Neapel

Neapel

[252] Neapel oder Napoli, die Haupt- und Residenzstadt des Königreichs beider Sicilien und die reichste und bevölkertste Stadt von ganz Italien, hat 357,000 Einw. ohne die dort verweilenden Fremden und liegt in der Terra di Lavoro, am kleinen Flusse Sabeto zwischen dem Vesuv im O. und dem Posilippo im W., im Hintergrunde des herrlichen Golfs oder Meerbusens von N., vor welchem die Inseln Procida mit 12.000 Einw., bemerkenswerth durch die altgriech. Tracht der Frauen und die Regsamkeit seiner Seeleute, Capri (s.d.) und Ischia (s.d.) in den blauen Fluten prangen.

Das Klima ist reizend, mild und gesund, die Gegend unvergleichlich schön und fruchtbar und geschichtlich ausgezeichnet wegen der vielen Erinnerungen aus dem classischen Alterthume, daher der Neapolitaner im Bewußtsein aller dieser Vorzüge seiner Heimat diese ein auf die Erde versetztes Stück Himmel heißt oder stolz ausruft: »Sieh Neapel und dann stirb!« Die Stadt gewährt vom Golfe aus gesehen mit ihren sechs Castellen, unter denen das den Vordergrund der nebenstehenden Ansicht einnehmende Castel nuovo nebst dem Castel d'uovo (dessen Name von seiner eiförmigen Gestalt hergenommen ist) die Stadt von der Seeseite vertheidigt, das im Hintergrunde der Abbildung auf der Höhe thronende San-Elmo aber die ganze Stadt beherrscht, einen herrlichen Anblick, ist aber wegen ihrer beschränkten Lage zwischen dem Meere und den Bergen sehr unregelmäßig gebaut, hat daher auch enge Straßen und nur die berühmte Toledostraße macht eine Ausnahme. Diese ist beinahe eine Stunde lang, sehr breit, vortrefflich gepflastert, hat eine Menge Paläste und das Wogen des Volks auf ihr erinnert vom frühen Morgen bis zum späten Abend an das Gedränge einer Messe. Von öffentlichen Plätzen, die sich nicht durch Regelmäßigkeit auszeichnen, ist der stark besuchte Mercatoplatz, wo der Hohenstaufe Konradin hingerichtet wurde und von je Volksbewegungen ihren Anfang zu nehmen pflegten, der merkwürdigste. Die beliebtesten Spaziergänge, welche nie leer werden, indem der Neapolitaner, dessen Stadt schon im Alterthume Otiosa, die müßige, benannt wurde, noch jetzt das müßige Umherschlendern liebt, sind die am Meere sich hinziehenden Straßen Chiaja und Sta.-Lucia, welche von Baumreihen beschattet werden und mit Springbrunnen, Bildsäulen und Rasenplätzen geziert sind; auch der Molo oder Hafendamm, auf welchem sich ein Leuchtthurm erhebt, wird vom Volke häufig besucht, weil hier besonders die zahlreichen Taschenspieler und Stegreifdichter ihre Künste und Improvisationen zum Besten geben. In Bezug auf Baukunst steht N. hinter den übrigen bedeutenden Städten Italiens sehr zurück und man findet mit Ausnahme des Finanzpalastes in der Toledostraße beinahe kein Gebäude, das in edlem Style aufgeführt wäre. Alles ist unregelmäßig, fern von Einfachheit und mit Verzierungen überladen; die Kirchen sind im Innern überreich mit Gold, auch theilweise mit guten Gemälden verziert. Der königl. Residenzpalast selbst ist nur wegen seiner Größe und der reichen Verzierungen der Gemächer bemerkenswerth; neben dem königl. Palaste Capo di Monte, welcher die Stadt überblickt, befindet sich die Cascina, eine reizende ländliche Anlage; in dem Gebäude Degli Studj sind die bourbonische Bibliothek, die Museen, die wichtigsten und werthvollsten Sammlungen und eine Kunstschule; im Castel Capuano residirten vormals die Könige, jetzt aber hält dort das Obergericht seine Sitzungen. Erst vor einigen Jahrzehnten aufgeführt wurden das San-Carlotheater, welches 2500 Personen faßt und eines der größten und prächtigsten in Europa ist, und der Palast der königl. Ministerien. Klöster zählt N. 149, darunter das Dominikanerkloster, in welchem einst der h. Thomas von Aquino lebte. Ein ehemaliges Karthäuserkloster S.-Martino, auf einem Berge unter dem Castel San-Elmo gelegen, dient jetzt zum Invalidenhause. Von den 122 Kirchen ist die mit 110 Säulen von afrik. Granit und Marmor gezierte Domkirche, welche dem Schutzpatrone der Stadt, dem h. Januarius (s.d.) gewidmet ist, die vorzüglichste und 1299 erbaut, hat aber ihren ursprünglichen gothischen Charakter großentheils eingebüßt. Erwähnen müssen wir noch der Katakomben, welche sich in drei Stockwerken untereinander, von denen aber das unterste verschüttet ist unter dem nördl. Theile der Stadt befinden; sie dienten noch in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung [252] zu Begräbnißplätzen und sind wol die größten unterirdischen Grabgewölbe.

