Wunder, das

[1621] Das Wunder, des -s, plur. ut nom. sing. 1. Die Verwunderung, die Empfindung des Ungewöhnlichen; ohne Plural. In dieser größten Theils veralteten Bedeutung wird es nur noch ohne Artikel, und in einigen wenigen Verbindungen gebraucht, welche noch dazu im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart üblicher sind, als in der edlern. Sein Wunder an etwas sehen, etwas mit Verwunderung sehen, in den niedrigen Sprecharten, sein blaues Wunder an etwas sehen. Es nimmt mich Wunder, d.i. es wundert mich, verursacht mir Verwunderung. Es darf dich nicht Wunder nehmen, wenn es geschiehet. S. Nehmen. Ehedem gebrauchte man dafür auch, es hat mich Wunder. Esn schol eu doch nicht wunder han, Stryck, welches aber im Hochdeutschen veraltet ist. In Wunder ging ich hin zu ir, voll Verwunderung, Hans Sachs.

2. Der Gegenstand der Verwunderung. (1) In der weitesten Bedeutung, da eine jede ungewöhnliche oder seltene Sache, oder Erscheinung schon ein Wunder genannt wird. Es ist ein Wunder, ein großes Wunder, daß er nicht gestorben ist. Es wäre kein Wunder, ich verzweifelte, oder elliptisch, kein Wunder, ich verzweifelte. Sie hatte sich durch Tanzen erhitzt, und dann ists kein Wunder, wenn die Leidenschaft heftig wird. Komm, du sollst Wunder sehen! Ein Wunder von einem Kinde, ein ungewöhnliches Kind. Ein Wunder der Tugend, eine ungewöhnlich tugendhafte Person. Wunders halber, Wunders wegen, im gemeinen Leben, der Seltenheit, der Ungewöhnlichkeit wegen. Ich will doch Wunders halben hingehen, und sehen, was es ist. Wo es auch im gemeinen Leben adverbisch gebraucht wird. Ich bildete mir Wunder ein, was er mir würde zu sagen haben, ich bildete mir ein, er hätte mir recht viel zu sagen. Ich dachte Wunder, was es wäre, ich glaubte, es wäre etwas recht außerordentliches. Er dachte Wunder, was für ein Häschen ihn geleckt hätte, er glaubte, es wäre ihm recht sehr gütlich geschehen, er hätte einen vorzüglichen Vortheil gehabt, u.s.f. Ich dachte Wunder, wo sie wäre, ich glaubte, sie wäre an einem sehr ungewöhnlichen Orte. (2) In engerer Bedeutung, ein im höchsten Grade ungewöhnlicher, ein unbegreiflicher Gegenstand, wo doch das Wunder nach der jedesmahligen Fähigkeit der Person bestimmt werden muß.


Der Erdball ändert sich, das Meer entfliehet,

Und deckt uns Wunder auf,

Raml.


Welches Leben, auch das niedrigste und dunkelste, hat nicht seine Geheimnisse und Wunder, Gell. Von der belebenden Sonne bis zur kleinsten Pflanze sind alles Wunder, Gesn. (3) In der engsten Bedeutung sind Wunder Erscheinungen, oder Wirkungen, welche sich aus den bekannten Gesetzen der Natur nicht erklären lassen, und daher für eine unmittelbare Wirkung Gottes gehalten werden; da es denn aber wieder auf den Grad der Kenntniß der Naturkräfte ankommt. Je weiter der Mensch in dieser zurück ist, desto mehr Erscheinungen hält er für Wunder. Ein Wunder thun, oder wirken, eine solche Wirkung hervor bringen. Zeichen und Wunder, im biblischen Styl. S. auch Wunderwerk.

Anm. Bey dem Kero Vuntru, bey dem Ottfried Uuntar, im Schwed. Under, Isländ. Undr, im Angels. Wundra, im Engl. [1621] Wonder. S. Wundern. Im gemeinen Leben wird es häufig den Adjectivis und Adverbiis vorgesetzt, einen ungewöhnlich hohen Grad zu bezeichnen: wunderschön, wunderklug u.s.f.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1621-1622.
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