Flut

[615] Flut heißt die merkwürdige, tägliche und regelmäßige Bewegung des Meeres, dessen Wasser zur Flutzeit zweimal des Tages ungefähr 6 St. lang allmälig steigt und während der Ebbe ebenso zweimal etwa 6 St. lang wieder fällt. An flachen Küsten bedeckt und verläßt daher das Meer abwechselnd eine Strecke derselben, und während die Ebbe den Abfluß der hineinmündenden Flüsse begünstigt, stockt derselbe während der Flut, die deshalb auch in großen Strömen sehr weit landeinwärts, in der Elbe bis auf 20 M. an der Stauung des Wassers bemerkbar wird. Die Veranlassung dieser wichtigen Naturerscheinung ist die Anziehungskraft (s.d.), welche die Sonne, hauptsächlich aber der nähere Mond auf die Erde ausüben, deren flüssiger Theil, also das Wasser, derselben etwas nachgiebt, d.h. immer nach den Gegenden hin gedrängt wird, über welchen der Mond sich am Himmel befindet, und wieder abfließt, wenn die Anziehung aufhört. Die erste Flut an einem Orte tritt indessen nicht mit der größten Nähe des Mondes oder mit dem Eintritte desselben in den Mittagskreis eines Ortes ein, sondern beinahe 3 St. später, ebenso die zweite, nachdem der Mond durch die entgegengesetzte Seite desselben Mittagskreises gegangen, also von dem angenommenen Orte am weitesten entfernt ist. Dieser ist dann auch am wenigsten der Anziehungskraft des Mondes ausgesetzt, welche vielmehr auf den ihm entgegengesetzten Punkt der Erde zunächst einwirkt; indem aber dadurch hier das Meer sich über die Erde zu erhöhen sucht und eine Flut entsteht, wird der andere vom Monde am wenigsten angezogene Ort das Bestreben äußern, hinter seinen Umgebungen zurückzubleiben, das Meer wird sich ebenfalls vom Mittelpunkte der Erde zu entfernen suchen und daher ebenfalls eine Flut hervorbringen. Die heftigsten Fluten, denen auch die niedrigste Ebbe folgt. treten ein, wenn Sonne und Mond zusammenwirken, wie wenn Neumond ist und im Winter, wo die Sonne der Erde am nächsten steht, die schwächsten, wenn die Wirkungen beider Weltkörper auf die Erde sich kreuzen, wie beim ersten und letzten Viertel. Ebbe und Flut sind für jeden Punkt der Erde um so höher, je näher derselbe dem Äquator liegt, nach N. und S. nehmen beide Erscheinungen immer mehr ab und unter einer Breite von 65 Graden werden sie ganz unmerklich. Die Lage und Beschaffenheit der Küsten, Inseln, Strömungen und Winde haben übrigens großen Einfluß auf Ebbe und Flut, die im Allgemeinen mitten im Weltmeere beiweitem unbedeutender sind, als in Gegenden, wo es von hohen Ufern eingeengt wird. Am Vorgebirge der guten Hoffnung und bei der Insel St.-Helena im atlant. Meere steigt die Flut z.B. nur gegen 3 F., bei den canarischen Inseln und den Azoren gegen 8 F., an der Mündung des Amazonenstroms in Südamerika aber 30 F, an den vom atlant. Meere bespülten franz. Küsten gegen 40 F., bei Boulogne und Calais dagegen nur 18–19 F. In Meeren, die blos durch Meerengen mit dem Weltmeere in Verbindung stehen, bemerkt man wenig oder gar nichts von Ebbe und Flut, wie z.B. in der Ostsee; auch im mittelländ. Meere verändert sich der Wasserstand an einigen Küsten nur um 1 F. und in abgeschlossenen Meeren, wie im kaspischen, gar nicht.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 615.
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