Hercules

Hercules

[373] Hercules (griech. Herakles), der berühmteste Heros des griech. Alterthums, war ein Sohn des Jupiter und der Alkmene, einer Sterblichen, welche an den Amphitryon, König von Theben, Enkel des Perseus und Sohn des Alcäus, verheirathet war.

Nach dem Letztgenannten wurde dem H. der Beiname der Alcide gegeben. Jupiter hatte sich der Alkmene in der angenommenen Gestalt des Amphitryon genaht und nachmals gebar dieselbe Zwillinge, den H., welcher ein Sohn des Jupiter, und den Iphiclus, welcher ein Sohn des Amphitryon war. Kurz vor der Geburt des H. erklärte Jupiter in der Versammlung der Götter: der Nächstgeborne aus dem Stamme des Perseus solle Herr sein über alle übrigen seines Geschlechts. Die eifersüchtige Juno durchschaute indeß die Absichten des Jupiter und wußte zu bewirken, daß noch vor H. Eurystheus, gleichfalls ein Enkel des Perseus, durch Frühgeburt zur Welt kam. So wurde H. durch den Eid des Jupiter dem Eurystheus unterthänig. Schon in der Wiege bezeugte H. seine göttliche Abstammung. Juno nämlich schickte zwei Schlangen, ihn zu verderben, er aber faßte sie bei den Köpfen und erwürgte sie. Eine Sage erzählt auch, Minerva habe durch List die Juno bewogen, den ihr unbekannten Knaben an die Brust zu legen; mit der Milch der Göttin habe er Unsterblichkeit getrunken, aber so heftig habe er angesogen, daß, als ihn die Juno schnell wieder weggelegt, aus der dabei vergossenen Milch nach Einigen die Milchstraße, nach Andern die Lilien auf der Erde entstanden wären. H. hatte ausgezeichnete Lehrer, den Linus aber, welcher ihn in den Wissenschaften und Künsten unterrichtete, erschlug er, als er ihm beim Lyraspiel einen allzu harten Verweis ertheilte. Er hütete nachmals bis zum 18. Jahre die Heerden des Amphitryon, und hier war es, wo ihm zwei überirdische Gestalten erschienen, von denen ihn eine jede ihr zu folgen auffoderte. Die eine war von verführerischen Reizen, üppig gekleidet und versprach dem H. ein müheloses, an Genüssen reiches Leben; ihre Freunde, sagte sie, nennten sie Glückseligkeit, ihre Feinde Laster. Die zweite Gestalt war die Tugend; edel und sittsam war ihr Äußeres und ihr Versprechen: H. werde, ihr nachfolgend, in allem Edlen und Großen ein tüchtiger Meister werden und durch Anstrengung das wahrhaft Beste erlangen, welches die Götter nur nach Mühe und Arbeit als Preis gäben. H. folgte [373] der Tugend und wurde ein leuchtendes Vorbild mannhaften Heldenthums für alle Zeiten. Noch jetzt ist der »Hercules am Scheidewege« sprüchwörtlich. Zuerst zeichnete sich H. aus durch die Erlegung eines Löwen am Berge Kithäron und dadurch, daß er seine Vaterstadt Theben nicht nur von einem Tribut befreite, welchen es an Orchomenus hatte zahlen müssen, sondern auch diese Stadt zwang, künftig den Thebanern Tribut zu geben. Kreon, der König von Theben, gab dem H. für diese That seine Tochter Megara zur Gemahlin, welche ihm mehre Kinder gebar. Jetzt aber war die Zeit gekommen, wo Eurystheus, König von Mycene, den H. in seinen Dienst berief. Vergebens wendete sich dieser an das Orakel zu Delphi; dasselbe entschied: er habe zwölf Abenteuer zu bestehen, die ihm Eurystheus auferlegen würde. So tief ergriff den Helden der Gedanke der Erniedrigung unter den schwächern Mann, daß er in Raserei gerieth und in dieser seine eignen Kinder umbrachte. Aber er kam wieder zu sich, bereuete seine schwere That, sühnte die Blutschuld und ging hin, den Willen der Götter zu erfüllen. Juno soll dem Eurystheus die zwölf ungeheuren Arbeiten eingegeben haben, welche dieser dem H. auferlegte und welche H. als Sieger bestand. Er mußte 1) mit dem nemëischen Löwen kämpfen, welchen keine Waffe zu verwunden vermochte. Er griff ihn erst mit seiner Keule an. die er aus einem Olivenstamm vom Berge Helikon sich gefertigt hatte, und erwürgte ihn dann mit den Händen. Das Fell dieses Löwen diente dem H. von nun an zur Bedeckung. Noch anstrengender war 2) der Kampf mit der lernäischen Schlange, denn diesem Ungeheuer mit 50 Köpfen wuchsen stets, wenn ein Haupt heruntergeschlagen war, zwei neue. Da ließ H. durch seinen Gefährten Jolaus einen Wald in Brand stecken und indem er die gehauenen Wunden ausbrannte, verhinderte er das Nachwachsen der Köpfe. Der mittelste Kopf war unsterblich und diesen vergrub H. in die Erde und bedeckte ihn mit einem Felsen. In das giftige Blut der Schlange tauchte H. die Spitzen seiner Pfeile. Während des Kampfs hatte Juno der Schlange einen gewaltigen Krebs zu Hülfe geschickt; auch diesen tödtete H. 3) Eine Hindin der Diana mit goldenen Hörnern und ehernen Füßen jagte er müde und fing sie lebendig. 4) Er fing den erymanthischen Eber, welcher Arkadien verwüstete, und brachte ihn lebendig zum Eurystheus, der sich aus Furcht in ein ehernes Faß verkroch. 5) Des Augias Ställe, in welchen 2000 Stiere seit langer Zeit standen, reinigte er in Einem Tage von Mist, indem er den Fluß Peneus durch ihn leitete. 6) Die am See Stymphalus in Arkadien hausenden stymphalischen Vögel, welche von Menschenfleisch lebten, verjagte H. mit einer von der Minerva ihm geschenkten ehernen Klapper. 7) Auch den Stier auf Kreta welchen Neptun aus dem Meere hatte aufsteigen lassen, der Feuer schnaubte und gräßliche Verheerungen anrichtete, brachte H. lebendig zum Eurystheus. 8) Die Menschenfleisch fressenden, Feuer sprühenden Rosse des thracischen Königs Diomedes eroberte H. und brachte sie nach Mycene. 9) Die Amazonenkönigin Hippolyta war wegen ihrer Tapferkeit hochberühmt; H. besiegte sie im Zweikampfe und brachte ihr Wehrgehenk, welches Eurystheus für seine Tochter Admete begehrt hatte. 10) Die Rinder des Geryon, eines Riesen mit drei Leibern, welcher eine Insel in der Nähe des jetzigen Spaniens beherrschte, holte H. und halte dabei nicht nur mit Geryon, sondern auch mit dem Wächter der Rinder, dem Riesen Eurytion und dessen zweiköpfigem Hunde Orthros, sowie mit einem siebenköpfigen Drachen zu kämpfen. 11) Die goldenen Apfel der Hesperiden (s.d.), welche ein immer wacher funfzigköpfiger Drache bewachte, holte H., nachdem er den Drachen erschlagen. Auch heißt es, Atlas (s.d.) habe dem H. die köstlichen Früchte geholt und indeß habe H. die Axen der Welt getragen. Die gewaltigste Arbeit des H. aber war die, daß er 12) den Cerberus aus der Unterwelt herauf und wieder in dieselbe hinabbrachte. Cerberus war der vielköpfige Hund, welcher die Pforten der Unterwelt bewachte, der auf dem Rücken statt der Haare Schlangen und statt des Schwanzes einen Drachen hatte. Pluto, der Herrscher der Unterwelt, erlaubte dem H., den Cerberus zu fangen, aber ohne Waffen. Durch solche übermenschliche Thaten entzog sich H. der Dienstbarkeit und versöhnte die ihm zürnende Juno. H. durchzog, seine Thaten vollbringend, den ganzen (den Griechen bekannten) Erdkreis. Er kam bis zu der Meerenge, durch welche das Mittelmeer einströmt, dem jetzigen Vorgebirge von Gibraltar (s.d.), und errichtete sich hier in den Felsen Calpe und Abyla, in Afrika und Europa, zwei Denksäulen, die Säulen des Hercules. Außer den berühmten zwölf Arbeiten des H. werden aber noch eine große Anzahl anderer, sogenannte Nebenwerke desselben, angeführt, welche zum Theil nicht minder abenteuerlich und schwierig als die angegebenen sind. So soll er den Prometheus (s.d.) befreit, die Alcestis, welche, um ihrem Gemahl Admet das Leben zu retten, für ihn gestorben, aus der Unterwelt herausgeholt, den Dreifuß aus dem delphischen Heiligthume genommen und wegen desselben mit dem Apollo gerungen, an dem Argonautenzuge Theil genommen haben u.s.w. Den Dreifuß des Apollo