Kind, das

[1573] Das Kind, des -es, plur. die -er, Diminut. das Kindchen, und im Plural Kinderchen, Oberd. Kindlein oder Kindelein, ein menschliches Individuum, so fern es erzeuget worden, d.i. durch unmittelbare körperliche Mittheilung sein Wesen von andern empfangen hat, ohne Rücksicht auf das Geschlecht, welches durch die Wörter Sohn und Tochter näher bestimmt wird. Es kommt in einer dreyfachen Beziehung vor.

1. In Beziehung auf denjenigen, von welchem man sein Wesen empfangen hat, in welchem man seinem Wesen und Daseyn nach gegründet ist.

1) In der engsten Bedeutung, in Beziehung auf die unmittelbaren Ältern, auf diejenigen Personen, von welchen man unmittelbar gezeuget worden, wo sie das Wort Kind so wohl auf beyde Ältern zusammen genommen, als auch auf jeden Theil derselben, auf den Vater so wohl als auf die Mutter, beziehen[1573] kann. Es wird alsdann ohne Rücksicht auf das Alter gebraucht. Jemandes Kind seyn. Es ist unser Kind. Seine Kinder abfinden. Großer Leute Kinder gerathen selten wohl. Von seinen Kindern verlassen werden. Keine Kinder haben. Kinder bekommen, besonders von der Mutter. Kinder zeugen, nur allein von dem Vater. Geschwisterkinder, Personen, deren Ältern Geschwister waren.

2) In weiterer Bedeutung. (a) In Beziehung auf die entferntern Stammältern; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, in welcher die Ausdrücke die Kinder Israel, die Kinder Adams, die Kinder Juda u.s.f. für Nachkommen, in der Deutschen Bibel sehr häufig sind. (b) So fern alle vernünftige Geschöpfe ihrem Wesen und Daseyn nach in Gott gegründet sind, werden alle vernünftige Geschöpfe in der Deutschen Bibel Kinder Gottes genannt. In engerer Bedeutung führen sie diesen Nahmen, wenn sie diesen Ursprung einräumen und bekennen, wenn es gleich nur äußerlich geschiehet; im Gegensatze der Kinder der Menschen.

3) Figürlich, eine Person, welche in Ansehung des Vaterlandes, des Eigenthumes, der Erhaltung, der Erziehung, des Unterrichtes u.s.f. in einem andern gegründet ist, der alsdann ihr Vater heißt. (a) In Ansehung des Vaterlandes, in den zusammen gesetzten Landeskind, Stadtkind, eine Person, welche aus einem Lande, aus einer Stadt gebürtig ist. (b) In Ansehung der Erhaltung, der Erziehung, der Versorgung. Ein Pflegekind; im gemeinen Leben, ein Ziehkind. Ein angenommenes, adoptirtes, Kind. Ein Glückskind. (c) * In Ansehung des Unterrichts, in welchem Verstande Schüler in der Deutschen Bibel mehrmahls Kinder der Propheten genannt werden. Schon bey dem Kero sind Chindu Schüler. In dieser Bedeutung ist es veraltet. (d) In Ansehung der Seelsorge, in dem zusammen gesetzten Beichtkind. (e) In Ansehung anderer äußern Verhältnisse, in den Worten Pfarrkind, Kirchspielskind u.a. (f) In Ansehung der Wiedergeburt werden wiedergeborne Menschen in der Deutschen Bibel und der biblischen Schreibart Kinder Gottes genannt. (g) * In Ansehung des Eigenthumes, gleichfalls nur in der Deutschen Bibel und der biblischen Schreibart, wo die Ausdrücke ein Kind der Hölle, der Seligkeit, des Himmels, der Verdammniß, der Sünde, der Welt, des Zornes u.s.f. häufig vorkommen.

2. In Beziehung auf die Zeugung allein, wo es ein menschliches Individuum von dessen Empfängniß an bis zur Geburt und gleich nach derselben bezeichnet. Das Kind im Mutterleibe nicht verschonen. Ein ungebornes Kind. Mit einem Kinde schwanger gehen; im gemeinen Leben nur, mit einem Kinde gehen. Ein Kind von jemand bekommen, wird von der Mutter gesagt, in Beziehung auf den Vater. Ein Kind gebären, zur Welt bringen, von einem Kinde entbunden werden, (nicht mit einem Kinde,) in der feyerlichern Schreibart, eines Kindes genesen. Das Kind mit dem Bade ausschütten, das Gute mit dem Schlechten verwerfen, alles verderben.

3. In weiterer Bedeutung, in Beziehung auf das Alter.

1) Im gewöhnlichsten Verstande, da Personen von ihrer Geburt an bis zum zehenten Jahre Kinder genannt werden. Ich bin von Kind auf sein Freund gewesen, von Kindesbeinen an. Er weinte wie ein Kind, bitterlich. Ein Mann wie ein Kind, in Beziehung auf die guten Eigenschaften eines biegsamen, folgsamen Kindes. So eigensinnig wie ein Kind. Ein Kind am Verstande. Sie wollen mich gewiß zum Kinde machen, sie glauben gewiß, sie könnten mir, wie einem Kinde, alles weiß machen. Auch als ein Ausdruck der vertraulichen Zärtlichkeit, auch gegen erwachsene Personen, wobey doch[1574] die erste Bedeutung nicht ausgeschlossen werden muß. Mein Kind! Liebes Kind! Die guten Kinderchen, auch von erwachsenen Personen, besonders weiblichen Geschlechtes. Figürlich werden in der Deutschen Bibel und biblischen Schreibart, Christen, so lange sie mehr nach Empfindung, als nach Erkenntniß göttlicher Wahrheiten handeln, Kinder genannt.

2) * Ehedem wurden auch Personen im Jünglingsalter Kinder genannt; in welcher Bedeutung es noch zuweilen in der Deutschen Bibel vorkommt. Das ich der iare bin ein kint, König Conrad der Junge der doch damahls wenigstens ein Jüngling seyn mußte. Die Tuchscherer nennen ihre Gesellen noch Kinder, vermuthlich aus keinem andern Grunde, als aus welchem die Gesellen bey den Tuchmachern und andern Handwerkern Knappen, d.i. Knaben, genannt werden. Auch die Matrosen auf den Schiffen bekommen von den Schiffern nur den Nahmen Schiffskinder.

Anm. Schon im Isidor Chindh, bey dem Kero Chind, bey dem Willeram Kint, bey dem Ottfried Kind, und im Diminut. Kindilin, im Nieders. Kind, bey den ältern Friesen Kin, Kinne, Knia, Kai, bey den heutigen Knee, im Angels. Cild, im Engl. Child. Es scheinet das Mittelwort der vergangenen Zeit, von dem veralteten Zeitworte kinnen, zeugen, bey dem Ulphilas keinan, im Angels. cennan, im Griech. γενναν, im Lat. gignere, zu seyn, Kind für kinned, gezeuget; von welchem Worte ehedem auch das Abstractum Chunne, Geschlecht, Dän. Klon, Engl. Kin, Kind, üblich war. In der ersten Bedeutung ist kein Diminut. gebräuchlich, in der zweyten und dritten kommt Kindchen im Singular nur im gemeinen Leben vor, der Plural Kinderchen ist auch in der vertraulichen Sprechart üblicher. In den folgenden Zusammensetzungen ist bald die erste einfache Endung Kind, bald die zweyte einfache Kindes, bald auch die zweyte vielfache Kinder gangbar.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1573-1575.
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