Policei

[523] Policei, Policeiwissenschaft. Über den Begriff dieser Worte haben sich bisher die Gelehrten noch nicht vereinigen können, und auch im gewöhnlichen Leben herrschen die verschiedenartigsten Ansichten über die Aufgabe und den Umfang der policeilichen Thätigkeit. Oft verstand man jede Handlung darunter, wodurch der Staat durch Aufsicht, Controle und nöthigenfalls durch Zwang auf den Gebrauch, den die Staatsbürger von ihren Rechten und Gütern machen, einwirkt. Man verwies Alles, was nicht offenbar Sache der Justiz-, Finanz- und Militairverwaltung war, in das Gebiet der Policei, woraus ein sehr verderbliches und fortwährendes Eingreifen in den Privatverkehr entstehen mußte, und die Policei der naturgemäßen Entwickelung des Volkslebens hinderlich, sowie allen Freunden einer gesetzmäßigen Freiheit verhaßt wurde. Andere erkannten in der Policei diejenigen [523] Veranstaltungen, wodurch der Staat in allen verschiedenen Äußerungen seiner Thätigkeit darauf hinwirkt, daß wirklich geschehe, was er sich vorgesetzt hat, daß also die Erfüllung der Regeln und Vorschriften, welche er für die Staatsverwaltung und zur Nachachtung der Staatsbürger gab, keine Hemmnisse finde. Man kann in dieser Beziehung von einer Post-, Münz-, Forst-, Berg-, Wege-, Militairpolicei u.s.w. sprechen. Indeß vereinigen sich mehr oder weniger die neuern Ansichten dahin, daß die Policei alle Verfügungen und Anstalten umfasse, wodurch unmittelbar entweder Übel, die der bürgerlichen Gesellschaft drohen, abgewendet, oder wohlthätige Zwecke für dieselbe erreicht werden sollen. Sie verstehen darunter diejenigen Einrichtungen im Staate, wodurch die Zwecke desselben, Recht und Wohlfahrt, unmittelbar geschützt und befördert werden. Daher die Eintheilung in Sicherheits-, Ordnungs- oder Zwangspolicei, welche den Rechtszustand schützen, und in Cultur- und Wohlfahrtspolicei, welche die unmittelbare Abwendung von Schaden an Gut und Leben der Staatsangehörigen bezweckt. Die Policeiwissenschaft ist dann die Lehre von den Mitteln und Wegen, jene Zwecke zu erreichen. Die Zwangspolicei grenzt nahe an das Gebiet der Justizpflege und tritt zuweilen selbständig, zuweilen aber nur hülfeleistend auf. Selbständig untersucht und bestraft sie leichtere Vergehen, sogenannte Policeivergehen, wogegen sie bei schweren Vergehen und Verbrechen der Justiz zur Entdeckung und Bestrafung hülfreiche Hand leistet. Im Bezug auf das Gebiet der Policei muß man den Gesichtspunkt festhalten, daß sie es nur mit gesetz- und ordnungswidrigen Handlungen zu thun hat. Nicht die Mittel, wodurch eine freudige Anhänglichkeit an das Vaterland und seine Verfassung belebt werden soll, beschäftigen die Policei, wol aber soll sie verhüten, daß Vaterlandsliebe und Freiheitssinn nicht in gesetzwidrige Handlungen ausarten und sich Ehrgeizige zum Umsturz der Verfassung verschwören. Die Sorge für die öffentliche Sicherheit, die Aufsicht auf verdächtige Menschen und Orte und die Mittel, wodurch eine stete Kenntniß derselben möglich gemacht wird, die Anstalten zur Aufbewahrung der moralisch Verwahrlosten gehören ganz besonders in ihren Bereich. Wenn es die Aufgabe der Staatsökonomie bleibt, auf einen gedeihlichen Flor des Volkswohlstandes zu wirken und so von vorn herein die Verbreitung drückender Noth zu verhüten, so liegt es der Policei ob, die wirklich eingetretene Armuth zu lindern, diesen physisch unregelmäßigen und deshalb auch zu moralischen Unregelmäßigkeiten führenden Zustand in einen geordneten zu verwandeln und so als Armenpolicei vorzubeugen, daß nicht aus dem Unglück eine Gefahr werde. Die Gesundheits- oder Medicinalpolicei sorgt dafür, Leben und Gesundheit vor schädlichen Einflüssen zu