Die Hauptstadt Neapel

[226] Die Hauptstadt Neapel, die königliche Residenz, mit fünf Castellen und einem Hafen, liegt an einem sehr angenehmen Meerbusen, und ist die größte Stadt in Italien. Sie zählt 400,000 Einwohner. Die Häuser sind überaus hoch, und der Geschmack in der Baukunst fällt zu Neapel in das Sonderbare und Abenteuerliche; doch giebt es auch Gebäude von edlerm Styl, worunter vorzüglich der königliche Pallast zu rechnen ist, den ehedem die Vicekönige bewohnten. Die beiden größten, schönsten und lebhaftesten Straßen Neapels sind die Straße Monte Oliveto und die [226] Straße Toledo. In der erzbischöflichen Domkirche befindet sich das Blut des heil. Januarius (s. d. Art.), und in der Kirche San Severo ist einer von den Eingängen zu den berühmten Neapolitanischen Catacomben (s. dies. Art.). Uebrigens hat Neapel eine Universität, mehrere Sammlungen, (unter denen sich das Cabinet des Campo di Monte, welches große Schätze an geschnittenen Steinen, Gemählden u. a. enthält, die Sammlungen des Ritters Hamilton u. a. auszeichnen) u. nicht unbeträchtliche Fabriken, vorzüglich von Seide, Galanteriewaren, Macaroni, Porcellan u. s. f. die dasige Handlung könnte jedoch weit blühender sein. Die Neapolitaner werden als im Ganzen zwar gutartige, aber höchst eingeschränkte und sinnliche Menschen geschildert. Merkwürdig ist übrigens Neapel als das Vaterland der Castraten, der Hauptsitz der Banditen, der einzige Ort in der Welt, wo das berüchtigte Gift Aqua Tofana verferrigt wird (s. d. Art. Banditen und Aqua Tofana), endlich als der einzige Wohnplatz der Lazaroni. Die Lazaroni sind Menschen, die weder Stand, Beschäftigung, Eigenthum noch Wohnung haben, sich durch die äußerste Dürftigkeit und Mäßigkeit auszeichnen, und dessen ungeachtet in einer gewissen Verbindung leben, trotz der zahlreichen Haufen aber, die sie bilden – man zählt deren 60,000 –, dennoch äußerst gutherzig und geduldig sind. Die große Wohlfeilheit, welche in Neapel herrscht, das heiße Clima (zwei Ursachen, aus welchen eine solche Art Menschen vielleicht nirgends in der Welt weiter würden existiren können) und die Trägheit haben diese Menschenclasse erzeugt, für deren äußerst geringe Bedürfnisse der kleinste Gewinn hinreichend ist, den sie auf mannigfaltige Art (durch Tragen, Boten gehen u. s. f.) erlangen. Bei den im vor. Art. erwähnten großen Rüstungen wider die Franzosen erklärten sich die Lazaroni bereit, ihren letzten Blutstropfen für den König zu lassen. Die Fastnachtszeit wird in Neapel sehr angenehm gefeiert. Die Presepioʼs, oder Vorstellungen des Bethlehemitischen Hauses, zeichnen sich daselbst durch ihre Pracht aus; manches davon kostet 9 – 12,000 Thaler. – Aeußerst wichtig sind übrigens die Merkwürdigkeiten, die sich in der Nähe von Neapel befinden, unter denen ich den Vesuv (dritthalb bis drei Stunden [227] von Neapel, bis zum Crater gerechnet), Herculanum, und gerade darüber Portici mit einem königlichen Pallast und den Herculanischen Alterthümern (eine Deutsche Meile von Neapel), Pompeja (zwei Deutsche Meilen davon), Pästum (in einer Entfernung von drei Tagereisen), die berühmte Höhle von Pausilippo, auf dem Wege der von Neapel nach Puzzoli führt (ein kühnes auf Befehl des Agrippa unternommenes Werk, den Berg zu durchbrechen, an deren Eingange ein mit Lorbern bewachsener Ort ist, denn man für Virgils Grab hält, welches aber noch manchem Zweifel unterworfen ist), auszeichne. (S. die Art. Vesuv, Herculanum, Pompeja.)

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 226-228.
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