Figur

[38] Figur, so viel wie Gestalt, ist ein ursprünglich lat., aber im gemeinen Leben wie in Künsten und Wissenschaften bei uns sehr gebräuchlich gewordenes Wort. So spricht man namentlich von der Figur eines Menschen, auch wol eines Thieres, wofür man sich bei leblosen Gegenständen des Wortes Form bedient. In den bildenden Künsten nennt man Figuren vorzugsweise die in mannichfaltigen Stellungen dargestellten menschlichen Gestalten. Da die äußerliche Erscheinung des Menschen von dem innern Geistes- und Gemüthszustande abhängt, so wird Figur auch mit diesem in Beziehung gesetzt, und so kommt man zu Ausdrücken wie: »eine traurige Figur machen, spielen«, und da auf dem Theater, sowie in poetischen Erzählungen, Menschen in den mannichfaltigsten Zuständen aufgeführt werden, so spricht man von »auftretenden Figuren«. Personen, welche, ohne sich durch Sprechen zu äußern, nur zur Vervollständigung der darzustellenden Handlung aufgeführt werden, heißen Figuranten (auf dem Theater auch stumme Personen, Statisten, Comparsen), und man sagt von ihnen: sie figuriren nur. Auch im Ballettanz werden so die Figuranten, welche nur zur Ausfüllung, z.B. Gruppen zu bilden, gebraucht werden, ohne vorzugsweise thätig zu sein, von den Solotänzern unterschieden. Figuren bedeuten in der Tanzkunst die verschlungenen Wege, welche durch die Tanzenden beschrieben werden, und die sich durch Linien darstellen lassen. Eine eigenthümliche Bedeutung hat das Wort Figur auch in der Musik. Hier nämlich bilden eine Figur zwei oder mehre kürzere, schnell aufeinander folgende Töne, welche an die Stelle eines einfachen längern Tones gesetzt werden, der im einfachen Gesange genügt haben würde, und man unterscheidet hiernach Figural- oder figurirte Musik und Gesang von der einfachen Choralmusik oder Choralgesang. – In der Geometrie nennt man Figuren vorzüglich allseitig durch Linien begrenzte Flächen, und unterscheidet sie in ebene und krummflächige, je nachdem die Fläche eben oder krumm ist, und jene wieder in geradlinige (Dreiecke, Vierecke, Vielecke) und krummlinige (Kreis, Ellipse u.s.w.), je nachdem die begrenzenden Linien gerade oder krumm sind. Die Körper, insofern sie Gegenstände der Geometrie sind, werden auch körperliche Figuren genannt. – Redefiguren werden alle diejenigen verbildlichenden Ausdrucksweisen genannt, deren man sich vorzugsweise in der Poesie und Rhetorik bedient, um auf den Hörer oder Leser einen tiefern Eindruck zu machen. Man hat sich die überflüssige Mühe gegeben, die verschiedenen Weisen, in denen eine derartige Verbildlichung des Gedankens oder einzelner Begriffe geschehen könne, zu sondern und mit verschiedenen Namen zu bezeichnen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 38.
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