Sophokles

[320] Sophokles, einer der ersten Griechischen Trauerspiel-Dichter, dessen Geburt (zu Athen) man ungefähr in das 2. Jahr der 70. Olympiade setzt. Ob er als Staatsmann gleich groß wie als Dichter war, ist wohl zu bezweifeln, ob er gleich, zur Würde eines Archonten erhoben, dem Perikles als Amtsgenosse wider die Samier zur Seite stand. Als Trauerspiel-Dichter ist er gewiß einer der vollkommensten unter den Griechen (auch wurde er, seiner schönen Verse wegen, von Vielen die Attische Biene genannt). Daß er dieß ward, dazu trug unstreitig auch die Zeit, in welcher er lebte, sehr viel bei. Es war die Periode, wo Athen die Früchte glücklich beendigter Kriege genoß. Nach den Siegen eines Miltiades, Themistokles und Cimon erfreuten sie sich des Ruhms, das erste Volk Griechenlands, das hieß damahls, das erste Volk der [320] Welt, zu sein. Vermöge des Leichtsinns dieses Volks traten nun Vergnügungen aller Art, welche die Demagogen dem Volke von allen Seiten zu gewähren sich bemühten, ein; auch die Sitten des Volks wurden dadurch verfeinert – kurz, Athen ward der Sitz gesellschaftlicher Freuden und gesellschaftlicher Tugenden: und gerade in diesem vielleicht nur kurzen Zeitraume der höchsten Blüthe dichtete Sophokles seine Trauerspiele. Die Anzahl derselben soll sich auf 124 belaufen haben; allein nur sieben sind auf uns gekommen, nehmlich: 1) Der wüthende Ajax; 2) Electra; 3) Antigone; 4) Oedip der König; 5) Oedip auf Kolon; 6) Die Trachinerinnen, und 7) Philoctet. Vier und zwanzig Mahl – so wird erzählt – trug er den Sieg davon, und seine Autigone schaffte ihm, wie man sagt, die Präfectur von Samos. Seine Kinder, denen er zu lange lebte, gaben ihn als einen kindischen Mann an, der sein Vermögen nicht mehr selbst verwalten könne. Statt aller Antwort zeigte er den Richtern seinen Oedip auf Kolon, den er eben erst vollendet hatte, und er wurde sogleich von jener Anklage freigesprochen. Zuletzt, sagt man, wäre er in einem Alter von 95 Jahren vor Freuden über einen unverhofften Sieg, den er in den Olympischen Spielen durch eine Tragödie erhalten, gestorben. – Von den noch übrigen Stücken des Sophokles könnte man fast jedes als ein Ideal einer vollkommenen Tragödie aufstellen. Plan und Anordnung sind schön; seine Personen, so wie die Handlungen, höchst interessant; das Sittliche ist überall mit dem Leidenschaftlichen sehr gut verbunden, und mit Recht stellt man ihn wohl in die Mitte zwischen Aeschylus (welcher 17 Jahre älter war) und Euripides (16 Jahre jünger). Jener hat vielleicht noch zu viel Rohes und Heftiges, dieser ist höchst zärtlich und rührend: zwischen Beiden geht der große, der erhabene Sophokles hervor; und mit guten Gründen giebt daher der größere Theil auch ihm den ersten Platz unter den tragischen Dichtern.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 320-321.
Lizenz:
Faksimiles:
320 | 321
Kategorien: