Kunstwörter

[633] Kunstwörter.

Die Künstler und Kunstrichter bedienen sich, wenn sie von Kunstsachen reden, vieler Wörter, die im gemeinen Leben, oder in Wissenschaften sonst nicht oder wenigstens nicht in der Bedeutung, die sie in der Kunstsprache haben, vorkommen, und deswegen Kunstwörter genennt werden. Man hat so wenig Ursache sich über die Kunstwörter zu beklagen, daß man vielmehr ihre Anzahl so lange vermehren sollte, bis jeder in der Theorie und Ausübung [633] der Künste vorkommende klare Begriff, sein Wort hat.

Es kann allerdings ein großer Mißbrauch davon gemacht werden; wie man denn die Sprach überhaupt mißbraucht, und nur zu ofte statt der Gedanken, bloße Wörter sagt. Es ist in dem vorhergehenden Artikel angemerkt worden, daß es der Kunstsprache, wenn sie in die Hände seichter Köpfe kommt, eben so geht, wie der wissenschaftlichen Sprache der Metaphysik, die unter den Händen der Scholastiker zu einem leeren Geschwäz geworden ist.

Ein andrer schlimmer Mißbrauch der Kunstsprach wird von denen gemacht, die in Schriften, die nicht für Liebhaber und Kenner der Kunst, sondern für alle Leser überhaupt geschrieben sind, in der Kunstsprache reden, und dadurch unverständlich werden. Die Künste sind für alle Menschen, und diejenigen, die sich einmal der Welt, als Lehrer ankündigen, müssen die Gelegenheiten ergreifen, ihnen die Werke der Kunst, die ihnen nutzen können, bekannt zu machen; auch so gar sie von ihrem Werth oder Unwerth, von ihren Vollkommenheiten und Mängeln zu unterrichten. Thun sie es aber in der Kunstsprache, so ist ihr Unterricht vergeblich; weil der gemeine Leser sie nicht versteht, oder gar auf den Wahn geräth, als ob die Kenntnis der Kunstwerke von einer Menge schweer zuverstehender Wörter abhange.

Ein Kenner thut wol, wenn er bey guter Gelegenheit selbst den gemeinen Mann, den er beym Schauspiel spricht, auf das Gute und Schlechte desselben aufmerksam macht. Aber er muß dabey bedenken, daß er keinen Kenner, dem die Kunstsprache geläufig ist, vor sich hat. Diesem könnte er vermittelst der Kunstwörter, sehr kurz seine Beobachtungen mittheilen. Aber dem gemeinen Mann muß er nicht von Ankündigung, von Knoten, von Charakteren, Monologen, von Coup de Theatre, und dergleichen Dingen sprechen, davon er nichts versteht. Er muß eben das, was die Kunstwörter bedeuten, durch ihm bekannte Wörter ausdrüken.

Unter Kennern sind die Kunstwörter von vielfältigem Nuzen. Sie kürzen die Reden ungemein ab; sie machen, daß man sich gar vieler den Künsten wesentlicher Begriffe, die ohne besondere Zeichen nicht genug helfen würden, versichert. Der, dem die Kunstsprache geläufig ist, denkt, bloß weil er außer den Begriffen der Sachen, die Töne der Wörter besizt, weit bestimmter und ausführlicher an alles, worauf er Achtung zu geben hat. Die Kunstwörter dienen ihm zur Beurtheilung, wie dem Redner die rhetorischen Fächer (Topica) zur Erfindung dienen. Wem beym Anschauen eines Gemähldes gleich alle mahlerische Kunstwörter einfielen, dessen Beurtheilung würde eben darum keine zum Gemähld erforderliche Eigenschaft entgehen. Es ist kaum zu glauben, wie viel uns sonst bekannte Begriffe, da, wo man sie nöthig hatte, uns entgehen, wenn der Ton der Worte, wodurch sie bezeichnet werden, uns nicht einfällt. Was, wie die deutlichen Begriffe, blos im Verstande liegt, verschwindet, wie ein leichter Nebel, wenn es nicht an irgend einen der äussern Sinne angehängt wird. Der gemeine Mann, der ein Gebäud betrachtet, sieht an demselben gerade die Theile, die dem Kenner der Baukunst in die Augen fallen. Aber alles was er sieht, fließt in dem Kopfe des Unwissenden in einen unförmlichen Klumpen zusammen; er kann nichts davon beschreiben und also auch nichts beurtheilen, da der Kenner vermittelst der Kunstwörter alle diese Begriffe von einander abgesondert sieht, und folglich das Gebäude seiner Beurtheilung unterwerfen kann.

Es wäre demnach zur Ausbreitung der Kenntnis der Kunst allerdings sehr gut, daß die Kunstwörter allmählig, aber ja nicht ohne die Begriffe, deren Zeichen sie sind, in die gemeine Sprach übergetragen würden. Und der würde gewiß ein nützliches Werk thun, der ein Wörterbuch aller zu den schönen Künsten gehörigen Wörter, mit richtiger Bestimmung ihrer Bedeutung herausgäbe.

Für die Kenntnis und Theorie der Künste selbst, bleibet in Absicht auf die Kunstwörter noch die wichtige Arbeit übrig, daß man ihre Bedeutung allgemeiner, oder wie man in der Metaphysik spricht, Transcendent, mache. Die Künste sind im Grund einerley, behandeln ähnliche Gegenstände, und durch ähnliche Mittel. Keine Kunst hat Regeln, oder Maximen, davon das Allgemeine nicht auch in andern Künsten vorkomme. Die Sprach hat ihre Zeichnung, ihr Colorit, ihr Helldunkeles, ihre Gruppirungen, wie die Mahlerey. Nur sind diese Dinge in einer Kunst eher zu bemerken, als in einer andern. Daher entstehen Kunstwörter, die man anfänglich nur in einem Zweyg der Kunst braucht. Zur Vollkommenheit der Theorie der Künste, ist nöthig, daß [634] man jede besonders kenne, und das Verfahren der einen in die andre herübertrage.


–– alterius sic

Altera poscit opem. ––


Alsdenn werden die, sonst einzeln Künsten eigene Kunstwörter, allgemein gemacht.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 633-635.
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