Horn, das

[1286] Das Horn, des -es, plur. die Hörner, Diminut. das Hörnchen, Oberd. Hörnlein, ein jeder sehr hervor ragender, hervor stehender Theil eines Dinges, besonders an dessen obersten Fläche.

I. In der weitesten Bedeutung, wo es im Hochdeutschen veraltet ist, im gemeinen Leben aber noch verschiedenen einzelnen Fällen gebraucht wird. 1. Ein weit hervor ragender Theil der Erdfläche, wo es in den alten Deutschen Mundarten häufig so wohl von einem Gebirge, einem einzelnen spitzigen Berge, als auch von einer Landspitze, welche sich in das Wasser erstrecket, gebraucht wurde, und in einigen Gegenden noch gebraucht wird. Im Oberdeutschen gibt es viele mit diesem Worte zusammen gesetzte Nahmen der Berge, wo Horn so viel als einen spitzigen Berg bedeutet, dergleichen das Viescher-Horn, das Engels-Horn, das graue Horn u.a. in der Schweiz sind. Von einer Landspitze sind die Beyspiele in Ober- und Niederdeutschland eben so häufig. Römisch Horn oder Romans-Horn liegt auf einem spitzigen Horn des Gestades, welches sich weit in den See hinein erzeucht, Stumpf bey dem Frisch. Unter der Insel Reichenau erzeucht sich ein schön lustig Gebirg mit einem langen und fruchtbaren Horn hinein in den See, ebend. Arger-Horn, Kippen-Horn, Aich-Horn, Katten-Horn u.s.f. sind dergleichen Landspitzen an und in dem Bodensee. 2. Die Ecke eines Dinges; eine sehr alte Bedeutung, welche schon das Hebr. קרן, das Angels. Hyrn, Hern, das alte Franz. Corne hat, so wie sie in dem Engl. Corner, Schwed. Hörn, Dän. Hiörne, und Nieders. Hören noch üblich ist. In thes Cruces hornon, an den Ecken oder Enden des Kreuzes, Ottfr. Ein hus dat up ener Straten ligt, ein Eckhaus, in dem Brem. Statuten. Im Angels. ist Hyrnstein ein Eckstein, und thry-hyerned dreyeckig. Die Hörner des Altars, sind in Luthers Bibel und andern ältern Übersetzungen, nach dem Muster des Hebr. und Lat. Textes, sehr oft die Ecken des Altars. Im Hochdeutschen ist es auch hier veraltet, außer daß es noch in einigen Fällen des gemeinen Lebens vorkommt. So werden die Ecken der Salzpfannen in den Salzkothen die Hörner genannt, S. Hornstein, Hornstein, Hornbret. In einigen Niedersächsischen Gegenden heißen die äußersten Zipfel des Segels Hörner. In der Baukunst sind die verschnittenen Ecken der Platte eines Capitals und der darauf folgenden Glieder unter[1286] dem Nahmen der Hörner bekannt. Und daß in weiterer Bedeutung auch das Ende eines Dinges ehedem das Horn geheißen habe, erhellet aus dem zusammen gesetzten Hornleiste. S. auch Ort, welches genau mit diesem Worte verwandt ist. 3. Ein Zapfen; auch nur noch in einigen Fällen. So werden die zwey Zapfen, worin sich das Blatt der Säge befindet, bey den Tischlern Hörner genannt. 4. Ein hervor stehendes, horizontales oder doch fast horizontales, und gemeiniglich spitziges Ende eines Dinges; gleichfalls nur noch in einigen einzelnen Fällen. Die Hörner des Mondes, die scheinbaren spitzigen Enden desselben, wenn er über die Hälfte abgenommen hat; ehedem die Anden, d.i. die Enden. Der Mond bekommt Hörner. Im Bergbaue wird die Handhabe an dem Haspel, womit derselbe umgedrehet wird, das Horn oder Haspelhorn genannt, S. Hornstatt; und bey den Kupferschmieden und andern Metallarbeitern heißen die horizontal hervor stehenden spitzigen Enden eines Amboßes Hörner, daher denn ein solcher mit spitzigen Enden versehener Amboß auch wohl selbst ein Horn genannt wird; siehe Hornamboß.

