Die Kirchenmusik

[312] Die Kirchenmusik fand schon in den ältesten Zeiten, wo sie bei gottesdienstlichen Feierlichkeiten gebraucht wurde, obgleich in andrer Form, Statt. Die erste Veranlassung war ohne Zweifel das Absingen geistlicher Lieder von der ganzen Gemeinde (der Cboral); dieß geschah wahrscheinlich anfangs ganz im Unisonus (einstimmig). Das Widrige dieses Gesangs veranlaßte jedoch, als man mehr über die Harmonie nachdachte, den vierstimmigen Gesang; jene ursprünglich einmahl festgesetzte Melodie (welche man im Lateinischen den Cantus firmus nannte) wurde zum Grunde gelegt und die übrigen Stimmen dazu gefertigt. Diesem unverzierten und schlechten Choral (den man auch jetzt eigentlich noch meistens nach seiner ursprünglichen Melodie von der Gemeinde singen hört) hat man nachher noch andere Formen gegeben, und einige Stimmen davon verschiedentlich ausgeziert; daher ist der so genannte figurirte Gesang entstanden. Um nun den Gesang noch feierlicher zu machen und die Harmonie zugleich zu unterstützen, wurden Instrumente, anfangs die Orgel, oder die großen Contraviolone und etwa die Posaunen, nach und nach aber alle übrigen Instrumente dabei eingeführt. Der Abwechslung wegen wurden nun auch einige Strophen als Chöre, andre zum Solo, Duett etc. eingerichtet, so daß er sich immer mehr und mehr unsrer jetzigen Kirchenmusik genähert hat. Diese hat in der Römisch katholischen Kirche ihre gewisse einmahl festgesetzte Form unabänderlich beibehalten, da hingegen die Protestanten mit mehrerer Freiheit geistliche Cantaten eingeführt, auch Recitative, Arien etc. angebracht, und die Kirchenmusik sogar dem theatralischen Geschmack nur zu sehr genähert haben. – Daß übrigens von dem Charakter, welcher der Kirchenmusik vorzüglich eigen ist, sich auch die Benennung Kirchenstyl, [312] zum Unterschiede vom Kammer- und Theaterstyl, herschreibe, bedarf kaum einer Erwähnung.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 312-313.
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