Mexicaner

Fig. 221: Mexicaner
Fig. 221: Mexicaner

[333] Mexicaner, (Religionsansichten und Fabellehre der). Das Wunderland, welches zwischen Nord- und Südamerica liegt, war uns lange unzugänglich, und Alles, was wir von dorther vernahmen, war fabelhaft, bis A. v. Humboldt und einige neuere Reisende das Dunkel, welches über dem Lande schwebte, in etwas aufhellten. Die mexicanischen Völkerschaften nehmen in merkwürdiger Uebereinstimmung mit den Sagen der Griechen und Römer vier Weltalter an, welche sie nur in etwas anders, nämlich nicht nach Gold und Silber, sondern nach den uns bekannten vier Elementen benennen: das erste heisst Atonatiuh, das Zeitalter des Wassers; es begann mit der Erschaffung der Welt, und dauerte bis zum Untergang der Erde und der dazu gehörigen Sonne durch eine ungeheure Wasserfluth; das zweite Tlaltonatiuh, das Zeitalter der Erde, schloss mit einem Erdbeben, welches dem menschlichen Geschlechte und der zu diesem Zeitraum gehörigen Sonne ein Ende machte; das dritte heisst Ehekatonatiuh, das Zeitalter der Luft, bei welchem die Menschen und die Sonne durch einen fürchterlichem Sturm umkamen; das vierte heisst Tletonatiuh, Zeitalter des Feuers, dasjenige, in welchem wir uns jetzt befinden, und welches durch den Ausbruch des Feuers aus allen Schlünden der Erde enden wird. Die M. glaubten, das Ende würde an den Schluss einer der zwei und fünfzigjährigen Perioden fallen, welche das grosse Sonnenjahr bilden; sie stellen daher immer nach Ablauf einer solchen ihrem Feuergott grosse Opfer an aus Dank, dass er wieder seine Begierde, die Erde zu verschlingen, gezähmt habe. Die Menschen übrigens gingen zwar bis auf ein Paar jedesmal verloren, allein sie starben nicht, sondern wurden verwandelt, zuerst in Fische, dann in Affen, dann in Vögel. Der Noah der M. hiess Coxcox und seine Frau Xokiquetzal; sie retteten sich auf einem kleinen Schiffe, und auf dem Berge Colhuäan liessen sie sich nieder; ihre Kinder lernten von weissen Vögel so verschiedene Sprachen, dass sie einander nicht verstehen konnten. - Die Schutzgöttin des Menschengeschlechtes,[333] Omecihuatl, wohnte in einer prächtigen Stadt des Himmels; sie gebar viele Kinder, aber auch einmal ein steinernes Messer, welches die Kinder auf die Erde hinabwarfen, worauf dann aus diesem Messer 1600 Helden (Halbgötter) entstanden; diese hatten nun keine Menschen um sich, denn letztere waren mit der Katastrophe des dritten Zeitalters verschwunden; sie sandten daher einen Boten in den Himmel im ihre Mutter mit der Bitte, dass sie ihnen Kraft verleihen möchte, Menschen hervorzubringen. Die Mutter antwortete, sie habe gehofft, ihre Kinder würden sich durch eine edle Denkungsart des Himmels würdig machen, weil sie jedoch auf der Erde bleiben möchten, so sollten sie von dem Gott der Unterwelt sich einen Knochen eines verstorbenen Menschen geben lassen, und wenn sie denselben mit ihrem Blute besprengen wollten, wurden daraus Menschen entstehen, doch sollten sie sich vor dem Gotte hüten. - Xolotl, einer der Halbgötter, erhielt von Mietlanteuetli einen solchen Knochen, und eingedenk der Warnung entfloh er in grosser Schnelle; auch hatte er Ursache hiezu, denn Jener verfolgte ihn so schnell wie möglich, doch ohne Erfolg; sie besprengten nun den Knochen mit Blut, und es entstand daraus ein Knabe und ein Mädchen, welche das erloschene Menschengeschlecht wieder