II. In engerer und gewöhnlicher Bedeutung, lange, hervor ragende, am Ende spitzige Auswüchse an den Köpfen der Thiere.

1. Überhaupt, sie seyen von welcher Art sie wollen. Dergleichen Hörner finden sich an manchen Fischen, an vielen vierfüßigen Thieren, an manchen Käfern, an den Schnecken u.s.f. Auch die so genannte Fühlhörner der Insecten gehören hierher, ungeachtet sie von den Hörnern anderer Thiere so wohl ihrer Bauart, als Bestimmung nach gar sehr verschieden sind. S. Fühlhorn, Horneule, Hornfisch u.s.f.

2. Besonders dergleichen harte Auswüchse an den Köpfen, vornehmlich an der Stirn gewisser Thiere, welche ihnen anstatt der Waffen dienen. Schon im Hebr. קרן, im Griech. κερας, im Lat. Corn, bey dem Ulphilas Haurus, bey dem Ottfried Horn, im Nieders. Angels. Engl. Schwed. Dän. und Isländ. gleichfalls Horn.

1) Eigentlich. Solche Hörner haben vornehmlich das Rindvieh, das Bock und Ziegengeschlecht, das Hirschgeschlecht u.s.f. Das Büffelhorn, Ochsenhorn, Kühhorn, ein Gemsenhorn, Bockshorn, welches am häufigsten das Gehörn oder Geweih genannt wird. Mit den Hörnern stoßen. Die Hörner abwerfen, neue Hörner bekommen. Daher auch die figürlich doch nur im gemeinen Leben üblichen R.A. Jemanden die Hörner biethen, sich ihm zu widersetzen, drohen, ihm die Spitze biethen. Sich die Hörner ablaufen, A. Ablaufen. Etwas auf seine Hörner nehmen, es aus eigenen Kräften vollführen wollen, sich dasselbe zutrauen. Das kann ich nicht allein auf meine Hörner nehmen. Jemanden das Seil um die Hörner werfen, ihn mit List in seine Gewalt bringen, mit List von sich abhängig machen. Besonders in den R.A. Hörner tragen oder haben, eine ungetreue Ehegattinn haben, welche die eheliche Treue verletzet, ein Hörnerträger seyn. Eine Frau setzet ihrem Manne Hörner auf, wenn sie die eheliche Treue verletzet. Auch von demjenigen, welcher des andern Gattin verführet, sagt man, daß er ihm Hörner aufsetze oder mache. Ein Hirschgeweih ist im gemeinen Leben häufig ein sinnbildendes Zeichen eines auf solche Art beschimpften oder beleidigten Ehemannes, statt dessen man auch wohl zwey ausgebreitete Finger der Hand über dessen Kopf hält. Das mittlere Lat. Cornu hatte eben diese Bedeutung. Femina si qua suo quaesivit cornua sponso, Carmen de Curia Romana, bey dem Du Fresne. Diese figürliche Art des Ausdruckes ist nicht so neu, wie Dacier glaubte. Im 4ten Bande[1287] der 1765 heraus gekommenen Pitture d'Ercolano befindet sich N. 33 die Abzeichnung eines Gemäldes auf trockenem Grunde, wo ein Sklave über den mit einer Sklavinn vorgestellten Herrn mit dem Zeige- und kleinen Finger dasjenige Zeichen macht, welches einen hintergangenen Ehemann bezeichnet. Auch im Artemidor kommt κερατα ποιειν in eben dieser Bedeutung für Hörner aufsetzen vor. Artemidor lebte unter Antonin dem Frommen; daher das Vorgeben derer wegfällt, welche diesen Gebrauch von dem Kaiser herleiten, welcher allen seinen Unterthanen, deren Weiber er beschlafen, Jagdrecht ertheilet haben soll, daher sie zu dessen Zeichen ein Hirschgeweih über ihre Hausthüre befestigen müssen. Spanheim beweiset sogar, daß diese Vorstellung bey den ältern Juden üblich gewesen. In den folgenden Zeiten kommt dieser Ausdruck noch häufiger vor. Bey den Provenzalen heißt ein auf solche Art beschimpfter Ehemann schon im 12ten Jahrhunderte ein Cornard. Das mit dieser Vorstellungsart auf dasjenige Glied gezielet werde, welches Archilochus κερυς αποιλον nannte, ist wohl nicht glaublich. Das Tragen der Hörner scheinet vielmehr eine sehr alte beschimpfende Strafe gewesen zu seyn, welche nachmahls zu allerley Possenspielen gemißbraucht worden. S. Cornut und des Du Fresne Glossar. v. Abbas Cornardorum. In einem Reichsabschiede von 1427 wird verbothen, keine Frauen mit zur Armee zu bringen; in dem von 1431 wird solches auf die gemeinen Frauen eingeschränket, und zugleich verordnet, daß die Übertreter gehörnet werden sollen. S. auch Hahnrey und Hörnerträger.

