oder Aeschylus, dessen Eumeniden auch gewiß nicht ohne Ekel gesehen worden sind. Auch ist es wol niemand eingefallen den Poußin zu tadeln, daß er in der Vorstellung der Krankheit der Philister, die sich an der Lade des Bundes vergriffen, einiges Ekelhaftes mit eingemengt hat.

Freylich muß man sich nicht, wie schwache Köpfe würklich bisweilen gethan haben, das Ekelhafte blos darum wählen, um die Kunst einer genauen Nachahmung zu zeigen. Zum Vergnügen und zur Ergötzung müssen angenehme Gegenstände gewählt werden; aber zur Abschrekung, wo diese nöthig ist, dienet so wol das Häßliche, als das Ekelhafte; daher dann in der That beydes von den größten Meistern würklich gebraucht worden ist.3

1S. Briefe über die neueste Litteratur V. Theil.
2Odyss. I. vs. 373, 374.
3Man sehe was im Artik. Entsetzen hierüber erinnert worden.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 310.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: