Ariadne

[78] Ariadne. (Mythol.) Die Athenienser mußten dem Minos, wegen der Ermordung seines Sohnes Androgens, jährlich sieben der schönsten Knaben und eben so viel der schönsten Mädchen als Tribut nach Kreta schicken, wo sie in dem Labyrinthe dem Minotaurus (einem Ungeheuer, halb Mensch und halb Stier, welches daselbst eingeschlossen war) zur Beute wurden. Theseus, ein Sohn des Aegens, stellte sich freiwillig unter die Zahl der Jünglinge, die als Opfer für den Minotaurus eben eingeschifft werden sollten, in der Hoffnung, daß er, der schon mehrere Heldenthaten gethan, auch dieses Ungeheuer eregen [78] werde. Das Orakel, das er vorher um Rath fragte, gab ihm zur Antwort, er werde glücklich sein, wenn er die Liebe zur Führerin wählte. Als nun die übersandten Opfer, und unter diesen auch Theseus, dem König Minos vorgestellt wurden, so machte der Anblick dieses Helden auf Ariadnen, die Tochter des Minos, einen tiefen Eindruck – und Theseus wählte die Liebe zur Führerin. Ariadne gab ihm einen Knaul, mittelst dessen Faden er sich aus dem Labyrinthe wieder heraus finden konnte, und mehrere Rathschläge, wodurch er glücklich das Ungeheuer erlegte. Ariadne entfloh nun mit ihrem Thesens. Auf Naxos, wo sie landeten, verließ sie letzterer auf Befehl der Götter, weil Ariadne dem Bacchus selbst eine Neigung eingeflößt hatte, der sich mit ihr vermählte und die Krone von ihrem Haupte an den Himmel warf, wo sie als ein Sternbild glänzt. Nach einigen soll es zwei Ariadnen gegeben haben; die älteste soll an den Bacchus verheirathet worden, und die andere diejenige sein, welche Theseus entführt und verlassen habe. – Von dem Knaul, wodurch sich Theseus aus dem Labyrinthe fand, ist die bekannte Redensart von dem Faden der Ariadne entstanden, wenn man von einer verwickelten Sache spricht, aus der sich nur auf eine ähnliche Art heraus zu finden ist. – Die alten Künstler haben diesen Stoff oft bearbeitet. Man hat eine Ariadne unter den herkulanischen Gemählden gefunden, und Lippert hat uns mehrere Denkmähler dieser Geschichte auf geschnittenen Steinen geliefert.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 78-79.
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