Gerechtigkeit, die

[581] Die Gerêchtigkeit, plur. die -en, das Abstractum des vorigen Bey- und Nebenwortes, der Zustand, da eine Person oder Sache gerecht ist; nur in einigen Bedeutungen dieses Wortes.

1. Der Zustand der sittlichen Vollkommenheit, ohne Plural; in welchem Verstande es zuweilen von Gott gebraucht wird, so wohl im weitern Verstande, die innere sittliche Vollkommenheit desselben zu bezeichnen, da sie mit der Heiligkeit einerley ist, als auch im engern, von der genauen Beobachtung des Besten in der Einrichtung aller seiner Werke, da sie auch die Weisheit mit unter sich begreift. Auch von Menschen kommt es in der Deutschen Bibel häufig vor, die möglichste sittliche Vollkommenheit derselben zu bezeichnen, wo es aber füglicher zur folgenden Bedeutung gerechnet wird. S. Gerecht 3.

2. Der Zustand, da eine Sache dem Rechte, einer Befugniß gemäß ist. 1) Eigentlich; gleichfalls ohne Plural. Die Gerechtigkeit einer Klage, eines Anspruches. Es ist besser wenig mit Gerechtigkeit, denn viel Einkommens mit Unrecht, Sprichw. 16, 8. Noch mehr, 2) das Recht oder die Befugniß selbst, und ein Ding, welches jemanden vermöge eines Rechtes zukommt; welches der einzige Fall ist, wo dieses Wort einen Plural leidet. Eine Stadt hat viele Gerechtigkeiten, wenn sie viele Rechte, Vorrechte oder Gerechtsamen hat. Eines Gerechtigkeit schmälern. Mußtheil, Gerade und andere weibliche Gerechtigkeiten. Die Gerechtigkeit haben etwas zu thun. Stadtgerechtigkeit, das Recht eine Stadt vorzustellen; Meßgerechtigkeit, die Befugniß eine Messe zu halten; Mühlgerechtigkeit, das Recht eine Mühle zu halten u.s.f. Siehe Gerecht 4.

3. Der Zustand, da eine Person oder Sache dem Gesetze und den daraus erwachsenden Pflichten gemäß ist; wo es in eben so vielen Einschränkungen gebraucht wird, als das Bey- und Nebenwort gerecht, und gleichfalls keinen Plural leidet. 1) Im weitesten Verstande, das ganze rechtmäßige Verhalten des Menschen, oder die gesammte Beobachtung aller seiner Pflichten; in welchem es in der Deutschen Bibel sehr häufig ist, außer der biblischen Schreibart aber nicht gebraucht wird. In Gerechtigkeit wandeln, 1 Kön. 3, 6. Gerechtigkeit war mein Kleid, Hiob 29, 14; und so in andern Stellen mehr. Bey dem Ottfried Girihti, im Isidor Rehtunga. 2) In engerm Verstande, das ganze rechtmäßige Verhalten Christi, auch so fern es in der Rechtfertigung dem Menschen angerechnet und zugeeignet wird; gleichfalls nur in der Deutschen Bibel, und der biblischen Sprechart. Durch eines Menschen Gerechtigkeit ist die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen kommen, Röm. 5, 18. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, 2 Cor. 5, 21. 3) In noch engerer Bedeutung, die Beobachtung der Pflichten gegen andere, auch mit Einschließung der unvollkommenen Pflichten, und die Fertigkeit solcher Beobachtung. Ingleichen objective, die Eigenschaft einer Sache, vermöge welcher sie den Rechten des andern gemäß ist. Sich der Gerechtigkeit gegen jedermann befleißigen. Sie lassen mir keine Gerechtigkeit widerfahren, wenn sie glauben, ich habe bey meinem Dienste auf eine Belohnung gesehen. Die Gerechtigkeit der Gnadenwahl. 4) In der engsten Bedeutung, die Beobachtung der durch ein Gesetz bestimmten Pflichten, die Erfüllung des strengen Rechtes gegen andere, die Fertigkeit dieser Erfüllung, und zuweilen auch dieses[581] Recht selbst. (a) Unter gleichen Personen, welche von einigen die Justitia aequatoria genannt wird. (b) Unter ungleichen Personen, besonders Höherer gegen Geringere, Justitia rectoria, das rechtmäßige Verhalten gegen Geringere, welches überhaupt in der thätigen Beweisung des Mißfallens an ihren unrechtmäßigen und des Wohlgefallens an ihren rechtmäßigen Handlungen bestehet, und im höchsten Verstande auch Gott zukommt. In etwas engerm Verstande bestehet diese Gerechtigkeit in dem Schutze eines jeden bey dem Seinigen, und in der Verbindlichkeit dazu; da sie denn in den schönen Künsten unter dem Bilde einer Person weiblichen Geschlechtes mit verbundenen Augen vorgestellet wird, welche in der einen Hand eine Wagschale, und in der andern ein bloßes Schwert hält. Die Gerechtigkeit lieben, handhaben. Diener der Gerechtigkeit, die dazu verordneten Personen. Einem Gerechtigkeit widerfahren lassen. Über die Gerechtigkeit halten. Der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen. Das ist wider alle Gerechtigkeit. Figürlich werden zuweilen auch die zu diesem Schutze verordneten Personen die Gerechtigkeit genannt. Die Gerechtigkeit um Schutz, um Hülfe anflehen. Vor der Gerechtigkeit erscheinen. Jemanden der Gerechtigkeit überliefern. Nieders. Rechtigkeit, im Schwabensp. Rechtikait, Schwed. Rättighet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 581-582.
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