fortpflanzten; allein es entstand auch daraus die grässliche Sitte der Menschenopfer. Da nämlich die Sonne des vierten Weltalters noch fehlte, setzten sich die Helden in ein grosses Feuer und sagten zu den Menschen, der Erste, welcher in den brennenden Scheiterhaufen springe, würde zur Sonne werden. Nanahuatzin opferte sich und erschien bald darauf als Sonne, doch stand er am Horizont still und sagte, er würde nicht weiter gehen, bevor alle Helden getödtet wären. Der Held Cibli schoss einen Pfeil nach der Sonne, aber diese schoss ihm denselben zurück in den Kopf und tödtete ihn. Die Uebrigen beschlossen nun freiwillig zu sterben; Xolotl gab ihnen allen und zuletzt sich selbst den Tod; ihre Kleider blieben den ehemaligen Dienern, den Menschen, und die Spanier, nach America kommend, fanden in Mexiko in mehreren Tempeln noch Kleider, welche man göttlich verehrte, und für Kleider dieser Helden ausgab. Das Opfer der Helden, so wie das erste des sonnegewordenen Mannes gab nun Veranlassung zu den grässlichen Menschenopfern. Auf die gleiche Weise, wie die Sonne, entstand der Mond; weil jedoch das Feuer nicht so heftig war, erhielt er nicht eben denselben Glanz. Die M. halten die Seelen der Menschen für unsterblich, gefallene Krieger und in der Geburt sterbende Mütter kommen in das Haus der Sonne, und leben dort herrlich und in Freuden fort; sie dürfen in der Gestalt von Wolken, von glänzenden Vögeln etc. auf die Erde zurückkehren und ihre Lieben besuchen. Diejenigen, welche durch den Blitz oder im Wasser sterben, kommen in das Haus des Wassergottes und führen gleichfalls ein freudiges Leben, jedoch ist ihnen die Wiederkehr nicht gestattet; nur die an langen Krankheiten Gestorbenen kommen in die finstere Unterwelt. Aus den vergötterten Helden, Vorfahren und Königen entstanden bald wirkliche Götter, deren Zahl sich auf über 3000 erstreckte, doch hatten sie einige Vorstellung von einem höchsten Wesen, welches unabhängig von Anderen, aus sich selbst entstanden, der Urheber aller Dinge war; dieses Urwesen hatte den Namen Teotl (Gott), seine besonderen Eigenschaften suchten sie durch Beinamen auszudrücken. Ein diesem entgegengesetztes Wesen war Tläatewlolotl, d.h. die vernünftige Eule. Die M. glaubten, dieser böse Dämon erschiene den Menschen zuweilen, um sie zu quälen und in Furcht zu setzen. - Neben diesem guten und bösen Princip gab es drei Classen von Göttern: zu den ersten gehörten die Mütter aller Götter, der Gott der Vorsehung, die Götter der Gestirne, der Elemente, des Krieges, der Jagd, der Fischerei, des Handels, der Strafe, des Schutzes u.s.w., zu der zweiten Classe gehörten die Jahres-, Monats-, Tages-, überhaupt die Zeit-Götter; in der dritten standen nur die Familien - Götter. Diese aber waren Bildsäulen von Stein, von Holz, von Thon, aus Gold und andern Metallen, denn Allen wurden Tempel errichtet, Priester und Priesterinnen gesetzt (s. hiezu unser Bild, eine mexikanische Priesterin mit ihrem sonderbaren Kopfschmuck vorstellend, wie eine aufgefundene Büste sie zeigt) und Opfer dargebracht, welche in allen Landeserzeugnissen, über mich in blutigen Menschenopfern bestanden. Der oberste oder wenigstens der verehrteste ihrer Götter war der blutdürstige Huitzilopochtli (s. d. und die Art. Temalakatl, Teokatli).

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 333-334.
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