Timoleon

[178] Timoleon, Feldherr der Corinthier, einer der merkwürdigsten Männer des alten Griechenlands, der, eine schwere Geißel der Tyrannen, den ehrenvollen Namen eines Befreiers seines unterdrückten Vaterlands, [178] Corinth, mit hohem Recht sich erwarb, indem er aus der reinsten Vaterlandsliebe sogar seinen Bruder, Timophanes, der die höchste Gewalt an sich reißen wollte, umbringen ließ. Allerdings zog ihm dieß die Mißbilligung sehr Vieler und die heftigsten innern Vorwürfe zu: und als nun die von Dionysius dem jüngern und den Carthaginiensern tyrannisirten Syracuser (343 vor Chr. Geb.) die Corinther um Hülfe baten, und Timoleon zum Anführer erwählt wurde, wollte er es zwar ablehnen; allein der Archonte der Republik erwiederte ihm, daß, wenn er diese Stelle annähme, man überzeugt sein müsse, er habe einen Tyrannen erschlagen, wo nicht, so müßte man glauben, er habe den Bruder ermordet. Dieß wirkte auf ihn; er, der Feind aller Tyrannen, ging mit einer kleinen Macht, überwältigte bald durch seine Gewandheit und Verschlagenheit den eigentlich weit überlegnern Feind, schlug den Hannibal und den Hamilcar, machte ungeheure Beute, und zwang die Carthaginienser, bald um Frieden zu bitten. – Nachdem er auch noch den Tyrann Mamercus geschlagen und diesen nebst Hippon gefangen hatte, lebte er wieder als Privatmann zu Syracus, ohne nur im mindesten sich einer Herrschaft über seine Mitbürger anzumaßen; er wollte lieber geliebt als gefürchtet sein. Und diese Liebe ward ihm auch im höchsten Grade zu Theil: man that keine öffentliche Sache ab, ohne seinen Rath anzuhören. Als ihn ein gewisser schlechter Mensch, Lamestius, des Unterschleifs beschuldigte, und das Volk diesen aus Wuth zerreißen wollte, hielt sie Timoleon zurück, indem er ihnen zurief, daß jeder Bürger das Recht habe, ihn anzuklagen; denn, setzte er hinzu, um eben dieses Recht meinem Vaterlande zu sichern, habe ich so viel gekämpft, und den höchsten Gefahren mich Preis gegeben. Dieser große Sinn zeigte sich bei einer andern Gelegenheit, als in einer Volksversammlung Demänetus seine Thaten zu schmälern suchte; er brach in die Worte aus: »Jetzt endlich sind meine Wünsche erfüllt! denn immer habe ich die unsterblichen Götter angefleht, den Syracusern eine solche Freiheit zu gewähren, daß jeder ungestraft sagen kann, was er will.« In seinem Alter ward er, ohne eine vorhergegangene Krankheit, blind; ein Schicksal, das er mit der größten Gelassenheit trug. Auch [179] seine Bescheidenheit verdient Bewunderung; denn seine großen Thaten erklärte er immer für ein Werk der Götter und eine Gnade des Glücks. Der Tod dieses großen Mannes zog die allgemeine Trauer von ganz Sicilien nach sich: er wurde aufs feierlichste begraben, und ihm zu Ehren ein Denkmahl, das den Namen Timoleonteum erhielt, errichtet.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 178-180.
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