bewahren, die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhüten; sie wacht darüber, daß nicht die Mittel, welche zur Herstellung der Gesundheit führen sollen, durch Fahrlässigkeit, Ungeschick und betrügerische Gewinnsucht ihren Zweck verfehlen. Der Gewerbspolicei liegt es ob, die Staatsbürger vor dem Schaden zu bewahren, der ihnen aus der betrügerischen oder gesetzwidrigen Ausübung eines Gewerbes erwachsen könnte. Die Policei hat nicht zu bestimmen, welches Maß angewendet werden soll, aber sie hat darauf zu halten, daß richtiges Maß und Gewicht geführt werde. In Bezug auf den Handel hat es die Policei nicht etwa mit der Handelspolitik und den Veranstaltungen zur Beförderung desselben zu thun, wol aber Betrügereien und Verkauf verbotener Waaren zu verhindern. Die Sittenpolicei hat keineswegs die Anstalten zu leiten, die auf Verbreitung einer gediegenen Bildung, auf Erhaltung reiner Gesittung, auf Belebung ungeheuchelter Frömmigkeit gerichtet sind, aber sie hat darauf zu halten, daß nicht Unwissenheit und böser Wille durch Nährung abergläubischer Begriffe, durch öffentliche Begehung ärgerlicher Laster, durch frevelhafte Störung frommer Bestrebungen die Erreichung jener Zwecke gefährden. Die Schulpolicei hat es nicht mit der Leitung des Unterrichtswesens zu thun, aber sie hat dafür zu sorgen, daß nicht Personen sich zu Lehrern aufwerfen, über deren gehörige Befähigung keine Beweise vorliegen und daß nicht Unwissenheit und Eigennutz der Ältern den Kindern die Wohlthat eines nützlichen Unterrichts entziehe. Der Bücherpolicei liegt nicht etwa die Sorge für die Verbreitung der geistigen Cultur ob; sie hat es nur mit Schriften zu thun, die durch die Form ihres Erscheinens oder durch ihren Inhalt die bestehenden Gesetze verletzen. So verführerisch es ist, das Gebiet der Wohlfahrtspolicei zu sehr auszudehnen und sie gleichsam zu einer gewaltsamen Beglückungspolicei zu machen, so ist es doch noch gefährlicher, der Sicherheitspolicei einen zu weiten Spielraum zu gestatten. Ihre Gewalt wird stets den Charakter der Willkür tragen, da sie ihre Zwecke in den wenigsten Fällen erreichen würde, wenn sie sich streng in den schwerfälligen Formen des Rechtes bewegen müßte, und die Zweckmäßigkeit rechtfertigt allerdings mehre zur Erhaltung der Ordnung und öffentlichen Sicherheit nothwendige Maßregeln, die sonst nicht würden bestehen können. Diese Willkür der Policeigewalt hat aber oft zu groben Misbräuchen geführt, als deren einer auch die sogenannte hohe oder geheime Policei zu betrachten ist, die ihren Ursprung den Besorgnissen unrechtmäßiger oder despotischer Regierungen verdankt. Ihr Zweck ist, eine genaue Kenntniß von den Handlungen und Gesinnungen der Bevölkerung des Landes, namentlich von ihren politischen Meinungen und Urtheilen über die Regierung zu erlangen, die eine gute Regierung nie zu scheuen hat, daher auch nicht hindern wird, dieselben öffentlich auszusprechen. Unter schlechten despotischen Regenten tauscht man seine Ansichten aber nur in engern Kreisen aus und die Vaterlandsfreunde vereinigen sich wie von selbst im Geheimen zur Abhülfe. Nur auf geheimen Wegen kann daher eine solche Regierung zur Kenntniß solcher Pläne gelangen und besoldet dazu Spione, welche sich überall einschleichen, das ganze gesellige Leben vergiften und das Mistrauen nur vergrößern. Die geheime Policei begünstigt falsche Anklagen und ungerechte Verurtheilungen, daher auch der ruhige Bürger sich nicht mehr sicher fühlt, und die Geschichte liefert von dem Misbrauch und der Gefährlichkeit der geheimen Policei die empörendsten Beispiele.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 523-524.
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