Rücken

[1187] Rücken, verb. reg. welches in doppelter Gestalt üblich ist.

I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, den Ort vermittelst einer kurzen vorüber gehenden Bewegung verändern, wo es nur von einer geringen Veränderung des Ortes auf Ein Mahl, welche in Einem oder mehrern Absätzen geschiehet, gebraucht wird. 1. Eigentlich. Der Hase rückt zu Holze, bey den Jägern, wenn er auf den Hinterläuften gleichsam rutschend in kleinen Absätzen zu Holze gehet, welches auch fahren genannt wird. Der Zeiger an der Uhr rückt immer weiter, so fern es dem Anscheine nach ruckweise geschiehet. Mit dem Stuhle näher rücken. Rücken sie näher, mit dem Stuhle. Freund rücke hinauf, Luc. 14, 10. Zusammen rücken. 2. Figürlich, von verschiedenen Arten langsamer Bewegungen. 1) Mit dem Gelde heraus rücken müssen, bezahlen müssen. Er muß heraus rücken, bezahlen. 2) Sich langsam fortbewegen; wo der Begriff der Bewegung in unterbrochenen Absätzen verschwindet, und nur der Begriff der Langsamkeit übrig bleibt. Die Sonne rückt immer höher. Die Zeit rückt heran. Die Bäume rücken, im gemeinen Leben, schlagen aus, rücken heraus, im Oberdeutschen drucken. Besonders von den langsamen Bewegungen eines Kriegsheeres oder eines zahlreichen Haufens lebendiger Geschöpfe. Gorgias nahm 5000 zu Fuß und rückte bey Nacht heimlich an der Jüden Lager, 1 Macc. 4, 1. Mit der Armee in ein Land, vor die Stadt rücken. Die Truppen rücken aus dem Lager, rücken in das Feld. Mit den Außenwerken in das Feld rücken, sie in das Feld hinein ausdehnen. Mit vorgesetzten t oder d sind im Oberdeutschen dafür drucken und trucken sehr üblich.


Das ersah sein geselschaft werd

Trückten ihm nach mit aller Macht,

Theuerd. Kap. 82.


So will ich mit dem andern Zeug

Nachdrucken,

Theuerd. Kap. 91. 3)


Höher rücken, höher befördert werden, einen höhern Grad der Würde erhalten.

II. Als ein Activum, auf solche Art fortbewegen, mit einem kurzen, vorüber gehenden Zuge oder Stoße von seinem Orte bewegen. 1) Eigentlich. Den Stuhl von seiner Stelle rücken. Den Tisch an die Wand rücken. Einem den Tisch rücken, mit mehrern bey ihm ungebethen zu Gaste kommen. Besonders sagt man es an einigen Orten von demjenigen Schmause, welcher nach bezogener neuen Wohnung gehalten wird, wo jeder von den Gästen sein Gericht Essen mitbringt. Den Hut in die Augen,[1187] aus dem Gesichte rücken. Den Topf näher zum Feuer rücken. Die Garne auf dem Vogelherde rücken, sie schnell in die Höhe ziehen. Das Pferd that einen Satz und rückte mich aus dem Sattel. Die Pferde rückten den Wagen auf einen abgehauenen Stamm. 2) In weiterer Bedeutung gebrauchte man es ehedem gern für ziehen, reißen u.s.f. überhaupt. Der Geist des Herrn rückte Philippum hinweg, Apostelg. 8, 39. Er rücket sie aus dem Feuer, Br. Jud. 23. Der uns aus der Noth geruckt, Opitz.


Wahr ists er (der Messias) ward verdruckt

Und aus dem Lande noch der Lebenden geruckt,

Opitz.


Ich weiß, daß mich der Tod ins Freudenleben rückt,

Can.


Jetzt kommt es in dieser Bedeutung wenig mehr vor. So auch das Rücken.

Anm. Im Oberdeutschen mit dem breitern u rucken, im Nieders. gleichfalls rucken, im Schwed. rycka, welches so wohl ziehen als auch rücken bedeutet, im Isländ. hrockva. Das verdoppelte k verräth ein Intensivum, wie es denn solches auch wirklich ist, und zwar von regen, ehedem auch ruchen, bewegen, welches in einer noch gelindern Form mit dem bloßen Hauche auch in eruere und trahere zum Grunde liegt, so wie mit eben diesem vorgesetzten d von rücken unser drücken und das Nieders. trecken, ziehen, abstammen. Ein anderes, aber nahe verwandtes Wort, ist das Nieders. wricken, sricken, hin und her drehen, wohin auch das Arab. rackraka, was sich hin und her beweget, gehöret. Beyde Zeitwörter, so wohl das Neutrum als das Activum, lauten im Oberd. und Nieders. rucken, im Hochdeutschen aber rücken, obgleich auch einige hier zuweilen der Oberdeutschen Form folgen. Freylich wäre es gut, und auch der Analogie nicht ganz zuwider, wenn man im Neutro rucken und im Activo rücken sagte. Allein da dieser Unterschied im Hochdeutschen nicht eingeführet ist, so wird er auch wohl nicht leicht allgemein werden können.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1187-1188.
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