raubte H., weil ihm das Orakel die Heilung von seiner zu Zeiten wiederkehrenden Raserei versagt hatte. Er erhielt endlich das Versprechen, geheilt zu werden, wenn er sich auf drei Jahre als Sklave verkaufen ließ. Mercur verkaufte ihn nun an Omphale, die Königin der Lydier, zu welcher H. eine so innige Liebe faßte, daß er willig Keule und Löwenhaut weglegte und am Spinnrocken Frauenarbeit verrichtete. Der große Held hatte indeß wenig Glück in der Liebe; diese wurde endlich die Ursache seines Todes. Durch Tapferkeit hatte er die schöne Dejanira, des Königs von Kalydon Oeneus Tochter, zur Gemahlin gewonnen. Als er mit ihr über den Fluß Evenus setzte, trug sie der Centaur Nessus und erlaubte sich Unziemlichkeiten, welche den H. so erbitterten, daß er den Nessus mit einem seiner vergifteten Pfeile niederschoß. Der Sterbende dachte noch an Rache und rieth der Dejanira, ein Gewand in sein Blut zu tauchen und dieses Gewand dem H. zu geben, wenn sie für seine Liebe zu fürchten hätte, das Herz des H. würde sich ihr dann wieder zuwenden. Die Unglückliche folgte seinem Rathe. Nachdem H. an Eurytus, König von Öchalia, welcher ihm einst seine Tochter Jole verweigert hatte, als er sie zur Ehe begehrte, Rache genommen, den König selbst und seine Söhne getödtet, die Jole aber gefangen weggeführt, und, um dem Jupiter feierlich zu opfern, an Dejanira nach einem Festkleide gesendet hatte, schickte ihm diese das Gewand mit dem Blute des Nessus. Kaum hatte es H. angelegt, so fraß das Gift, welches sich von dem Pfeile des H. dem Blute des Nessus mitgetheilt hatte, in sein Fleisch ein und er riß dieses mit dem Gewande ab. Dejanira [374] erfuhr, was sie gethan, und erhing sich; H. aber begab sich auf den Oeta, errichtete einen Holzstoß, gab dem Philoktet, seinem Waffengefährten, Bogen und Pfeile und verbrannte sich. Sein Schatten ging in die Unterwelt, sein Unsterbliches aber trug unter Donnergetöse eine Wolke empor. Mercur und Iris brachten ihn in den Olymp, wo ihn die Götter empfingen und die versöhnte Juno ihm ihre Tochter Hebe, die Göttin ewiger Jugend, zur Gemahlin gab. Auf Erden hinterließ H. viele Nachkommen, die berühmten Herakliden, welche aus dem Peloponnes vertrieben wurden, aber, nachdem sie mehrmals zurückgeschlagen, endlich (im dritten Geschlecht) denselben eroberten und sich in denselben theilten. Von ihnen flammten die spartan. Könige. (Vgl. Griechenland.)

H. wurde im Alterthum vielfach verehrt, Tempel und Bildsäulen wurden ihm errichtet, Feste gefeiert und seine Thaten in festlichen Gesängen, sogenannten Herakleen, besungen. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Oberägypten, Phönizien u.s.w. wurde H. verehrt. Die Erklärer unterschieden daher später verschiedene Gottheiten dieses Namens, doch wurden alle Mythen auf den griech. und theban. H. bezogen. Bei den Ägyptern stand er im höchsten Ansehen, und da die ältesten Religionen sämmtlich aus Naturanschauung hervorgegangen, so ist nicht unwahrscheinlich, daß H. und seine zwölf großen Thaten ursprünglich nichts Anderes vorstellen, als die Sonne im Durchgang durch die zwölf Zeichen des Thierkreises. Auch andere Sagen schließen sich dieser symbolischen Deutung an. Nach dem kraftvollen Göttersohne (oder nach der Stadt Heraklea) wurde auch der wundersam kräftige Magnetstein im Alterthume der heraklëische Stein genannt. Die Alten haben den H. in unzähligen Bildwerken in den verschiedensten auf seine Thaten und Schicksale bezüglichen Situationen dargestellt. Keule und Löwenhaut sind seine charakteristischen Attribute. Er ist ein Musterbild der Mannskraft; kräftiger Nacken und die gewölbte löwenartige Stirn zeichnen ihn aus.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 373-375.
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