Johann Gottfried von Herder

[442] Johann Gottfried von Herder, einer der verdienstvollsten Gelehrten Deutschlands, wurde 1744 zu Mohrungen in Preußen von armen Eltern im niedern Stande geboren. Er kam als Knabe zu dem Prediger Trescho, von welchem er als Schreiber gebraucht wurde, der aber nichts weniger, als das große Genie in ihm ahndete. Doch bald ward Trescho theils durch einen von Herder anonym an ihn geschriebenen Brief, theils dadurch, daß er ihn einst des Nachts beim Studiren sehr gehaltvoller Bücher überraschte, aufmerksamer, und da er durch Zufall auch [442] mehrere Oden, die Herder heimlich in ein Paquet an einen Buchhändler beigelegt, und welche dieser hatte drucken lassen, zugesendet erhielt, so stand er nicht länger an, Herdern seiner zeitherigen Bestimmung als Diener zu entreißen, welcher nun an den Lehrstunden, die Trescho seinen Söhnen gab, Antheil nahm. Bald machte eine Augenkrankheit ihn mit einem russischen Wundarzte bekannt, der an ihm so viel Interesse fand, daß er ihn beredete, mit nach Rußland zu gehen. Herder verließ also mit ihm seine Vaterstadt, kam aber nur bis Königsberg, wo mehrere Gelehrte die Talente des Jünglings entdeckten, und diesen zurückhielten, so daß er auch wirklich in Königsberg blieb, und (1762) am Friedrichs-Collegium als Aufseher mehrerer Pensionairs angestellt wurde, auch im folgenden Jahre die Verwaltung einer lateinischen Classe bekam. Herder studirte jetzt mit Feuereifer nicht blos Theologie, Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaft etc. sondern auch noch außer der griechischen und lateinischen die Sprachen des Orients, und sechs neue Sprachen. Im Jahr 1764 berief man ihn nach Riga als Lehrer und Prediger an die Domschule, und seine Zöglinge sowohl, als auch die Zuhörer des geistlichen Redners wurden so hingerissen, daß man sogar für ihn eine neue Kirche baute. Zu gleicher Zeit begann auch seine schriftstellerische Laufbahn. Er schloß sich eng an Winckelmann, Lessing und die Verfasser der Literaturbriefe an, in seinen Fragmenten über die neue deutsche Literatur (Auszügen aus den Literaturbriefen, mit eignen Ansichten und Urtheilen), in seinen kritischen Wäldern, in seinen Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend (wo er auch Klotz ziemlich züchtigt), welche überall Scharfsinn und Kenntniß der Sache hinlänglich beurkunden, und ihm die Freundschaft mehrerer verdienstvollen Männer, eines Lessing, Gleim u. a., aber auch wegen des schneidenden Tons manche Gegner (z. B. Schlözer) zuzogen. – Einen Ruf nach Petersburg ablehnend, trat er 1770, durch mehrere Freunde unterstützt, eine Reise an, die nach Frankreich, England und Italien [443] gehen sollte, doch kam er nur bis Strasburg, wo er Göthe kennen lernte, u. wo eine innige Freundschaft zwischen beiden sich entspann. Hier schrieb er seine fliegenden Blätter von deutscher Art und Kunst (trefliche Gedanken über Ossian und die Lieder alter Völker). Im Jahr 1772 als Hofprediger, Superintendent und Consistorialrath nach Bückeburg berufen, ward sein Name nun immer bedeutender in der gelehrten Welt, und bei den damaligen Streitigkeiten über die Entstehung der Sprache, welche so viele Gelehrte, einen Rousseau, Maupertuis, einen Michaelis, Formey, Mendelssohn u. v. a. beschäftigte, trug Herder durch sein scharfsinniges Werk darüber den Preis davon. Eben so zeichnete er sich in seinem Werke: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit (1774) und in der Aeltesten Urkunde des Menschengeschlechts (1774 u. 76), trotz vieler darin enthaltenen Sonderbarkeiten, aus. 1778 erhielt er einen Ruf nach Göttingen als Professor; allein die sonderbarste Verlegenheit entstand für ihn, als er nun hier anlangte, und theils keine königliche Bestätitigung dieses seines Rufs fand, theils auch sich einer Prüfung aussetzen sollte. Ein anderweiter Ruf als Hofprediger, Generalsuperintendent und Oberconsistorial-Rath nach Weimar entriß ihn gerade zur rechten Zeit dieser unangenehmen Lage, und er ging sogleich nach Weimar ab, wo er auch nie wieder seine Lage ändern sollte, und wo er unermüdet bis an sein Lebensende fortfuhr, für das Gute immerfort zu wirken, wenn auch nicht allemal gleiches Glück seine Bestrebungen und seinen rastlosen Eifer begünstigte, und er öfters, besonders in den letzten Tagen seines Lebens, verkannt, und durch Undank tief gebeugt wurde. Als Prediger suchte er überall den Saamen der Wahrheit und Tugend auszustreuen; als Superintendent bot er alles für bessere Menschenbildung auf, indem er auch bessere Volkslehrbücher und ein Gesangbuch herausgab, und besonders für die Kirchen des Landes viel Gutes stiftete; und so blieb er auch, trotz der mancherlei schweren und lästigen Geschäfte, unter welchen er als Präsident des Consistoriums seufzte, [444] immer in ununterbrochener Wirksamkeit. Er starb zu Weimar am 21. Dec. 1803 mit dem Rufe eines um die Läuterung unserer schönen Literatur höchst verdienstvollen Mannes, eines originellen Denkers, eines für das Studium der Gottesgelehrsamkeit bedeutenden Theologen, eines wichtigen Erklärers des klassischen Alterthums, eines lieblichen Dichters; kurz eines – im ganzen vollen Umfange des Wortes genommen – wahren Humanisten. Die große Thätigkeit, mit welcher er als Schriftsteller seinen Beruf erfüllte, beurkunden seine außerordentlich zahlreichen Schriften, unter denen, außer den bereits angeführten, nur noch einige hier stehen mögen, um an den Umfang des Wissens dieses würdigen Gelehrten zu erinnern. Sein Geist der hebräischen Poesie (2 Bände); seine Briefe das Studium der Theologie betreffend (4 Bde.); seine christlichen Schriften (6 Bde.); – seine zerstreuten Blätter (7 Bde.); seine Briefe zur Beförderung der Humanität (10 Bde.); seine Adrastea – endlich seine Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (in 4 Bdn.) – wer hat nicht in dem Einen oder dem Andern schon so manche Nahrung und tiefe Belehrung, so manche schöne Unterhaltung gefunden, wer nicht in ihm das hohe gewaltige Streben für die Bildung des Menschengeschlechts dankbar bewundert? – Herder starb für die Erziehung des deutschen Geistes zu früh!

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 442-445.
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