[126] Kind. Sorglos und unbefangen ruht es im Schooße der Mutter, nur mit der Ahnung des Daseins, unbewußt seiner Flüchtigkeit, angelacht von dem Morgenhimmel des Lebens, unempfänglich für den Ernst der Zukunft, für das Werdende, eine Blüthe der Gegenwart! Fern von ihm branden die Wogen der Ereignisse, nur goldene Lichter spielen in seinem Gesichtskreis, sein Wachen ist ein Lächeln, seine Ruhe der süßeste Schlummer, seine Thränen haben keine Bedeutung. Das Leben ist ihm der Eingang in eine Rosenlaube, hinter dunkeln Schleiern liegen die werdenden Tage; die Zukunft hat nichts Drohendes; noch gibt sie ihre Räthsel nicht auf, [126] noch fordert sie deren Lösung nicht; Sorge und Mühe, Schmerz und bittere Erfahrung treten ihm noch nicht entgegen, sein Lebensbild verdüsternd. Dieß Alles ist dem Jünglinge und der Jungfrau. dem Manne und der Mutter vorbehalten. Das Kind ist die Knospe, noch von keinem Sturm berührt, von keinem Nachtfrost getroffen; erst der geöffnete Blumenkelch fühlt schmerzhaft jede rauhe Berührung. Nach dem Bunten, dem Schimmernden hascht das Kind so gern, denn so liegt die ganze Welt vor ihm. Seine Arbeit ist Spielen, sein Nachdenken Ahnen, Träumen, Verlangen; die Sehnsucht ist unbestimmt, also nie geregelt, nie schmerzhaft, da sie nie aus der Tiefe der Seele, sondern nur von der Oberfläche der Phantasie heraufzittert. Lächeln folgt rasch den Thränen, wie im April der Sonnenschein dem Regen. Der kleine Schmerz laßt keine tiefe Spur zurück, das Gedächtniß ist eine Tafel, deren Züge sich leicht verwischen lassen. Und so gedeiht der junge Mensch vom Frühroth des Glückes, der Freude, der Unbefangenheit, der Sorglosigkeit angehaucht. Für ihn gibt es keinen Morgen, er faßt die schwere Bedeutung der Vergänglichkeit, des Todes nicht! Kaum träumt er am Anfange seiner Laufbahn vom Ziele derselben. Der Rosenschein, der ihn umdämmert, glänzt auch in alles Werdende hinein. »Selig sind die Kindlein,« sprach der Herr, »denn ihrer ist das Himmelreich.« Es ist ihr Eigenthum in irdischer und jenseitiger Beziehung. O, wer wieder ein Kind werden könnte! ruft oft der Mensch auf seiner rauhen Dornenbahn und die Erinnerung schwelgt in der unwiederbringlich verlorenen Zeit. Darum laßt den Kindern die Blumen und ihre Spiele; ihr Traum ist kurz, ihr Schmetterlingsleben flüchtig; bald rührt der Lebensernst an ihre Flügel, streift den Duft ab und ruft die Träumer wach in ein besonnenes Leben, voll Pflichten und Entbehrungen, voll Bestrebungen und Kampfe. Das Kind reist zur Jungfrau, zur Gattin, zur Mutter. Nur in der Pflichterfüllung blüht jetzt ihr Lohn, das Genossene will auch errungen sein, nur den Ermatteten labt Ruhe, nur den [127] Kämpfer der Siegeskranz! Aber durch alle Stadien des Lebens hindurch können wir uns die kindliche Reinheit, Unbefangenheit und Frömmigkeit des Gemüthes erhalten. Sie ist der Farbenduft auf den Blüthen, welche Geist und Herz abwechselnd treiben, ächte Kindlichkeit ziert auch die Jungfrau, sie beruht in der Reinheit des Herzens, in der Keuschheit der Gesinnung, in der Frische der Phantasie. Das kindliche Gefühl, die Liebe und Verehrung zu den Eltern bleibt guten Menschen stets eigen; die Kindesliebe ist nur ein Echo in der Brust der Erzeugten, dessen Ton aus der Brust der Erzeuger geklungen. Die Schuld, die wir unsern Eltern nicht abtragen konnten, tragen wir in der Regel an unsere Kinder ab. Die vollkommenste Harmonie in der Schöpfung finden wir zwischen liebenden Eltern und Kindern. Sie erzeugt Alles, was das Leben schön, friedlich und segensreich macht: Gehorsam, Vertrauen, Demuth, Ergebenheit, Treue und Anhänglichkeit bis über das Grab hinaus. Die unglückliche Maria Stuart, nach langer Hast aus ihrem Gefängniß entlassen, um sich unter den grünen Bäumen des Parks frei zu ergehen, hat im ersten Augenblicke des freudigen Rausches keinen andern Gedanken, als den an die Kindheit; sie ruft ihrer Begleiterin Hanna Kennedy jubelnd zu: »Laß mich ein Kind sein, sei es mit mir!«
n.
Brockhaus-1911: Kind [2] · Kind
DamenConvLex-1834: Kind, Friedrich
Herder-1854: Kind [2] · Kind [1] · Heinrich das Kind
Meyers-1905: Kind [1] · Kind [2] · Kind folgt der ärgern Hand · Kind und Kegel
Pataky-1898: Kölla-Kind, Frau W. Stäfa · Kind, Joh. Louise · Kind, Friederike Roswitha
Pierer-1857: Todtgeborenes Kind · Kind · Kind [2] · Angewünschtes Kind · Kind [1]