Mit der Volksbildung der Neapolitaner steht es im Allgemeinen sehr schlecht, ungeachtet 50 Elementarschulen in N. vorhanden [253] sind und auch sonst an Bildungsanstalten keineswegs Mangel ist; von diesen letztern nennen wir die Universität, die paläographische Schule mit dem Archive des Königreichs, das Instituto oder die Schule für Maler und Bildhauer, die Kriegs-, Marine- und Thierarzneischule u.s.w. Der botanische Garten ist berühmt und unter den vier öffentlichen Bibliotheken die bourbonische eine der reichsten in Europa; sehr zahlreich sind die Musikschulen. Von den im Palaste Degli Studj vereinigten Sammlungen müssen wir vor Allem das königl. Museum der Alterthümer namhaft machen, in welchem alle werthvollen Gegenstände niedergelegt sind, die zu Herculanum, Stabiä und Pompeji ausgegraben wurden, sowie ferner viele Schätze aus dem Palaste Farnese in Rom (z.B. der Farnese'sche Hercules, die Farnese'sche Flora, die Reiterstatuen der beiden Balbus, die Venus Kallipygos, eine Menge hetrurischer Vasen u.s.w.); auch hat es die zahlreichste Sammlung von Wandgemälden aus dem Alterthume.

N. ist der Sitz eines Erzbischofs, ansehnlicher Wohlthätigkeitsanstalten und milder Stiftungen und besitzt fast den ganzen Handel des Königreichs. Unter der Bevölkerung von N. sind mehr als 2000 Advocaten, Pagliatti, d.h. Strohhüte, genannt, und etwa 50,000 Lazzaroni oder Leute ohne Habe, die von Dem leben, was der Zufall ihnen gibt und deren Trägheit, jedoch nicht ganz mit Recht, sprüchwörtlich geworden ist. Viele derselben haben keine Wohnungen, da das milde Klima unter freiem Himmel zu übernachten erlaubt; sie verrichten, wenn die Noth treibt, Tagelöhnerarbeiten, leben jedoch sehr mäßig. Die im Hafen arbeitenden sind indeß in neuerer Zeit thätiger geworden, haben angefangen, Hemden und wenn es kalt ist, braune wollene Mäntel zu tragen, haben sich auch feste Wohnungen zugelegt. Eine so zahlreiche Bevölkerung von Müßiggängern, die nichts zu verlieren haben, ist für die öffentliche Ruhe sehr gefährlich, und die Geschichte zählt mehr als 50 Empörungen N.'s auf, obwol jetzt die Stadt den Beinamen der allergetreuesten führt. Übrigens ist der Lazzarone ein gutmüthiger Mensch und mit der ganzen Welt zufrieden, wenn er Maccaroni, Eiswasser und Orangen hat. Es steht daher um die öffentliche Sicherheit, nach ital. Begriffen, in N. ziemlich gut, obwol die Policei nur sehr wenig dafür thut. Die junge Generation lernt auch schon lesen und schreiben. Unter den höhern Ständen herrscht im Allgemeinen Sinn für Wissenschaften und Künste, aber auch große Unsittlichkeit. Der Bürgerstand ist besonders seit der franz. Herrschaft gewerbsamer geworden; er treibt bedeutenden Handel mit Landesproducten, und unter den Fabriken sind die in Gold-, Silber-, Seide-, Sammt-, Porzellan-, Fayence-, Lavaarbeiten u.s.w. beträchtlich. Die neapolitanische Bank hat ein Capital von 60 Mill. Ducati.

Die wichtigsten Punkte in den Umgebungen N.'s sind westl. der Berg Posilippo mit seiner prachtvollen Galerie oder Grotte, einer durch den Berg gehauenen, 700 Schritt langen Fahrstraße, und den Ruinen von Virgil's Grabmale; die Stadt Pozzuoli mit 8000 Einw., in reizender Lage, mit vielen Alterthümern, z.B. einem alten Amphitheater, dem Averner- und 1538 durch ein Erdbeben meist verschütteten Lucrinersee, der Hundsgrotte, dem See von Agnano; die Solfatara, ein Hügel, der fortwährend Schwefel ausdünstet; der Montenuovo, ein Berg, welcher 1538 in einer Nacht entstand; Bajä, am Vorgebirge Misenum, jetzt ein öder Ort, in dessen Nähe aber die vielen Ruinen, womit die Küste bedeckt ist, auf alten Glanz deuten, denn hier hauen die reichen Römer prachtvolle Landhäuser; die Ruinen von Cumä und die Grotte der Sibylle. Alle diese Punkte liegen westl. von N.; östl. dagegen finden wir: Portici, eine Sadt mit 5000 Einw. und das damit zusammenhängende Dorf Resina, in dessen Nähe der berühmte Wein lacrymae Christi wächst; die Ruinen von Herculanum (s.d.) und Torre dell' Annunziata in der Nähe des verschütteten Pompeji. Weiter entfernt liegen Castellamare auf den Ruinen von Stabiä, und Sorrento, Torquato Tasso's Geburtsort.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 252-254.
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