2) Figürlich. (a) Ein mit einem Horne versehenes Thier, doch nur in den Zusammensetzungen Einhorn und Nasehorn. Die letzte Sylbe in dem Worte Eichhorn gehöret nicht hierher. (b) Ein hohles Horn eines Thieres, besonders ein Küh- oder Ochsenhorn, so fern es anstatt eines Gefäßes oder Werkzeuges gebraucht wird; ein Gebrauch, welcher in den ehemahligen Zeiten der Einfalt und Genügsamkeit sehr häufig war. Fülle dein Horn mit Öhl und gehe hin, nehmlich den David zum Könige zu salben, 1 Sam. 16, 1. Ein Trinkgeschirr hieß ehedem ein Trinkhorn, weil man sich dazu in den ältesten Zeiten eines Hornes bedienete, um welcher Ursache willen ein Dintenfaß noch in Niedersachsen ein Blackhorn, Engl. Inkhorn, genannt wird. Das Horn des Überflusses, S. Füllhorn. In Dampfhorn, Finkenhorn, Pulverhorn u.s.f. findet eben diese Bedeutung Statt. Sehr häufig bediente man sich der hohlen Ochsenhörner ehedem auch anstatt eines blasenden Instrumentes, wie von den Hirten und Nachtwächtern an einigen Orten noch geschiehet. Das Horn blasen. In das Horn stoßen. Mit jemanden in Ein Horn blasen, figürlich, mit ihm einerley Absicht hägen, im verächtlichen Verstanden. Diese Benennung ist in vielen Fällen geblieben, wenn gleich diese Instrumente bey dem Wachsthume des Lucas und der Künste aus bessern Materien gemacht worden, so fern sie nur einiger Maßen die alte Gestalt behalten haben. Jos. 6, 5 heißt die Posaune das Horn, und Ottfried nennt eine Trompete nur Horn. Die Zusammensetzungen Posthorn, Hiefhorn, Jägerhorn, Waldhorn, Flügelhorn, Krummhorn, Schallhorn u.s.f. sind noch jetzt bekannt, so wie ein solches Instrument im gemeinen Leben auch nur schlechthin das Horn genannt wird. In Pohlen bedienen sich die Jäger in vielen Gegenden noch eigentlicher Kühhörner. (c) Die harte zähe graue in das Braune fallende Materie dieser Hörner; ohne Plural. Hirschhorn, S. dieses Wort. Besonders diejenige Materie, woraus die Hörner der Ochsen und Kühe bestehen. So hart wie Horn. Kämme, Dosen aus Horn machen. In Horn arbeiten. Zu Horn werden. Wegen Ähnlichkeit der Materie wird der äußerste Theil an dem Hufe[1288] eines Pferdes, Esels und Maulesels, der Huf, ja zuweilen auch die ähnliche Materie der Klauen anderer Thiere Horn genannt. S. Hornfeile, Hornklüftig, Hornsalbe. (d) Wegen einiger Ähnlichkeit in der Figur, wird eine Art eines Gebackenen an einigen Orten Hörner, Hörnchen und Hörnlein genannt, wohin auch die an einigen Orten bekannten Martins-Hörner gehören, S. dieses Wort und Hornaffe. So wie die erste Sylbe in den Zusammensetzungen Hornband, Hornerz, Hornstein u.s.f. sich bloß auf die Ähnlichkeit der Farbe, der Härte und der Bauart beziehet. (e) * Der Kopf; eine morgenländische, im Deutschen unbekannte Figur, welche noch Hiob 16, 15 vorkommt: ich habe mein Horn in den Staub gelegt. (f) * Stärke, Gewalt, Macht, Ansehen und Herrlichkeit; eine gleichfalls im Deutschen unbekannte Figur, welche aber in Luthers Bibel häufig vorkommt, wo Gott auch ein Horn des Heils genannt wird.

Anm. So alt dieses Wort ist, so wahrscheinlich ist es doch, daß es zu ha, har, hoch, gehöret, und überhaupt ein erhabenes, hervor stehendes Ding bedeutet. S. Hehr, Gehirn, Arm, Dorn, Ohr, Ur u.s.f.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1286-1289.
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