François Arouet de Voltaire

[350] François Arouet de Voltaire, geb. am 20. Febr. 1694 zu Paris, wo sein Vater Schatzmeister bei der Rechnungskammer war. Er wurde in einem Jesuitencollegio erzogen, worin er die Geduld seiner Lehrer durch Zweifel und Fragen über Religionssachen dermaßen ermüdete, daß ihm einmahl einer derselben voller Kummer und Unmuth in dem Gefühl einer bangen Ahndung zurief: »Du wirst einst das Haupt der Deisten in Frankreich werden.« Für die Dichtkunst zeigte er von der frühesten Jugend an eine große Neigung; einige seiner kleinen Gelegenheitsgedichte gefielen einer bejahrten Dame so wohl, daß sie ihm dafür ein ansehnliches Legat im Testamente aussetzte. Sein Vater hatte aber kein sonderliches Behagen an dieser Art von Beschäftigung, und wollte seinen Sohn mit Gewalt nöthigen, sich mit der Rechtsgelehrsamkeit abzugeben. Umsonst! – Voltaire fand diese zu trocken, und fuhr fort Verse zu machen, während daß sein Bruder als hitziger Kämpfer in den Jansenistischen Streitigkeiten auftrat. Der Vater mißbilligte beides, und sagte daher eines Tages: »ich habe zwei Narren zu Söhnen, den einen in Prosa, den andern in Versen.« Ehe Voltaire 22 Jahr alt war, hatte er schon einen Theil der Henriade und mehrere Trauerspiele geschrieben. Da es ihm nicht an eignem Vermögen fehlte, so konnte er unabhängig leben, und durfte die Cabalen, welche Priester, Schauspieler und eifersüchtige Dichter gegen ihn erhoben, nicht fürchten. Zwar mußte er einige Mahl nach der Bastille wandern, und Paris öfters heimlich verlassen; allein er verlachte die Neckereien seiner [350] Gegner, benutzte die Zeiten dieser Auswanderungen zu Reisen nach Holland, den Niederlanden und England, und kehrte dann nach Paris zurück, um seine Gegner mit neuen dramatischen Arbeiten zu beschämen. Der Ruhm seiner Talente war Friedrich dem Großen, damahligen Kronprinz von Preußen, nicht unbekannt geblieben. Er trat mit Voltaire in Correspondenz, und bot ihm mehrere Mahle einen Aufenthalt bei sich an. Voltaire nahm aber erst im Jahre 1750 dieses Anerbieten an, nachdem seine vertraute Freundin, die Marquise von Chatelet, gestorben war, und er in Paris neue Verdrüßlichkeiten gehabt hatte. Der König erwies ihm die ausgezeichnetsten Gunstbezeugungen, und überschüttete ihn mit Beweisen der innigsten Freundschaft. Dessen ungeachtet blieb Voltaire, der nie abhängig sein wollte, nicht lange am Hofe; er war sogar boßhaft genug, nachher zu behaupten, daß er nur da gewesen sei, um des Königs schmutzige Wäsche zu waschen – der König hatte ihm nehmlich seine Schriften zur Durchsicht gegeben. – Nach einigen neuen Wanderungen lebte Voltaire auf einem Landhause bei Genf, und kaufte sich endlich das Dorf Ferney in der Nähe dieser Stadt, das er nun zu seinem beständigen Wohnsitz erwählte. In seinem hohen Alter unternahm er noch eine Reise nach Paris, wo er mit dem größten Jubel von Vornehmen und Geringen empfangen wurde, und selbst die Huldigung der Akademisten empfing, die ihm ehedem den Eintritt in die Akademie so sehr erschwert hatten. Sein ohne dieß durch das Alter geschwächter Körper konnte die veränderte Lebensart nicht ertragen; zwar wollte sich Voltaire durch Opium zu Hulfe kommen, allein dieses beschleunigte nur seinen Todt. Er starb am 30. Mai 1778, und erhielt, ungeachtet alles Weihrauchs, den man ihm gestreut hatte, durch die Cabalen der Pfaffen, als frecher Religionsspötter, nicht einmahl ein feierliches Begräbniß. Die constit. Nat. Versamml. suchte diesen Fehler wieder gut zu machen, und ließ seine Gebeine am 11. Juli 1791 feierlich ins Pantheon bringen. Der Apotheker Mitouard zu Paris, welcher Voltairʼs Körper einbalsamirt hatte, behielt für seine Muhe das Gehirn desselben, welches er in Weingeist setzte und als Reliquie [351] aufhob. Sein Sohn machte der Nation ein Geschenk damit, und Franc. de Neufchateau verordnete, daß die Phiole auf der Nation. Bibliothek zwischen die schönste Ausgabe der Voltairischen Werke gesetzt werden sollte. Voltaire gehört in jeder Rücksicht zu den merkwürdigsten Männern dieses Jahrhunderts, und hat durch seine zahlreichen Schriften zur Abschaffung verjährter Vorurtheile in allen Landen, vorzüglich aber in Frankreich, unstreitig sehr viel beigetragen. Dessen ungeachtet kann man nicht sagen, daß er gegen Mißbräuche und Ungerechtigkeiten allemahl aus reinen Absichten geeifert habe. Oft wollte er nur dabei seinen unerschöpflichen Witz zeigen, und seine Gabe zur Satyre bewundern lassen. Er war sehr ehrgeitzig, und gegen fremdes Verdienst nicht immer gerecht. Der christlichen Religion blieb er stets abgeneigt, weil er sie als die Quelle unzählichen Uebels ansah, das die Menschheit seit der Einführung des Christenthums betroffen hat. Er hatte mit dʼAlembert und Diderot die Idee gefaßt, sie auf alle mögliche Art zu untergraben; die deßhalb gewechselten Briefe führten alle die bedeutende Unterschrift: écrasez lʼinfame. Als Dichter war Voltaire in mehrern Gattungen groß; nur wollte ihm die Ode und das Lustspiel nicht glücken. Als Geschichtschreiber kommt er bisweilen mit der historischen Treue ins Gedränge; dessen ungeachtet sind seine Schriften in dieser Gattung schätzbar wegen der eingestreuten philosophischen Bemerkungen und den interessanten Gesichtspunkten, unter welchen er die Gegenstände faßt. Bei dem hohen Alter, das er erreichte, und bei der Muße, die er stets hatte, ist es nicht zu verwundern, daß er so viel geschrieben hat. Eine vollständige und elegante Ausgabe seiner Werke veranstaltete zuerst der bekannte Beaumarchais zu Kehl 1781 in 70 Bänden. Jedoch wurde diese durch die neueste, vollständigste und correcteste Ausgabe, welche Palissot, ein in der Französ Literatur grau gewordener Dichter und Freund Voltaires, in 55 Bänden zu Paris von 1792 bis 99 veranstaltete, ganz zurückgesetzt. – Außer den Trauerspielen sind die Henriade und das Zeitalter Ludwig XIV. und einige Romane die bekanntesten. Die Russische Kaiserin, [352] Catharine II. schätzte Voltaire, der sie immer unter dem bedeutenden Namen der Nordischen Semiramis aufführte, so hoch, daß sie ein genaues Modell seines Studierzimmers zu Ferney in erhabener Arbeit für sich verfertigen ließ, und seine nachgelassene Bibliothek käuflich an sich brachte. Friedrich II. der doch immer sein Freund geblieben war, schrieb mitten unter den Kriegsrüstungen (1778) eine meisterhafte Lobschrift auf ihn. Außerdem hat der bekannte Marquis von Condorcet sein Leben schön beschrieben.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 350-353.
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