Anlaufen

[331] Anlaufen, verb. irreg. (S. Laufen,) welches so wohl als ein Neutrum, als auch als ein Activum üblich ist.

I. Als ein Neutrum, welches mit dem Hülfsworte seyn verbunden wird.

1. Anfangen zu laufen, welche Bedeutung aber wenig vorkommt.

2. Hinan laufen, d.i. in die Höhe laufen, in welchem Verstande es nur in weiterer und figürlicher Bedeutung üblich ist. In[331] jener laufen die Bergleute an, wenn sie allmählich in die Höhe arbeiten, so daß die Sohle vor ihnen her steiget. Von einer allmählich in die Höhe steigenden Fläche sagt man gleichfalls: Die Fläche läuft an. Ferner sagt man auch von dem Wasser, es läuft an, der Fluß ist sehr angelaufen, wenn sich dessen Menge, und folglich auch dessen senkrechte Höhe vermehret. Figürlich und im gemeinen Leben, von Zahlen. Die Summe ist schon hoch angelaufen, hat sich sehr vermehret. Seine Schulden laufen täglich höher an.

3. Heran laufen, sich laufend nähern. 1) Eigentlich. Eine Grenadier-Compagnie anlaufen lassen, auf den Feind. Angelaufen kommen, im gemeinen Leben, sich laufend nähern. Mit einem geringen Zusatze zu dem Begriffe wird bey den Jägern anlaufen lassen, von den wilden Schweinen gesagt, wenn man sie an und auf das Fangeisen laufen lässet. Auf ähnliche Art sagt man auch im Jagdwesen, das Thier läuft an, wenn es dem Jäger zum Schusse kommt. 2) In weiterer Bedeutung, wird anlaufen, (a) in den Hammerwerken von dem geschmolzenen Eisen gebraucht, wenn es sich an die Brechstange, die daher auch der Anlaufkolben oder der Anlaufstab genannt wird, anlegt, welche Verrichtung gleichfalls anlaufen lassen genannt wird. (b) Den Glanz verlieren, von polirten Körpern, weil die Feuchtigkeit oder die matte Farbe, welche den Glanz vertreibet, sich schnell und gleichsam laufend über die polirte Fläche verbreitet. Das Glas, der Spiegel läuft an, wenn beyde mit Dünsten überzogen werden; Niedersächsisch beframen, in Baiern und Österreich damen. Polirten Stahl blau anlaufen lassen, ihm durch das Ausglühen auf der Oberfläche eine blaue Farbe geben. An einigen Orten gebraucht man dieses Verbum überhaupt von anbrüchig werden, und sagt daselbst, der Wein läuft an, wenn er kahnig wird; mit Schimmel, oder vom Schimmel anlaufen.

4. Im Laufe an etwas anstoßen. 1) Eigentlich. Er ist mit dem Kopfe an die Wand angelaufen. Im Finstern läuft man überall an. 2) Figürlich. (a) Übel bey einem anlaufen, schlecht von ihm empfangen werden. Du wirst häßlich anlaufen, schlecht ankommen, dich in deiner Rechnung gewaltig betriegen. So auch, einen anlaufen lassen, ihm auf verdiente Art begegnen. In einem andern Verstande läßt man jemanden anlaufen, wenn man ihm zu seinem Nachtheile einen Fehler begehen läßt, woran man ihn hätte hindern können. (b) * Gegen Gottes Gebothe anstoßen, doch nur in der biblischen Schreibart. Sind sie darum angelaufen, daß sie sollten fallen? Röm. 11, 11. Der Stein des Anlaufens, Röm. 9, 33.


Eh als ich gedruckt ward irret ich,

Und lief sehr an in meinem Thun und Tichten,

Opiz, Ps. 119, 34.


beging viele Fehler.

II. * Als ein Activum, an einen laufen, auf einen zu laufen, mit der vierten Endung des Substantives. Einen anlaufen. Da liefen ihn die Juden in allen Städten an – und klagten ihm u.s.f. 2. Maccab. 4, 36. Welche ihn ansehen und anlaufen, deren Gesicht wird nicht zu Schanden, Ps. 34, 6. Besonders in figürlicher Bedeutung und mit dem Nebenbegriffe des ungestümen und beschwerlichen Bittens. Der Mensch läuft mich täglich an. Einen um etwas anlaufen. Ingleichen mit dem Nebenbegriffe des feindlichen Angriffes, einen feindlich anfallen.


Tewrdank der unverzagte man

Lieff den pern mit seim spieß an,

Theuerd. Kap. 27.


Ein wildes grimmes Thier läuft alle Menschen an,

Opitz.


Mehr hat nicht Attila – –

– – euch feindlich angelaufen,

Opitz.


[332] Allein in der ganzen thätigen Bedeutung ist es, wenigstens in der edlern Schreibart im Hochdeutschen, nicht mehr üblich.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 331-333.
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